Sammlung zeitgenössischer Kunst des Bundes Chemnitz: Museum Gunzenhauser zeigt die Bunte Republik Deutschland

Nicht Schwarz-Rot-Gold, sondern grün, blau und rosa strahlt die Lichtinstallation von Silke Wagner im Museum Gunzenhauser. Wie bunt die zeitgenössische deutsche Kunstszene ist, zeigen jetzt 50 Arbeiten aus der Sammlung der Bundesrepublik Deutschland in dem Chemnitzer Museum. Zu sehen ist die Schau unter dem Titel "present perfect" dort bis Anfang Februar 2023. Ausgewählt wurden Werke von 44 in Deutschland lebenden Künstlerinnen und Künstlern, die sich Themen wie Migration, Identität und Stereotypen widmen.

Bund erleuchtete Buchstaben formen sich zum Schriftzug "Die Deutsche Bevölkerung", Lichtinstallation von Silke Wagner
Das Museum Gunzenhauser in Chemnitz zeigt zeitgenössische Kunst aus Deutschland, die sich Themen wie Migration, Identität und Geschlecht widmet. Bildrechte: Silke Wagner, VG Bild-Kunst, Bonn

Tamina Amadyar ist 1989 in Kabul geboren, lebt seit den 1990er-Jahren in Deutschland und hat in Düsseldorf bis 2014 Kunst studiert. Ihr großformatiges Gemälde "present perfect" zeigt leuchtende Farbfelder in Grün und Blau. Es könnten zwei Hände sein, die sich vom oberen Rand des Gemäldes in die Mitte schieben und eintauchen in ein undefiniertes Gewässer.

Museum Gunzenhauser gibt Einblicke in die Sammlung des Bundes

Für Anja Richter, Kuratorin der Ausstellung, ist es "eine wunderbare Arbeit, die eben auch auf eine ganz abstrakte Weise von einer multiethnischen Biografie erzählt. Ihre Arbeiten werden eigentlich immer von zwei Farben dominiert." Das Gemälde "present perfect" ist eines von 360 aktuellen Neuerwerbungen der Sammlung zeitgenössischer Kunst des Bundes und gab der Ausstellung ihren Titel, den Anja Richter so erklärt: "'Present perfect' meint (im Englischen) diese Zeitform, die in der Vergangenheit beginnt und bis in die Gegenwart reicht. Deswegen fand ich das als Titel für diese Gesamtausstellung so wunderbar."

Stichwort: Sammlung zeitgenössischer Kunst der Bundesrepublik Deutschland

Seit mehr als 50 Jahren sammelt die Bundesrepublik Deutschland zeitgenössische Kunst. Mittlerweile umfasst diese Sammlung rund 2.000 Arbeiten. Der Bund entscheidet über die Ankäufe aufgrund der Empfehlungen einer unabhängigen Kommission von Sachverständigen, deren fünf Mitglieder jeweils für fünf Jahre von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien berufen werden. Darüber hinaus stellte der Bund zur Förderung der Arbeit von Künstlerinnen und Künstlern in der Pandemie zusätzliche Ankaufsmittel im Rahmen des Programmes NEUSTART KULTUR zur Verfügung.

Einen eigenen, festen Präsentationsort gibt es nicht. Neuerwerbungen der vergangenen fünf Jahre wurden zunächst in der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn gezeigt. Jetzt haben sich die Depots geöffnet für zeitgleiche Ausstellungen in Chemnitz und Nürnberg, die in Kooperation entstanden.

Mitglieder der aktuellen Ankaufkommission sind Dr. Ulrike Groos / Kunstmuseum Stuttgart, Anna-Catharina Gebbers / Hamburger Bahnhof — Museum für Gegenwart, Dr. Friedrich Meschede / bis Ende 2019 Kunsthalle Bielefeld und Roland Nachtigäller / Museum Marta Herford. Ihre Amtszeit wurde um ein Jahr bis Ende 2022 verlängert. Rein Wolfs, bis Ende 2019 Intendant der Bundeskunsthalle und jetzt Direktor des Stedelijk Museum Amsterdam, ist Ende 2019 auf eigenen Wunsch aus der Kommission ausgeschieden.

Fokus der Ausstellung in Chemnitz: Welche Identität hat Deutschland?

50 zeitgenössische Neuerwerbungen der letzten fünf Jahre hat Anja Richter als Kuratorin des Museums Gunzenhauser für die Chemnitzer Ausstellung ausgewählt. Dem Kuratoren-Team für die Ausstellung im Neuen Museum Nürnberg hat sie die meisten der aus Mitteldeutschland stammenden Arbeiten überlassen: "Das war der Ansatz, dass die Namen, die hier präsenter sind, jetzt in Nürnberg gezeigt werden. Und andersherum."

Einen Schwerpunkt für die Auswahl in Chemnitz setzte Anja Richter auf das Thema Identität in Deutschland und erklärt dazu: "Was auffällt bei den Ankäufen: Es sind zahlreiche Positionen von Künstlerinnen mit Migrationshintergrund dabei, mit ganz unterschiedlichen Perspektiven auf den deutschen Staat, die Bürokratie, die Gesellschaft." Perspektiven, die von Deutschland als Einwanderungsland erzählen, von Migration, Rassismus, Stereotypisierung und auch Solidarität.

Kunst zwischen Bier und Bundestag

Konzeptkünstler Emeka Ogboh lebt in Lagos/Nigeria und Berlin. In einer Fotoserie, die mit afrikanischen Stereotypen spielt, inszenierte er im Casino von Baden-Baden vier nigerianische Landsleute in Biertrinkerpose – und mit einem eigens gebrauten "afrikanisch" schmeckenden und folglich dunklen Bier.

