Frauen am Bauhaus Bauhaus-Künstlerin Friedl Dicker-Brandeis: Das Multitalent

Im Bauhaus-Jubiläumsjahr 2019 wird viel über die männlichen Helden der avantgardistischen Kunstschule gesprochen, etwa Walter Gropius oder Mies van der Rohe. Die Frauen am Bauhaus werden dagegen weniger wahrgenommen. Dabei haben auch sie das "Gesamtkunstwerk Bauhaus" wesentlich geprägt. So wie die Malerin, Innenarchitektin und Kunsthandwerkerin Friedl Dicker-Brandeis, der Gropius ein "außergewöhnliches Talent" bescheinigte. Ein Porträt.

Der Bauhauskünstler Stefan Wolpe war offenbar in Friedl Dicker verliebt, als er ihr 1920 in Weimar sein ekstatisches Klavierstück "Adagio für Klavier Nr. 5" widmete. Da schaut Dicker am Bauhaus gerade zu dem Esoteriker Johannes Itten auf und ist in eine Liebesbeziehung zu ihrem Kommilitonen Fritz Singer verstrickt.

In ihrer Zeit am Bauhaus schafft Dicker – 1898 geboren als Jüdin in Wien – unter anderem Plastiken, Bühnenbilder und Theaterkostüme. Sie gilt als exzellente Zeichnerin, so dass Walter Gropius ihr ein "außergewöhnliches" Multitalent bescheinigt. Dieses ist mit einem überschäumenden Temperament gepaart.

Sie hat einem ungeheuer viel gegeben, sie war sehr streng und sehr temperamentvoll und hat einen angeschrien, wenn ihr etwas nicht gepasst hat. Die Friedl, die ich kannte, war aggressiv, hatte Wutanfälle.

Edith Kramer, Schülerin von Friedl Dicker

Aus Weimar herausgeekelt

Kreativ, explosiv aber (vielleicht) zu großzügig in allem, was ihr wichtig ist – diese Charaktermischung bringt Dicker kein Glück. Von Ittens Esoterik nimmt sie jedoch Abstand, wie Edith Kramer rückblickend erzählt: "Der Itten war ja auch so religiös und so, das haben die gescheiten Juden, die Friedl und der Franz Singer nicht angenommen. Sie wurden ja eigentlich aus Weimar auch herausgeekelt vom Gropius, mit antisemitischem Beigeschmack. Weil sie zu gescheit waren und weil sie zu kritisch waren."

Nachdem Dicker und Singer das Bauhaus verlassen haben, wirken sie in gemeinsamen Ateliers in Berlin und Wien, gründen in Berlin die "Werkstätten bildender Kunst" und bringen die Bauhaus-Moderne nach Wien. Dort richten sie u.a. einen Montessori-Kindergarten ein, bauen einen Tennisklub und statten luxuriöse Wohnungen und Villen aus, wie die des Avantgarde-Architekten Adolf Loos.

Wer etwas auf sich gehalten hat und modern und schick war, hatte ein Stück von Singer/Dicker in seiner Wohnung stehen. Sie waren Modearchitekten.

Georg Schrom, Architekt

Viele ihrer Entwürfe tragen den Namen Fritz Singers

Der Architekt Georg Schrom, ein Spezialist für Friedl Dicker, betont, dass sie ihre Konzeptionen namentlich nicht kennzeichnete. So firmieren die Arbeiten der Künstlerin noch heute unter Fritz Singers Namen.

1931 trennt sich Dicker von Singer – beruflich und privat. Da hat sie mehrere Abtreibungen hinter sich. Singer, verheirateter Familienvater, wollte keine Kinder mit ihr. Es folgt eine Zeit, in der sich Dicker politisch-sozial engagiert, erschütternde Fotocollagen nach John Heartfield schafft, in die kommunistische Partei eintritt. 1934 wird sie in Wien bei der Polizei aktenkundig, weil verhaftet.

1936 heiratet sie ihren Cousin Pawel Brandeis und findet zum ersten Mal in der Familie Ruhe, beginnt zu malen. Dichte, verinnerlichte Landschaftsbilder entstehen, von den Wäldern Böhmens, die wenig mit dem Bauhaus zu tun haben, heute aber zu Dickers besten Werken gehören.

Kunstlehrerin in Theresienstadt

1942 wird das jüdische Ehepaar ins KZ Theresienstadt deportiert. Ein Visum nach Palästina schlägt Dicker aus, da es den Abschied von ihrem Mann bedeuten würde. In Theresienstadt unterrichtet sie schließlich rund 100 Kinder in Kunst. Berührende Zeichnungen entstehen, die der Nachwelt erhalten sind.

Patrick Rössler, Bauhaus-Experte der Uni Erfurt, sagt, die Bilder der Kinder seien nur erhalten geblieben, weil Dicker sie versteckt habe. Heute sehe man, "wie intensiv sie die Bauhaus-Pädagogik verarbeitet und verinnerlicht und an andere weitergegeben hat."

So durchdringt das Bauhaus Friedl Dicker auch am Ende ihres Lebens. Sämtliche ihrer gebauten Zeugnisse aus der Zeit mit Fritz Singer aber werden zerstört. Am 9. Oktober 1944 wird die Künstlerin in Auschwitz-Birkenau vergast. Ihr Mann Pavel Brandeis überlebt den Holocaust.

Programmtipp Frauen am Bauhaus – Themenabend im Ersten

Mi, 13.02. | 20:15 Uhr (Film)
Lotte am Bauhaus

Mi, 13.02. | 22:00 Uhr (Doku)
Bauhausfrauen

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Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 04. Februar 2019 | 08:40 Uhr

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