Tschetschenisches Reisebüro in Leipzig eröffnet 4-Sterne-Urlaub in Tschetschenien
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29. August 2018, 11:27 Uhr
Mit Tschetschenien verbinden die meisten eher einen Krisenherd als eine Urlaubsregion. Das sei aber falsch, meint Konstantin Ermisch, Inhaber eines Leipziger Reisebüros, das sich auf Russland spezialisiert hat. Der Unternehmer hat Ende August 2018 ein Infocenter zur Urlaubsregion Tschetschenien eröffnet - nach seinen Angaben das erste in Deutschland.
Herr Ermisch, Tschetschenien ist eher als Krisenregion bekannt. Wie sind Sie darauf gekommen, Tschetschenien in Ihrem Reisebüro als Urlaubsregion vorzustellen?
Konstantin Ermisch: Aus Interesse bin ich selbst im Juni 2018 durch Tschetschenien gereist und habe dabei diese schönen Berge und die tolle Landschaft kennengelernt. Dann sind wir ins Gespräch mit dem Tourismusminister von Tschetschenien gekommen, was wir tun könnten, um diese russische Teilrepublik als Urlaubsregion vorzustellen. Deshalb haben wir Ende August 2018 gemeinsam ein Infocenter in unserem Reisebüro am Leipziger Flughafen eröffnet. Dort wird es Tourenbeschreibungen geben, Tipps und man kann sich auch eine individuelle Reise zusammenstellen lassen. Mit dem Tourismus-Minister von Tschetschenien haben wir in Leipzig dazu einen Kooperationsvertrag unterzeichnet.
Viele Menschen hierzulande haben aber noch die Kriegsbilder im Kopf, wenn sie an Tschetschenien denken. Kann man sich dort als Tourist wirklich sicher fühlen?
Die meisten haben ein Bild im Kopf, das nicht mehr der Realität entspricht. Ich bin selber wegen des Krieges mit meinen Eltern nach Deutschland gekommen, denn ich stand kurz vor der Einberufung als Soldat in den Krieg. Grozny, die Hauptstadt Tschetscheniens, ist inzwischen wieder aufgebaut und aus meiner Sicht so sicher wie nie zuvor. Sicherheitskräfte sind immer vor Ort, das ist ein Relikt aus den 90er-Jahren, aber man nimmt sie nicht wahr, denn sie sind sehr zurückhaltend.
Was macht Tschetschenien als Urlaubsregion attraktiv?
Die kaukasischen Berge sind besonders sehenswert, etwas für Naturliebhaber, die mal ein bisschen die Seele baumeln lassen wollen. Es gibt mehrere Tourismusstützpunkte in den Bergen, fast jede Woche eröffnet ein neuer, sagte mir erst kürzlich der Tourismusminister Muslim Baitasiev.
Wie wird man dort als Tourist untergebracht?
Die Hotelszene hat sich enorm entwickelt. Es gibt sehr teure Hotels, aber auch günstige. In den Bergen kann man in den bereits erwähnten Tourismusstützpunkten unterkommen, die sind vom Standard her wie 4-Sterne-Hotels, es gibt Doppel- und Einzelzimmer. Man kann aber auch eine Holzhütte mieten, wenn man es naturverbundener mag oder eine größere Familie hat.
Wer sind die Hotelbesitzer, die so zahlreich Hotels bauen und eröffnen?
Größtenteils sind es Tschetschenen selbst, aber auch ausländische Investoren wie Amerikaner und Deutsche.
Erst 2014 wurde ein Bus mit Journalisten, die sich zusammen mit einer NGO ein Bild von der Menschenrechtslage in Tschetschenien machen wollte, angegriffen. Wie können Sie die Sicherheit der Reisenden garantieren?
Ich werde immer wieder mit dieser Frage konfrontiert und ich kann nicht bestätigen, dass es ein Sicherheitsproblem gibt. Wir wurden überall wärmstens empfangen. Im Gegenteil, ich kenne sogar zwei homosexuelle Journalisten, die vor Ort waren und die Teilrepublik als sehr sicher empfanden.
Man kann sich Ihren Erfahrungen nach also ohne Einschränkungen frei und sicher in der Teilrepublik bewegen?
