Proteste in Rumänien Eine Million Unterschriften gegen Korruption

22. August 2018, 14:33 Uhr

Die Partei "Rettet Rumänien" holte über eine Million Unterschriften für ihre Forderung "Keine Straftäter in öffentlichen Ämtern". Somit haben doppelt so viele Menschen unterschrieben, wie für einen Antrag auf Verfassungsänderung gesetzlich vorgeschrieben ist. Die Erfolgsaussichten sind dennoch fraglich.

Spannend wie im Krimi

Gebannt verfolgten die Anhänger der Kampagne "Fără penali în funcții publice" (deutsch in etwa: keine Vorbestrafte für öffentliche Ämter) die Internetseite, wo die Zahl der Unterschriften fast in Echtzeit aktualisiert wird. Am Abend des 14. August haben sie es geschafft, 5 Tage vor Fristablauf - sie haben beide gesetzlichen Voraussetzungen für die Unterstützung der Bürgerinitiative erfüllt: nämlich über 500-tausend Unterschriften landesweit und jeweils nicht unter 20.000 in mindestens 21 Landkreisen Rumäniens. Das sind extrem hohe Voraussetzungen, finden die Organisatoren, um so mehr, als der Vorschlag der Initiative später für das Parlament nicht verbindlich ist.

Bis dato haben eine Million Menschen unterschrieben: in den meisten gut entwickelten Landeskreisen im Westen des Landes und in der rumänischen Hauptstadt, wo Menschen zu vielen tausenden gegen die Regierung auf die Straße gehen und es letzte Woche zu gewaltsamen Übergriffen der Ordnungskräfte auf Demonstranten kam, war die notwendige Mindestanzahl von Unterschriften für die Bürgerinitiative schon längst gesammelt.

Im Osten ging es langsamer, und im Süden des Landes sieht es ganz schlecht aus - im Landeskreis Teleorman, einer Hochburg des wegen Wahlbetrugs verurteilten PSD-Chefs Liviu Dragnea unterschrieben sogar nur etwa 1700 Bürger. Noch weniger, nur knapp 1200 waren es in den vornehmlich von der ungarischen Minderheit bewohnten Kreisen Covasna und Harghita. In Bukarest stimmten dafür über 100.000 Menschen zu.

Ein beschwerlicher Anfang

Die Organisatoren gaben in den Regionen, in denen die Kampagne nicht richtig läuft, noch einmal kräftig Gas, um alles noch fristgemäß in trockene Tücher zu bekommen. Der 36-jährige Programmierer Vlad Dinulescu, der auf Tour in Gebieten mit Nachholbedarf war und gerade wieder in Bukarest angekommen ist, findet die Eile angebracht. Denn nachdem bereits Ende März der Antrag auf Verfassungsänderung im Amtsblatt erschien, begann die Sammlung der dafür notwendigen Unterschriften eher unkoordiniert: "Wir hatten keine Genehmigung für die Aufstellung der Infozelte eingeholt, keine T-Shirts und Fahnen gedruckt und es gab nur wenige Freiwillige".

Außerdem waren er und seine Kollegen zu optimistisch: "Wir dachten, dass es quasi ein Selbstläufer wird - da ja zu einem Punkt 600.000 Menschen auf der Straße demonstriert haben und sie und ihre Freunde bestimmt unterschreiben, sollte alles vergleichsweise schnell gehen", meint Dinulescu, der sich seit letztem Jahr in der USR engagiert, als er erkannte, dass Straßenproteste für den Rechtsstaat allein wenig bewirken.

Die Praxis sah anders aus. Manche Passanten hatten keine Ahnung von der Initiative, manche hielten die politische Situation für aussichtslos und hatten resigniert. Aber auch sonst gab es Probleme: Die Kampagne wollte zwar Plakat- und Radiowerbung schalten, die Werbeträger lehnten aber den Auftrag ab, weil sie sich nicht in Politik einmischen wollten.

Also spannten sie Facebook ein, so Dinulescu. Zudem kam es laut Vertretern der Kampagne oft - selbst in größeren Städten wie Timișoara, Arad, Baia Mare oder Constanța -  zu bürokratischen und willkürlichen Schikanen der Ordnungspolizei und Verwaltung und zu Handgreiflichkeiten auf offener Straße.

Die Kampagne gerät in Bewegung

Nach dem holprigen Anfang gerieten die Dinge dann aber doch noch ins Rollen, als sich ein Kollege mit Wahlkampferfahrung rund um die Uhr hinter das Projekt klemmte und auch Spitzenpolitiker der USR sich intensiver einsetzten. Bei einem Misstrauensantrag im Parlament traten die Abgeordneten und Senatoren der Partei zum Beispiel in den T-Shirts der Kampagne auf, darüber wurde im Fernsehen intensiv diskutiert.

