50 Jahre Prager FrühlingDie "menschliche Fackel" - Warum Jan Palach sich selbst verbrannte
Am 16. Januar 1969 überschüttete sich der tschechische Student Jan Palach auf dem Wenzelsplatz in Prag mit Benzin und zündete sich an. Warum tat er das und wie erinnert sich Tschechien heute an ihn?
Auf dem berühmten Wenzelsplatz in Prag liegt ein großes Kreuz aus Bronze. Viele Touristen laufen daran vorbei, ohne zu wissen, für wen dieses Kreuz in den Boden eingelassen wurde. Es soll an den jungen Studenten Jan Palach erinnern, der sich mit nur 20 Jahren selbst anzündete.
Eine "menschliche Fackel" wollte er sein, seine Landsleute aufrütteln. Denn sie waren dabei, sich mit der Niederschlagung des Prager Frühlings abzufinden.
Menschenopfer bei helllichtem Tag
Es ist der 16. Januar 1969. Am Nachmittag des 16. Januar begibt sich Jan Pallach mit einer Aktentasche in der Hand und in einen Mantel gehüllt auf den Wenzelsplatz in Prag. Vor dem Nationalmuseum bleibt er stehen, dann geht alles ganz schnell.
Palach holt einen Kanister unter dem Mantel hervor, übergießt sich mit dem Inhalt und zündet sich an. Wenige Sekunden später steht er in Flammen. Brennend beginnt Palach zu laufen. Zeitzeugen beschreiben, wie er zwischen den Autos und Straßenbahnen umhertorkelt, bis endlich ein Straßenbahn-Aufseher einen Mantel über ihn wirft.
Schnell wird der junge Mann ins Krankenhaus gebracht. Die Ärzte stellen fest, dass 85 Prozent seiner Haut verbrannt sind, seinen Tod können sie nicht mehr verhindern. Der junge Mann stirbt nach drei Tagen in der Klinik. Zuvor ist er jedoch ansprechbar und gibt Auskunft über seine Tat und was ihn dazu veranlasst hat.
Kurze Hoffnung auf ein besseres Leben
Der Mensch Jan Palach wird von seinen Klassenkameraden als sehr schweigsam und introvertiert beschrieben. Ins Plaudern kommt er nur mit seinem Geschichtslehrer. Zum Studium zieht es ihn nach Prag. Hier ist auch er einer der Tschechen, die Hoffnung schöpfen durch die Freiheitsbestrebungen des Prager Frühlings.
Er hofft auf ein Ende der Zensur, der Vorschriften und der Enge. Umso mehr ist er erschüttert über die gewaltsame Niederschlagung des Prager Frühlings im August 1968. Damals walzen sowjetische Panzer den Ruf nach Reformen nieder.
"Honza", wie Jan Palach auf Tschechisch genannt wird, ist mittendrin in den Ereignissen. Doch sein Entschluss zur Tat reift erst später, als er merkt, wie die Bevölkerung sich wieder unterordnet und in Lethargie verfällt. Sechs Monate später zündet er sich auf dem Wenzelsplatz an. 10.000 Menschen kommen zu Pallachs Beerdigung auf einem Prager Friedhof.
Die Selbstopferung – Fackel Nummer eins
Palachs letzte Worte - die er im Krankenhaus sprach - wurden später im Radio verlesen: "Meine Tat hat ihren Sinn erfüllt. Aber niemand sollte sie wiederholen. Die Studenten sollten ihr Leben schonen, damit sie ihr ganzes Leben lang unsere Ziele erfüllen können, damit sie lebendig zum Kampfe beitragen. Ich sage euch 'Auf Wiedersehen'. Vielleicht sehen wir uns einmal wieder." Auch in anderen Ländern kommt es zu ähnlichen Vorfällen. Petr Blažek, tschechischer Historiker, beschäftigt sich mit dem Phänomen der Selbstverbrennungen:
Nahezu jede Nation im damaligen Ostblock hatte eine Person, die diese radikale Form des Protestes nutzt. Sie hatten verschiedene Motive, waren unterschiedlichen Alters, aber alle waren sie Menschen, die ihre Tat als einzige Möglichkeit des spürbaren Widerstands sahen. In einem Moment, da alle anderen Mittel erschöpft waren.
Petr Blažek
Gegenwart: Angst vor dem Vergessen
Im Januar 2019 jährt sich Palachs Selbstentzündung zum 50. Mal. Doch viele Tschechen beklagen, dass er bei den jüngeren Generationen langsam in Vergessenheit gerät. In der Schule ist Palachs Leben kein Pflichtstoff. Auch der Tscheche Jan Poukar lernte in der Schule nichts über den tschechischen "Märtyer". Als ihm vor einigen Jahren Palachs Lebenslauf in die Hände fiel, war er erschüttert über die radikale Tat. Seitdem lässt ihn die Geschichte Jan Palachs nicht mehr los. Seinem Engagement ist es zu verdanken, dass bald ein Museum an Palach erinnern wird. Er gründete eine NGO, sammelte Geld, gewann das tschechische Nationalmuseum zur Mitarbeit.
Am Anfang wussten wir gar nicht, wie wir die Sache angehen sollen. Aber da ist gerade Crowdfunding als neuer Trend aufgekommen. Wir haben also Prominente angesprochen, damit wir in die Medien kommen, und haben ein besonderes Armband entworfen.
Jan Poukar
In Všetaty, einem kleinen Örtchen 40 km nördlich von Prag, wird Palachs Elternhaus in einen Gedenkort umgewandelt. Der Umbau ist in vollem Gange. Marek Junek, Leiter der historischen Abteilung des Tschechischen Nationalmuseums, betreut die Bauarbeiten:
Dem Haus werden die Zeichen einer menschlichen Behausung genommen, es bleibt nur ein kahler Raum, der von einem schwarzen Keil durchschnitten wird. Der fängt hinten an und er wird sich bis vorne durchziehen. Dieser Keil symbolisiert das, was Palachs Selbstverbrennung bewirkt hat. Wie die Tat die Familie zerrissen hat und auch die Gesellschaft.
Marek Junek, Tschechisches Nationalmuseum
Schwieriger Umgang mit dem Vermächtnis
Der Umgang mit Palachs Selbstverbrennung ist in Tschechien schon immer ein schwieriges Thema. 20 Jahre nach dem Tod des Studenten wurden seiner in Tschechien erstmals öffentlich gedacht. Im Januar 1989 feierte eine Gruppe rund um den Dissidenten Vaclav Havel die "Palach-Woche". Sie legte unter dem Denkmal des Heiligen Wenzel am Wenzelsplatz Blumen nieder und wurde dafür von der tschechischen Staatssicherheit verhaftet.
Als sie wieder frei kamen, kehrten sie zum Wenzelsplatz zurück und führten die Aktion fort. Bis heute wird dies als Generalprobe für die "samtene Revolution" einige Monate später gesehen. Durch diese brach das kommunistische Regime wie ein Kartenhaus zusammen.
Das Gedenken an Palach könnte zum anstehenden runden Jahrestag der Selbstverbrennung wieder zunehmen. Am 21. August 2019 jedenfalls soll die Gedenkstätte in Palachs Elternhaus in Všetaty eröffnet werden.
Über dieses Thema berichtet der MDR auch im TV:Heute im Osten - Reportage | 12.01.2019 | 18:00 Uhr