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Schon am Theatervorplatz in Weimar beginnt "Die Prinzessin von Trapezunt" Bildrechte: Candy Welz

RezensionJacques Offenbach: "Die Prinzessin von Trapezunt" am DNT Weimar

von Bernhard Doppler, MDR KLASSIK

Stand: 05. Juli 2022, 15:38 Uhr

Die Operette "Die Prinzessin von Trapezunt" von Jacques Offenbach scheint in Vergessenheit geraten zu sein. Dabei gilt sie für Offenbach-Kenner wie Karl Kraus als das gelungenste seiner über 100 Bühnenwerke. 1869 wurde "Die Prinzession von Trapezunt" mit Offenbachs französicher Truppe in Baden-Baden uraufgeführt, im 19. Jahrhundert sogar oft in den USA gespielt. Offenbachs Operetten, seine "Offenbachiaden" stellen Verhältnisse auf den Kopf. In der "Prinzessin von Trapezunt" kommen arme Jahrmarkts-Schausteller plötzlich zu Geld, werden Schlossbesitzer, und: ein Prinz verliebt sich in eine Wachsfigurenkabinettspuppe, die sich dann als reale Frau herausstellt. MDR KLASSIK hat eine Vorstellung besucht.

Wo und wann fängt diese Theateraufführung überhaupt an? Am Theatervorplatz beim Goethe-Schiller-Denkmal haben Schausteller eine Bude mit einem Wachfigurenkabinett aufgeschlagen. Das Theater selbst ist "geschlossen", wie groß auf einer Inschrift am Balkon des Deutschen Nationaltheaters zu lesen ist. Wegen der Pandemie? Oder wegen Einsparungsmaßnahmen? Am Balkon wird jedoch eine Lotterie ausgerufen. Hauptgewinn: Die Theaterimmobilie selbst.

Verliebt in eine Wachsfigur

Wer gerade am Theatervorplatz flaniert, könnte jetzt noch eine Karte für die Vorstellung kaufen, auch wenn man sich nun bereits mitten im ersten Akt der vor über 150 Jahre uraufgeführten Operette "Die Prinzessin von Trapezunt" von Jacques Offenbach befindet. Arme Schausteller erwerben in Offenbachs Werk durch ein Los zwar keine Theater-Immobilie, sondern werden adelig und bekommen ein Schloss. Doch auch sie haben zunächst ein Missgeschick zu vertuschen: Die Wachsfigur der Prinzessin von Trapezunt hat sich die Nase gebrochen, sodass sich Schaustellerin Zanetta für die Schaulustigen selbst als leblose Wachsfigur ausgeben muss.

Schaustellerin Zanetta (Ylva Stenberg) erobert die Bühne. Bildrechte: Candy Welz

In Wachsfiguren und Automaten verlieben sich Offenbachs Helden wie auch Hoffmann in "Hoffmanns Erzählungen" eher als in ein lebendiges Gegenüber, in Virtuelles unkomplizierter als in Reales. Die Weimarer Fassung von Anna Weber und Michael Höppner macht vor allem die aktuelle Situation des Theaters selbst zum Thema und das Publikum zu Mitspielerinnen und Mitspielern. Mit dem im zweiten Akt nun wieder geöffneten, aber leergeräumten Theater und den verschlafenen Theater-Musikern im zunächst verdeckten Graben können die neuen Besitzer allerdings wenig anfangen.

Theater als gemeinsame Party

Zumindest so lange nicht, bis der "Kulturlandschaftspfleger" Kasimir es abkauft und aus dem Theater ein "Erlebnismuseum" unter dem Namen "Waxworld Weimar" macht, in dem einige Opernszenen wie "Lohengrin" oder "Hoffmanns Erzählungen" mechanisch nachgestellt werden. Bei der Eröffnungsparty lässt Kasimir sich als Mäzen feiern. Im Zuschauerraum mischen sich nun wiederum oft kaum unterscheidbar der Weimarer Opern-Chor und das Publikum.

Taejun Sun (Raphael) und Ylva Stenberg (Zanetta) Bildrechte: Candy Welz

Nach den langen pandemiebedingten Schließungen, nach der Verbannung von Aufführungen in Streams bringt das Theater sich nun selbstbewusst wieder als öffentlicher Ort ins Bewusstsein. Und die Weimarer Sängerinnen und Sänger, allen voran Uwe Schenker-Primus als Schaubudenbesitzer und Alexander Günther als Kulturlandschaftspfleger, zeigen dabei sehr lustvoll, vielleicht oft  lange zurückgehaltene ansteckende Spielfreude.

Alte Operette, aber: Kulturpolitisch und hochaktuell

"Die Prinzessin von Trapezunt" wurde in den USA im 19. Jahrhundert und noch bis in die 1930er Jahre oft gespielt, doch scheint sie in den letzten Jahrzehnten in Vergessenheit geraten zu sein. In Weimar wird sie erstmals nach der neuen kritischen Offenbach-Ausgabe von Jean-Christoph Keck musiziert, insofern ist die Aufführung auch eine Ausgrabung. Zarte Ohrwürmer, Opernparodien und immer wieder mitreißender Can-Can, so dass selbst Wachsfiguren zu knirschen beginnen – das alles zeichnet dieses Stück aus. Offenbach-Kenner, wie Karl Kraus hielten "Die Prinzessin von Trapezunt"  für eine der gelungensten und modernsten von Offenbachs über hundert Bühnenwerken: Frank Wedekind sei hier bereits vorweggenommen.

In "Die Prinzessin von Trapezunt" herrscht buntes treiben und entsteht ein neues Wachsfigurenkabinett. Bildrechte: Candy Welz

Absurder Nonsens und beißende Satire, aber auch mitreißende Tonmalereien, wie etwa ein Zahnschmerz als klagend winselnde Tenorarie oder ein Jägerchor, den die neuen Theaterbesitzer als Castingshow wahrnehmen: Ein überzeugender Einstand also für Regisseurin Anna Weber, die sich selbst zwischen freier Szene und etablierten Häusern ortet: Verblüffend wie kulturpolitisch hochaktuell die alte Operette doch sein kann!

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Dieses Thema im Programm:MDR KLASSIK | MDR KLASSIK am Morgen | 09. Mai 2022 | 08:50 Uhr