"Wurzeln im Wandel" Ausstellung in Bautzen fragt nach sorbischer Identität heute und morgen
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Die Ausstellung "Čej' da sy? Wurzeln im Wandel" nimmt Alltag, Kultur und Glauben der Sorbinnen und Sorben in der Region zwischen Kamenz, Bautzen und Hoyerswerda in den Blick. Dabei sind die Exponate vielfältig, von historischen Artefakten über ein "Sorbentelefon" für existenzielle Fragen bis hin zu Videos mit feministischem Rap auf Obersorbisch. Traditionen der slawischen Minderheit und die Zukunft der eigenen Identität erkundet das Projekt bis 22. Oktober 2023 im Sorbischen Museum Bautzen.

"Čej' da sy?" heißt: "Woher kommst Du?" Diese Frage stellen sich die Angehörigen der sorbischen Minderheit in Sachsen untereinander, wenn sie sich kennenlernen. Wie sie zu verstehen ist, erklärt Andrea Paulik, Kuratorin der gleichnamigen Sonderausstellung im Sorbischen Museum in Bautzen: "In welches Kästchen der Identität soll ich Dich stecken? Zu welcher Familie gehörst Du? Aus welchem Ort bist Du? Weil sich doch viele untereinander kennen." Stammen die Befragten dabei aus der Gegend zwischen Kamenz, Bautzen und Hoyerswerda, ist es wahrscheinlich, dass es sich um katholische Sorben handelt. Deren Leben nimmt die Ausstellung "Cej da sy?" nun in den Blick. Es sei eine spannende Region, so Paulik: "Wo noch Sorbisch gesprochen wird, wo eigentlich noch vieles traditionell in Ordnung ist – mit Anführungsstrichen."
Ausstellung über Alltag und Kultur: Innenschau und Selbstreflexion
Die Anführungsstriche sind wichtig. Im Sorbischen Museum betreibt man die Selbstbetrachtung mit kritischer Distanz. Fragt in Themenbereichen wie "Glaube und Zeichen", "Alltag" oder "Sprache und Nationalbewusstsein" nach den essenziellen Zutaten der sorbisch-katholischen Identität, nach Veränderungen und Konstanten. "Čej' da sy?" – das sei auch eine Frage an jeden selbst, so Paulik: "Wer bin ich? Bin ich noch das, was ich denke oder vorgebe? Was passiert mit uns in Zukunft? Was passiert mit unserer Jugend, wird sie zurückkommen zu ihren Wurzeln?"
Neben historischen Objekten haben die Kuratoren zahlreiche Artefakte aus der sorbischen Subkultur zusammengetragen, die vor allem die Lebenssituation der jungen Generation zeigen sollen. Da sind zum Beispiel hunderte von Eintrittskarten, die ein junger Mann in den 80er-Jahren wöchentlich für den örtlichen Dorftanz gelöst und sorgfältig aufbewahrt hat. Auch der sorbische Tanzboden fungiert als Heiratsmarkt. Ob sich der Einsatz gelohnt und er die Richtige gefunden hat? Richtig, das heißt in diesem Fall auch: keine Deutsche. "Es ist ja auch bekannt, dass man natürlich möglichst auch einen sorbischen Partner sucht, um auch die Sprache zu pflegen, weil das für einen deutschen Partner natürlich schwieriger ist", bestätigt die Kuratorin. "Klar, man hofft auf den Lottogewinn, dass einer alles vereint, aber das ist Wunschdenken."
Umfrage: "Wir müssen lernen, dass sich die Welt weiter dreht"
Die Antworten auf eine anonyme Umfrage, die das Museum in diesem Jahr unter jungen Sorben und Sorbinnen durchgeführt hat und die auf einer Ausstellungswand abgedruckt sind, bestätigen das weitestgehend. Gefragt, was sich in der sorbischen Gesellschaft ändern sollte, fallen die Antworten klar aus: "Konservatismus ist Gift für das Sorbentum", heißt es da. Oder: "Wir müssen lernen, dass sich die Welt weiter dreht."
Feministischer Rap auf Obersorbisch
Wie das gehen kann, zeigt zum Beispiel die Musikerin und Filmemacherin Sophia Ziesch. Sie mischt in ihren Arbeiten sorbische Motive mit urbanen, subkulturellen Einflüssen. Neben einer Klanginstallation ist sie mit einigen Videoclips ihrer Gruppe Kolektiw Klanki vertreten. Die Band rappt in ihrer Muttersprache Obersorbisch über Themen wie Feminismus oder patriarchale Strukturen. Ziesch betont, dass sie keinesfalls die Traditionen infrage stellen wolle: "Ich glaube, es braucht sowohl ein Bestehen des Alten, als auch eine Weiterentwicklung in neue Formen, damit diese Kultur weiter bestehen bleibt – und die Sprache. Und dass sie anschlussfähig bleibt an die moderne Welt."
"Sorbentelefon" für existenzielle Fragen
Im letzten Raum beweisen die Resultate eines Schülerprojektes, dass eine gewisse Portion Selbstironie vieles leichter macht. Auch die Suche nach Antworten auf existenzielle Fragen. Neben originellen Spielen, die die Schüler gemeinsam entwickelt haben, steht dort auch ein "Sorbentelefon". Ein Festnetz-Seniorentelefon, bei dem man sich, statt mit Rettungswagen, Polizei und Feuerwehr mit einem katholischen Priester, der sorbischen Stiftung Domowina oder einer Großmutter in Tracht verbinden lassen kann. Da sollten eigentlich keine Fragen offen bleiben. Vielleicht auch nicht die: "Woher kommst Du? Čej' da sy?"
Angaben zur Ausstellung
Sorbisches Museum Bautzen
Ortenburg 3
02625 Bautzen
"Čej´ da sy? Wurzeln im Wandel"
14.05.-22.10.2023
Begleitprogramm
Sonnabend, 03.06.2023, 10-18 Uhr
Workshop "Ansichten", Karikaturen und Flächengestaltung, Stefan Hanusch, Maja Nagel
Sonnabend, 10.06.2023, 10-17 Uhr
Mit dem Fahrrad durch die sorbische katholische Lausitz,
Tour 1: Durch das sorbische Kerngebiet und die Klosterpflege, Leitung Thadäus Schiemann
Sonnabend, 15.07.2023, 10-17 Uhr
Mit dem Fahrrad durch die sorbische katholische Lausitz,
Tour 2: Zum Klosterwasser und durch Delany - das Unterland, Leitung Thadäus Schiemann
Dienstag, 05.09.2023, 14:30-18 Uhr
Workshop "Wer bist du?", Pantomime, Mirko Brankatschk
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 20. Mai 2023 | 08:40 Uhr