Andererseits: Die Partei spielt zwar eine offensichtlich wichtige Rolle in der Kampagne, aber sie ist nicht der einzige Akteur. Prominente Intellektuelle wie der schon 101 Jahre alte Philosoph Mihai Şora der Konzertpianist Dan Grigore sowie der Schriftssteller und Verleger Gabriel Liiceanu sitzen im Komitee der Initiative. Beliebte Schauspieler warben auf dem Universitätsplatz in Bukarest für die Causa "Fără Penali" und sorgten medienwirksam für Aufmerksamkeit.

Letzte Woche standen bekannte Blogger und Vlogger auf der Straße und sammelten Unterschriften. Auch einige andere Organisationen gaben zuletzt verstärkt Unterstützung. Die brutalen Übergriffe der Ordnungskräfte gegen Demonstranten am 10. August in Bukarest dürften ihrerseits für mehr Zulauf gesorgt haben. Die Kampagne kostete bis dato rund 25.000 Euro, die über Spenden - auch durch einen Button auf der Webseite - eingenommen wurden.

Ausgang? Unklar.

Die Unterschriften zu sammeln könnte sich allerdings als der einfachere Teil des Projekts zur Verfassungsänderung herausstellen. Denn nach einem bürokratischen Prozess der Validierung der Unterschriften, muss auch das Verfassungsgericht in Bukarest die Änderung absegnen und es liegt dann am Parlament, ein einschlägiges Gesetz zu besprechen und zu verabschieden.

Schon der verschachtelte Passus, der ins Grundgesetz übernommen werden soll, deutet darauf, wie rechtlich und politisch kompliziert die Debatten sein werden: Laut Antrag sollen in eine Reihe von Ämtern Bürger "gewählt werden dürfen, die rechtskräftig zu Freiheitsstrafen für vorsätzlich begangene Straftaten verurteilt wurden, bis ein Zustand eintrifft, der die Konsequenzen der Verurteilung beseitigt".

Wie der Jurist und Bürgerrechtler Codru Vrabie erläutert, könnte das Verfassungsgericht Bedenken äußern, da zur Einschränkung von Grundrechte hohe rechtliche Hürden gestellt sind. Die Richter könnten dabei das Verbot für nicht verhältnismäßig halten, weil - so Vrabies Hochrechnung  - weniger als ein Prozent der gewählten Amtspersonen betroffen wäre. In der Tat: PSD-Chef Liviu Dragnea, der wegen Wahlbetrugs zu einer Bewährungsstrafe verurteilt wurde und im Parlament sitzt, würde nicht mehr bei Wahlen antreten dürfen, aber von diesem extrem prominenten Fall abgesehen, ist spontan schwer abzuschätzen, wie viele rechtskräftig verurteilte Politiker im Amt sind oder sich später der Wahl stellen. Denn auf solche, gegen die noch Strafverfahren laufen, würde sich das Verbot ja sowieso nicht auswirken.

Doch auch wenn das Verfassungsgericht den Vorschlag nicht kippt, ist es doch wahrscheinlich, dass die jetzige Mehrheit im Parlament ihn ablehnt, meint Codru Vrabie, der sich als Berater mit Fragen wie Staatsreform und Good Governance beschäftigt. Er glaubt also, dass eine Änderung an der Strafprozessordnung gereicht hätte - dort hätte man bei der Strafzumessung für bestimmte Delikten ein grundsätzliches Verbot der Wahlrechte vorsehen können.

Doch das wäre nur durch ein aufwändiges und aufreibendes Parlamentsverfahren möglich gewesen, das der USR als Hauptakteur viel weniger Aufmerksamkeit eingebracht hätte, glaubt Vrabie, der oft über Justiz und Politik auf der Seite telegraful.net bloggt. So aber nutzte die USR die Gelegenheit, um klare Kante zu zeigen und mehr Profil zu gewinnen. Die Kampagne hat in der Tat mehr polarisiert, als es zermürbende Parlamentsdebatten vermocht hätten. Wie emotionsgeladen sie verlief, zeigte eine Episode vor einigen Wochen - als ein Bürgermeister von der PSD die Initiative unterschrieb, wurde er von den eigenen Sozialdemokraten in den Medien als Nestbeschmutzer zur Schnecke gemacht, der gemeinsame Sache mit dem politischen Feind macht.

Das Beispiel von Fără Penali macht inzwischen Schule: die neu gegründete Partei România Împreună  (Rumänien Gemeinsam) will eine Initiative zur Novellierung des Wahlrechts starten, um den Auslandsrumänen mehr Gewicht im Parlament zu geben. Weil das ein einfaches Gesetz wäre, sind immerhin nur 100.000 Unterschriften nötig.  

Über dieses Thema berichtet MDR Aktuell auch im: Hörfunk | 09.07.2018 | 12:30 Uhr