exakt | 28.11.2018 Per Anwalt zur Wohnung?
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Die Mieten steigen, so ist Wohnraum gerade für Geringverdiener und Hartz-IV-Empfänger knapp. Denn was das Amt zahlt, deckt sich oft nicht mit den realen Mieten.
Endstation Straße: "Im schlimmsten Fall geht’s darum, dass Leute tatsächlich Wohnraum verlieren und obdachlos werden", sagt Rechtsanwalt Jens Müller. Es geht um Hartz-IV-Empfänger und Geringverdiener – die haben immer größere Probleme, eine Wohnung zu finden, die das Jobcenter auch bezahlt.
Ein Beispiel: Die ALG II-Empfänger Andre Gruß und seine schwangere Lebensgefährtin Nadine Erbs haben über Monate in Leipzig nach einer Wohnung gesucht. "Die aktuelle Wohnsituation ist, dass wir bei meiner Mutter leben und die Wohnung hat 46 Quadratmeter", sagt Andre Gruß. Das heißt: Zu dritt in anderthalb Zimmern. "Ich, meine Mutter, meine Frau ist schwanger – das ist ja ein unzumutbarer Zustand."
Mieten um 20 Prozent gestiegen
In der boomenden Messestadt sind die Mieten für neu angebotene Wohnungen zwischen 2012 und 2016 um 20 Prozent gestiegen. Es gibt kaum noch Leerstand. Für Geringverdiener oder ALG II-Empfänger wie Andre Gruß und seine Lebensgefährtin ist das fatal. Die beiden fanden schließlich eine günstige Wohnung - doch dann wurde der Umzug vom Jobcenter Leipzig wegen Überschreitung der Heizkosten von 2 Euro und 3 Cent im Monat abgelehnt.
Die Frau hat ja wortwörtlich zu mir gesagt, wir werden von oben angewiesen, wenn die Miete einen Cent drüber ist, dürfen wir die Wohnung nicht genehmigen. So ist das von oben angewiesen.
Es ist ein restriktives Vorgehen der Stadt. Hinzu kommt noch die sogenannte Angemessenheitsrichtlinie. "Die Richtlinie über die wir hier sprechen, ist schon seit Jahren ein Thema", sagt Anwalt Jens Müller, der das Paar vor Gericht vertritt. Er hatte den Eindruck, dass die Statistik dazu unter dem Motto erstellt wurde: Mehr dürfe es nicht kosten. "Die Stadt möchte schlicht und ergreifend Geld sparen."
Für angemessen hält Leipzig etwa für einen Einpersonenhaushalt eine 45-Quadratmeter-Wohnung mit einer Kaltmiete von 279,60 Euro. Eine Summe, die in vielen Fällen nichts mit den realen Mieten zu tun hat.
Ein deutschlandweites Problem
Es ist ein Problem in ganz Deutschland. 588.000 Bedarfsgemeinschaften bekamen im vergangenen Jahr nicht die tatsächlichen Kosten der Unterkunft vom Amt bezahlt. Durchschnittlich fehlten den Betroffenen 80 Euro im Monat. Geld, das sie zum Teil von ihrem Regelsatz nehmen mussten und das eigentlich für Essen und Alltag bestimmt ist.
Deshalb wurde in Deutschland allein in diesem Jahr in über 30000 Fällen vor Gerichten darüber gestritten. Hintergrund ist das Bundesgesetz. Dort steht, dass Wohnkosten übernommen werden, die "angemessen" sind. Doch was das genau bedeutet, ist nicht definiert.
Andre Gruß und seine Lebensgefährtin haben schließlich einen Anwalt eingeschaltet. Dann genehmigte das Amt plötzlich doch die mit viel Glück gefundene Wohnung. Auf Nachfrage von MDR-exakt heißt es von der Stadt Leipzig, man halte die derzeit geltenden Richtwerte für die Kosten der Unterkunft für korrekt. Räumt aber ein, dass es durch immer mehr Zuzug weniger kostenangemessene Wohnungen gibt.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | exakt | 28. November 2018 | 20:15 Uhr
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29.11.2018 07:21 frank d 1