GeschichteAusstellung in Arnstadt zeigt Fotos von NS-Deportationen
Im Thüringischen Arnstadt auf dem Marktplatz ist noch bis zum 28. September ein großer blauer Lkw zu sehen. Er ist Teil der Wanderausstellung "#LastSeen", eines Projekts der Arolsen Archives, des weltweit größten Archivs über Opfer und Überlebende des NS-Regimes. Die Ausstellung zeigt Fotos von Menschen kurz vor ihrer Deportation. Zugleich suchen die Initiatorinnen und Initiatoren nach weiteren Fotos für die Forschung, die vielleicht noch auf Dachböden oder in privaten Archiven liegen.
Zwei kleine Mädchen, dick eingepackt in Wintermützen, Schals und Handschuhe – auf ihren Mänteln sind Judensterne. Das eine Mädchen blickt mit großen Augen in die Kamera, das andere mit einem flüchtigen Lächeln in die Ferne.
Die Initiative "#LastSeen. Bilder der NS-Deportationen" wirbt mit ihrer Wanderausstellung um Unterstützung ihrer Recherche. Sie sucht Bilder der Deportationen aus dem Deutschen Reich zwischen 1938 und 1945. Die Bilder zeigen die letzten Momente von Frauen, Männern und Kindern, kurz vor dem Abtransport in Ghettos oder Lager – und das sehr eindrücklich.
Die Bilder von Deportationen lassen viele Fragen offen
Wer waren die Deportierten? Wer fotografierte? Wer die Täter, wer die Zuschauer? Die Initiative will diesen Fragen nachgehen. Jörg Kaps, der die Ausstellung in Arnstadt begleitet und sich seit Jahren für die lokale Aufarbeitung der NS-Vergangenheit engagiert, vermutet, dass es noch unentdeckte Fotos und Informationen über die damalige Zeit gibt. Sei es in Familienalben, auf alten Dachböden oder durch Erzählungen: "Die wird es schon noch geben. Die schlummern irgendwo. Genauso wie es Geschichten gibt, die mir Menschen dann erzählen."
Er selbst stieß als Kind in dem Album seines Großvaters auf so ein Bild. Neben Fotos von zerbombten Städten und Soldaten war auch eines dabei, welches eine zusammengedrängte Männergruppe zeigte:
"Glauben Sie mir, als Kind wusste ist nicht, was ich da sehe. Heute weiß ich das. Und ich behaupte, dass es solche Fotos in vielen überlieferten Fotoalben unserer Großväter oder Urgroßväter gibt. Er war nicht bei der SS, er war Wehrmachtssoldat, und trotzdem frage ich mich: Warum fotografierst du eine Gruppe männlicher zusammengetriebener Juden? Warum machst du das?"
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Oft ist unklar, was auf alten Fotos zu sehen ist
Unbeantwortete Fragen. Die Deportationen fanden an konkreten Orten statt. An öffentlichen Plätzen, meist bei Tag. Die Menschen müssen es damals gesehen und vielleicht auch fotografiert haben. Bisher gibt es 550 dieser Fotografien aus circa 50 Orten. Die Initiative LastSeen hilft dabei, diese Bilder zu finden, zu entschlüsseln und zu verstehen, erklärt Projektleiterin Alina Bothe:
"Die Frage ist ja: Woran erkenne ich ein Deportationsfoto? Man sieht Menschen mit Gepäck in der Gegend stehen, man sieht vielleicht Polizei an einem LKW stehen, manchmal sieht man Leute, die in einen Zug steigen, steigen müssen, und da steht Polizei, was vielleicht ein bisschen irritiert. Also es ist nicht immer ganz einfach zu erkennen."
Aber wichtig für Bildung und Forschung. Die Arolsen Archives wollen das Bildmaterial zusammentragen und für die Öffentlichkeit zugänglich machen.
Informationen zur Wanderausstellung
"#LastSeen. Bilder der NS-Deportationen"
Marktplatz Arnstadt
Zu sehen bis zum 28. September 2022, wochentags von 8 Uhr bis 17 Uhr.
Im Anschluss wird die Ausstellung in Weimar und Nordhausen gezeigt.
Redaktionelle Bearbeitung: Hendrik Kirchhof
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Dieses Thema im Programm:MDR KULTUR - Das Radio | 23. September 2022 | 13:40 Uhr