Frauen am Bauhaus Warum Weberin Margaretha Reichardt das Bauhaus verließ

Das Wirken von Künstlerinnen am Bauhaus ist nach wie vor ein blinder Fleck in der Wahrnehmung. Beim Stichwort Bauhaus denken wohl die meisten zuerst an Walter Gropius oder Mies van der Rohe. In welchem Umfang Frauen die weltberühmte Kunstschule der Moderne mitgestalteten, ist nur wenigen bekannt. So sind auch Aufnahmen aus dieser Zeit selten. Eine der Künstlerinnen, die am Bauhaus Dessau ausgebildet wurde, ist die Weberin Margaretha Reichardt. Eine "Jüngerin der Moderne" war sie jedoch nicht.

Margaretha Reichardt mit Pelzkragen.
Margaretha Reichardt (Aufnahme von 1933) Bildrechte: Angermuseum Erfurt

Das Reichardt-Haus in Erfurt-Bischleben, mit Original-Werkstatt, zählt zu den bedeutenden Bauhaus-Erinnerungsorten. Im Bauhaus-Jubiläumsjahr 2019 wird es mit einer Schau zu Margaretha Reichardt neu gestaltet. Zwei Webstühle in der Kellerwerkstatt im Haus auf dem Bischlebener Kirchberg stammen direkt aus dem Bauhaus Dessau. Margaretha Reichardt übernahm sie 1933, als die Schule schließen musste. Heute ist die Kellerwerkstatt in dem Erfurter Ortsteil ein technisches Denkmal. Vier weitere Webstühle stehen darin, an denen Reichardt von 1942 bis zu ihrem Tod 1984 mehr als 50 Weber und Weberinnen ausbildete.

Im Margaretha-Reichardt-Haus in Erfurt-Bischleben: Werkstatt mit einem von mehreren Bauhauswebstühlen, seit 1987 technisches Denkmal.
Blick in das Margaretha-Reichardt-Haus in Erfurt-Bischleben: Werkstatt mit einem von mehreren Bauhauswebstühlen. Bildrechte: Angermuseum Erfurt

Mitten in den Kriegswirren nahm die Bauhaus-Weberin den Lehrlingsbetrieb auf, der ihr Vermächtnis werden sollte. Bereits ab 1936 ist Reichardt, Jahrgang 1907, Mitglied der Reichskulturkammer. Auf eine Mitgliedschaft in der NSDAP gibt es zwar keine Hinweise – die Teilnahme an diversen Kunsthandwerksmessen ist aber so gesichert. Im Reichardt-Haus schellt noch heute eine Klingel mit Reichsadler, das Entrée des Hauses zeigt nur in zwei Wandteppichen die Bauhäuslerin, sonst ist es, Weihnachten etwa, mit Volkskunst geschmückt.

Reichardt mobbte ihre Meisterin

Reichardt insistierte ausdrücklich nicht auf ihrer Ausbildung am Bauhaus. Zu weben und die Heimat nicht verlassen zu müssen, war ihr wichtiger. "Nicht alle, die am Bauhaus waren, waren Jünger der Moderne", sagt Kai-Uwe Schierz, Direktor des Angermuseums Erfurt, zu dem das Reichardt-Haus gehört. "Und interessant ist, dass wir dieses Haus als überhaupt nicht modern empfinden, es ist ein sehr traditionelles Haus. Ein Haus, das damals den Denkmalvorstellungen entsprach, damals nannte man den Denkmalschutz noch Heimatschutz."

Das Bauhaus in Dessau in einer Archivaufnahme von 1935
Das Bauhaus in Dessau (1935) Bildrechte: imago/Arkivi

Sich durch die ästhetischen Wirren der NS-Zeit als auch der DDR zu lavieren und dabei den eigenen Stil nicht zu verlieren, war die Lebensaufgabe, die Reichardt zu meistern hatte. Mitten im Zeitalter höchster Industrialisierung hilft ihr ihr unbedingter Wille zur Handweberei. Der daraus entspringende Konflikt sollte sie lebenslang begleiten. Am Bauhaus in Dessau offenbarte dieser Konflikt die Schatten in ihrem Charakter: Mit zwei weiteren Kommilitonen dichtete Reichardt ihrer Meisterin Gunta Stölzl homosexuelle Nachstellungen an, mobbte sie wegen ihres jüdischen Ehemannes und stellte schließlich Stölzls gesamte Befähigung in Frage. Stölzl ging aufgrund dieser Affäre. Auch Reichardt verließ das Bauhaus und entschloss sich zum Aufbau einer eigenen Manufaktur.

Im Schatten der großen Bauhaus-Namen

Margaretha Reichardt, Rockstoff mit Karomuster
Rockstoff mit Karomuster von Margaretha Reichardt Bildrechte: Angermuseum Erfurt

Museumsdirektor Schierz sagt, die erfolgreiche Weberei-Werkstatt am Bauhaus Dessau habe für die Studierenden auch unangenehme Konsequenzen gehabt. Sie seien zu Akkordarbeit gezwungen worden. Die Weberei-Werkstatt unter Stölzl sei auch wirtschaftlich erfolgreich gewesen. "Aber das war etwas, das sich nur positiv für die Studierenden auswirkte. Deshalb haben einige dann gegen Stölzl revoltiert."

Nichtsdestotrotz ist Grete Reichardt, wie die Künstlerin auch genannt wurde, mit ihren Gobelins und ihren Steckpuppen bis heute in jeder großen Bauhaus-Publikation vertreten. Ihre Randstellung im Schatten der großen Bauhaus-Namen, verschuldete sie größtenteils selbst. Trotzdem kam keine Bauhaus-Frau zu höheren staatlichen Weihen als Reichardt. In der DDR verliehen ihr vor allem ihre Gobelins und Tapisserien – gern nach unverfänglichen Themen der Klassik und Antike – ein hohes Renommee. Dazu zählen unter anderem die neunteilige Wandgestaltung für das Nationaltheater Weimar "Der faustische Mensch".

"Sommerkönigin" am Bauhaus Dessau

Reichardt erhielt zahlreiche Kunstpreise. Zu ihrer Ausbildung in Dessau bekannte sich die Künstlerin erst in ihrem letzten Lebensjahrzehnt, in dem sie dem Bauhaus stilistisch verwandte Entwürfe für Tapisserien erschuf. Die Forschung zu Reichardt, der "Sommerkönigin" am Bauhaus-Dessau, mit dem rötlichen Schimmer im Haar, dürfte noch nicht am Ende sein. Die Versuchung ist stark, sie für eine Opportunistin zu halten.

Programmtipp Frauen am Bauhaus – Themenabend im Ersten

Mi, 13.02. | 20:15 Uhr (Film)
Lotte am Bauhaus

Mi, 13.02. | 22:00 Uhr (Doku)
Bauhausfrauen

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Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 06. Februar 2019 | 06:15 Uhr

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