Tokaj - Heimat der ungarisch-russischen Freundschaft

16. März 2018, 16:22 Uhr

Ungarisch-russische Freundschaft muss man in Ungarns Geschichte lange suchen. Aber es gibt sie. In der Weinstadt Tokaj wird sie neuerdings wieder gefeiert - passend zum russlandfreundlichen Kurs Viktor Orbáns.

Seit fünf Jahren wird er in Tokaj am 25. Dezember gefeiert - der "Tag der ungarisch-russischen Freundschaft". Hochrangige russische Diplomaten nehmen an der Festivität teil, der Bürgermeister von Tokaj und andere ungarische Vertreter der Stadt und ihrer Region halten Reden, es werden Kränze vor einer Gedenktafel abgelegt. Noch dazu gibt es eine Zeremonie mit Männern in ungarischer Husaren- und russischer Kosaken-Uniform.

Was geschieht gerade im Nordosten Ungarns? Die 4.500-Seelen-Stadt Tokaj als neue "Hauptstadt" der Freundschaft zwischen dem ungarischen und russischen Volk?

Ungarn und Russland - ein kompliziertes Verhältnis

In Ungarns Geschichte muss man lange suchen, um die in Tokaj beschworene "ungarisch-russische Freundschaft" zu finden. Viereinhalb Jahrzehnte Sowjetbesatzung und die blutige Niederschlagung des Ungarnaufstands 1956 durch die Sowjets haben wohl eher keine guten Erinnerungen an "die Russen" bei den Ungarn hinterlassen. Und auch die Ereignisse im Jahr 1849 nicht, als die Ungarn ihren Unabhängigkeitskrieg gegen das Habsburger Reich verloren, weil russische Armeen Kaiser Franz Joseph zu Hilfe eilten.

Fündig wird man erst Anfang des 18. Jahrhunderts: Zwischen 1703 und 17011 führte Fürst Franz II. Rákóczi im Nordosten des Königreichs Ungarn einen Aufstand gegen die absolutistische Herrschaft der Habsburger. Er suchte Alliierte. Um sein Anliegen etwas schmackhafter zu machen, schickte er ein paar Flaschen Tokajer Aszú sowohl nach Paris, zum Hof des Sonnenkönigs Ludwig XIV., als auch zum russischen Zaren nach Sankt Petersburg. Peter I. gefiel das so gut, dass er einige Zeit später die "Russische Weinkaufkommission" im ungarischen Tokaj gründete.

Russische Kosaken in Ungarn - Blütezeit für Tokaj

Der Zar entsandte etwa 50 Kosaken nach Tokaj, die fortan dafür verantwortlich waren, die besten Tokajer-Weine so günstig wie möglich aufzukaufen, sie gut zu lagern und schließlich nach Russland zu liefern. Von 1733 bis 1798 war die Kommission und ihr Kosakenregiment in Tokaj tätig. "Diese 65 Jahre waren die Glanzperiode der Region", schwärmt György Posta heute, der Bürgermeister von Tokaj. 50.000 Liter Tokajer Aszú wurden damals jährlich an den Zarenhof verkauft. Die ganze Region um Tokaj wurde dadurch reich - vom einfachen Traubenleser über den Winzer bis hin zum Kaufmann.

Und es entstand eine kleine russische Kolonie in Tokaj, die neben dem Weinhandel auch - zusammen mit den ansässigen Griechen - eine orthodoxe Kirche aufbaute. Die Kolonie hatte auch diplomatische Funktionen. Damals hatte das Russische Reich nur drei Standorte für solche diplomatischen Vertretungen, erzählt Tokajs Bürgermeister: in Paris, Konstantinopel - und in Tokaj! Auch deshalb sind heute Vertreter der russischen Botschaft anwesend, wenn in Tokaj die "ungarisch-russische Freundschaft" gefeiert und an die russischen Kosaken der "Weinkaufkommission" erinnert wird.

Tokaj - die neue alte Hauptstadt der "ungarisch-russischen Freundschaft"

Für Tokajs Bürgermeister Posta ist all das "eine echte, unangreifbare Erfolgsgeschichte zwischen Ungarn und Russland, von denen es ja nicht so viele gibt, wenn man an die 40 Jahre Kommunismus und die brutale Niederschlagung des Aufstandes von 1956 denkt". Er findet es richtig und wichtig, an die guten Beziehungen zwischen Franz II. Rákóczi und Zar Peter I. zu erinnern. "Es tut niemandem weh, es ist absolut positiv", erklärt er, "viele wollen mich steinigen, aber ich bin stolz darauf."

Heute hofft man in Tokaj, an die Beziehungen von damals anknüpfen zu können. Russland sei immer unter den ersten Käufern gewesen, erklärt der staatliche Weinproduzent "Grand Tokaj" - bis zur Finanz- und Wirtschaftskrise 2008. Seitdem seien die Verkaufszahlen zurückgefallen. Und die Sanktionen und Gegensanktionen zwischen EU und Russland machen die Situation nicht einfacher.

Ist die Feier der "ungarisch-russischen Freundschaft" also nur der Versuch einer Werbe-Kampagne? Ein Buhlen darum, dass Russland wieder mehr Tokajer kauft?

Tokajer als Mittel der Diplomatie

Auf jeden Fall dürfte der Gedenktag für die "ungarisch-russische Freundschaft", der 2012 von einer Bürgerinitiative in Tokaj initiiert wurde, in das Konzept von Ungarns Ministerpräsidenten passen. Obwohl Viktor Orbán 1989 als einer der ersten öffentlich den Abzug der Sowjetarmee aus Ungarn forderte, rückt er heute Ungarn so nah an Russland heran wie keiner vor ihm seit 1989. "Tokajer Aszú als Mittel der Diplomatie - das begann hier", erklärt der Bürgermeister von Tokaj. Und wer weiß, vielleicht schickt ja auch Orbán mal ein paar Flaschen zum Kreml, um seine "Freundschaft mit Putin" zu bekräftigen. Aber womöglich reicht es schon, dass Ungarn die orthodoxe Kirche in Tokaj restauriert...

Über dieses Thema berichtet MDR auch in "Aktuell": 02.02.2017 | 17:45 Uhr