Absolut, man kann sich frei bewegen. Man braucht kein Sicherheitspersonal um sich herum. Einige in Russland sagen sogar, es sei die sicherste Region des Landes. Die Machthabenden versuchen mit aller Kraft, das Bild vom Krieg hinter sich zu lassen und ein neues Bild zu schaffen. Der jetzige Präsident Kadyrow weiß, wenn auch nur einem Touristen etwas passiert, dann ist der ganze Tourismus am Ende, daher muss er die Sicherheit gewährleisten.
Unterstützt Kadyrow die Tourismusbestrebungen?
Ja, das tut er. Das sieht man daran, dass er zum Beispiel das Tourismus-Ministerium personell aufgestockt hat. Es gibt seit einigen Monaten zehn Mitarbeiter dort, die gemeinsam mit dem Tourismus-Minister viel für Tschetschenien tun.
Ramsan Kadyrow gilt im Ausland als Diktator und Despot. Wie haben Sie während Ihrer Aufenthalte die Einstellung der Tschetschenen zu ihrem Machthaber empfunden?
Wir haben mit vielen normalen Bürgern auf der Straße gesprochen, also nicht mit Menschen, die selbst einen Palast besitzen. Jeder hat gesagt, Kadyrow sei das Beste, was ihnen passieren konnte, denn dieser Mensch habe sie vor dem Bürgerkrieg gerettet. Sicherlich wird in Tschetschenien anders regiert, als wir es uns hierzulande vorstellen, aber die Tschetschenen sagen, man brauche so eine Persönlichkeit wie Kadyrow. Das Land war eine Ruinenlandschaft, die wieder aufgebaut werden musste. Ich bin kein politischer Analyst, aber ich sehe dort eine aufstrebende Wirtschaft.
Grozny, die Hauptstadt Tschetscheniens, galt vor etwa 16 Jahren als eine völlig zerstörte Stadt. Was wurde in Grozny wieder aufgebaut und was ist sehenswert?
Viele haben ein Bild von Schafsherden, die über die Straßen laufen. Stattdessen erlebt man aber vor Ort eine westliche Metropole mit Hochhäusern und vielen Geschäften. Man ist so etwas vielleicht aus Dubai gewohnt, aber man erwartet es nicht in Tschetschenien. Grozny war platt, da gab es keinen Stein mehr auf dem anderen. Jetzt trifft Moderne auf Altertümlichkeit. Da Tschetschenien ein muslimisch geprägter Teil von Russland ist, gibt es keinen Alkohol und keine Spielcasinos, dafür aber viele Sporthallen und ein neues Stadion. Man investiert viel in die Jugend.
Welche Reise würden Sie empfehlen?
Ich würde eine Rundreise machen und neben Tschetschenien auch andere kaukasische Republiken besuchen wie Dagestan oder Nordossetien. Die Natur ist überall sehr unterschiedlich, mal gibt es Wasserfälle, dann wieder Flüsse und überall wunderschöne Berge.
Sprechen Sie als Reiseplaner auch Erinnerungen und Stätten des Bürgerkrieges als Teil einer Tschetschenienreise an?
Ich würde das nicht anbieten wollen. Man hat viel Leid erlitten, ich möchte nicht mehr in den alten Wunden bohren. Ich will bei der positiven Zukunft ansetzen und nicht Krieg und Elend von früher zu Schau stellen. Der Krieg ist noch nicht so lange her, als dass man entspannt darüber reden kann.
Wie ist bisher die Nachfrage nach Tschetschenien in Ihrem Reisebüro?
Es sind meistens ältere Kunden, denn es ist kein Partyurlaub, sondern eine Reise für Naturliebhaber. Ich hatte schon öfter Anfragen und seitdem bekannt ist, dass wir ein Infocenter eröffnen, werden es immer mehr. Die Reaktionen haben eine Bandbreite von "Ich bin begeistert" bis hin zu "Ihr seid völlig verrückt geworden". Das finde ich aber gut, ich bin ja interessiert am Gespräch mit meinen Kunden.
Konstantin Ermisch Ermisch wurde 1977 in Kasachstan geboren und zog später in den Norden von Russland, nach Karelien. Als Jugendlicher wanderte er mit seinen Eltern nach Leipzig aus, weil er sonst in Russland den Wehrdienst hätte antreten müssen. Heute betreibt er ein Reisebüro, das auf Russland spezialisiert ist.
Über dieses Thema berichtete der MDR auch im Radio: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | 28.08.2018 | ab 07:30 Uhr in den Regionalnachrichten aus dem Studio Leipzig