Kunstaktion Vergängliches Pferd – Denkmal aus Zucker auf Leipziger Marktplatz
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Seit Samstag ist Leipzig um ein Denkmal reicher. Doch das wird nicht von Dauer sein. Das Zuckerpferd auf dem Marktplatz ist bewusst aus vergänglichem Material erbaut. Ein Antikriegsdenkmal, das an der Stelle steht, an der bis 1946 ein Siegesdenkmal pompös-teutonisch mit Säbeln, Uniformen und Pferden vermeintliche Macht zeigte.

Ein Pferd aus Zucker steht seit Samstag auf dem Leipziger Marktplatz. Es erinnert – 150 Jahre nach der Gründung des Deutschen Kaiserreiches und dem Ende des Deutsch-Französischen Krieges – ohne Pomp und Kriegsverherrlichung an die Zeit vor und nach 1871. Im Gegenteil, das Zuckerpferd ist ein Antikriegsdenkmal, es wird durch das Herstellungsmaterial Zucker zum vergänglichen Objekt, das Stück für Stück "stirbt".
Das vergängliche Denkmal gehört zum Projekt "Zucker. Rausch. Germania.", das sich kritisch mit Kriegsmonumenten auseinandersetzt. Die Aktion ist europaweit mit künstlerischen Interventionen in Berlin, Brno oder Strasbourg vernetzt.
Zucker statt Marmor
Das Material Zucker wurde bewusst als Gegensatz zu den üblichen Denkmal-Baustoffen wie Bronze, Marmor oder Stein gewählt. Das fragile Denkmal wurde nicht zur ewigen Erinnerung, Mahnung oder Einschüchterung nachfolgender Generationen gebaut – es wird lediglich einen Monat lang zu sehen sein. Das Pferd steht auf der Stelle, an der früher ein Siegesdenkmal 60 Jahre lang auf den deutsch-französischen Krieg hingewiesen hat – mit uniformierten Reitern und teutonischem Protz – bevor es 1946, nach dem Ende des verheerenden Zweiten Weltkrieges, abgerissen und eingeschmolzen wurde.
Die Grundlagen von Kriegen
Die Idee für das Zuckerpferd stammt von Aktiven der Schaubühne Lindenfels. Das Herstellungsmaterial wurde nicht nur aufgrund der Vergänglichkeit gewählt, Zucker war auch ein Treibstoff für die Preußischen Eroberungsfeldzüge. Denn die erste funktionsfähige Rübenzuckerfabrik der Welt wurde zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Preußen errichtet und industriell hergestellter Zucker verschaffte die ökonomischen Grundlagen für die Kriegsführung.
Wir wollen erinnern, was auf diesem Marktplatz alles passiert ist. Wir wollen darüber nachdenken, was so ein Monument leistet. Im Streit um Denkmäler heute, wo viele am liebsten wieder abreißen – was uns so ein abgerissenes Denkmal noch zu sagen hat.
Bundestagspräsident Dr. Wolfgang Schäuble, der das Leipziger Projekt als Schirmherr begleitet, kommentiert: "Das süße und vergängliche Material verfremdet die überlieferten Zeitzeugnisse aus Stein und Bronze. Die Künstler der Initiative wollen vor den rauschhaften Übersteigerungen von Nationalismus und Militarismus warnen. Zugleich erinnern sie an die vielfältigen gesellschaftlichen Auf- und Umbrüche der Epoche nach dem Deutsch-Französischem Krieg und der Reichsgründung – Veränderungen, die Deutschland bis heute prägen."
Die Denkmalaktion ist Teil des Themenjahres 2021 "Leipzig – Stadt der sozialen Bewegungen". Bis zum 17. September 2021 haben Besucherinnen und Besucher die Gelegenheit, das Zuckerpferd – beziehungsweise dessen aktuellen Vergänglichkeitsstand – zu besichtigen.
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 20. August 2021 | 16:30 Uhr