Mehrfarbig leuchtet die Lichtinstallation von Silke Wagner, sie trägt den Schriftzug "Die Deutsche Bevölkerung" und erinnert damit zunächst an den Schriftzug auf dem Reichstag "Dem deutschen Volke", wie Anja Richter erklärt. Gleichzeitig nehme sie aber auch Bezug auf die dort entstandene Arbeit von Hans Haacke mit dem Titel "Der Bevölkerung". "Volk" oder "Bevölkerung" mache sehr wohl einen Unterschied, sagt Richter: "'Bevölkerung' schließt ja alle ein, die in einem Land leben."

Chemnitzer Museum zeigt migrantischen Blick auf Deutschland

Nicht Schwarz-Rot-Gold, sondern grün, blau und rosa strahlen die Lichtreflexe von Silke Wagners Arbeit nun im Museum Gunzenhauser in Chemnitz – auch auf die drei großformatigen Schwarz-Weiß-Zeichnungen von Bussaraporn Thongchai. Für Anja Richter "eine absolute Lieblingsentdeckung". Die thailändische Künstlerin lebt in Berlin, ihre Zeichnungen sind dort in einem Frauenhaus entstanden. "In diesem Frauenhaus wurden vor allem Migrantinnen betreut, die aus Afrika und Südostasien stammen, und teilweise sehr schwierige Vorgeschichten von Prostitution oder Verfolgung mitbrachten. Und diese Geschichten hat Bussaraporn Thongchai in dennoch wunderschönen Zeichnungen wiedergegeben." Insgesamt drei Arbeiten hat Anja Richter ausgewählt und extra zwei aus dem Depot in Berlin kommen lassen: "Weil mir eine nicht gereicht hat."

Es sei unheimlich schwierig gewesen, aus der Vielzahl herausragender Arbeiten eine Auswahl zu treffen, sagt die Kuratorin. Spannend sei dabei nicht nur der migrantische Blick auf Deutschland gewesen, sondern auch die Materialität, zahlreiche Arbeiten basierten auf Textilien.

Vergessene Künstlerinnen wie Beuys-Schülerin Irena König vertreten

Der Fokus der Auswahl im Museum Gunzenhauser liegt zwar nicht auf junger Kunst, dennoch lassen sich da einige Entdeckungen, neben Bussaraporn Thongchai beispielsweise mit Pauline Stopp, 1989 in Zschopau geboren, studierte sie Textil in Schneeberg, heute lebt und arbeitet sie in Greifswald. In der Sammlung finden sich vor allem namhafte, aber auch bereits vergessene Kunstschaffende wie die Beuys-Schülerin Irena König: "Wir zeigen hier den Macht-Peter, eine wunderbare Arbeit zum Thema Macht und Gewalt" erläutert Kuratorin Anja Richter.

Eigentlich warten die Sammlungsobjekte zeitgenössischer Kunst der Bundesrepublik im Berliner Depot darauf, von kunstsinnigen Ministerialbeamten, Mitarbeitenden oder Museen ausgeliehen zu werden. Das wunderschöne ornamentreiche Textilbild von Nevin Aladağ, 2017 angekauft, war aber leider nicht für Gunzenhauser in Chemnitz ausleihbar, bedauert Anja Richter. Das hängt wohl - vermutet sie - im Büro von Annalena Baerbock. "Und das verstehe ich natürlich, dass sie das schöne Bild nicht rausrücken wollte."

Angaben zur Ausstellung

PRESENT PERFECT
Ausstellung bis zum 12. Februar 2023
Museum Gunzenhauser Chemnitz
Theaterplatz 1
09111 Chemnitz

Öffnungszeiten:
Di, Do–So, Feiertag 11–18 Uhr
Mi 14–20 Uhr
In der Zeit vom 1. Oktober 2022 bis zum 21. März 2023 schließen wir alle Häuser mittwochs eine Stunde früher.

24.12. & 31.12. geschlossen

Eintritt: 8 Euro, ermäßigt 5 Euro
Am 1. Freitag im Monat ist der Eintritt in den Museen der Stadt Chemnitz kostenfrei. Für Kinder und Jugendliche bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres sowie für Schüler:innen, Studierende der TU Chemnitz, Chemnitzpass-Inhaber:innen und Betreuer:innen von Schwerbehinderten ist der Eintritt ins Museum immer kostenfrei.

Ausstellung mit rund 50 Arbeiten von vor allem in Deutschland lebenden Künstlerinnen und Künstlern, die Neuerwerbungen der Sammlung zeitgenössischer Kunst des Bundes aus den letzten fünf Jahre präsentiert. Mit Malerei, Fotografie, Zeichnungen, Videoarbeiten, Skulptur oder Installationen - auf zwei Etagen.

Künstlerinnen und Künstler:
Frank Ahlgrimm, Tamina Amadyar, Karimah Ashadu, Benjamin Badock, Gerry Bibby, Matthias Bitzer, Pauline Boudry, Sebastian Burger, Christina Chirulescu, Inga Danysz, Esra Ersen, Ayan Farah, Nadine Fecht, Anett Frontzek, Stefan Fuchs, Stephanie Gudra, Faisal Habibi, Simon Hehemann, Lena Henke, Margret Hoppe, Tilman Hornig, Klára Hosnedlova, Nadira Husain, Stephan Janitzky, Franka Kassner, Erinna König, Renate Lorenz, Katja Novitskova, Emeka Ogboh, Henrik Olesen, Judith Rautenberg, Havin Al-Sindy, Camilla Steinum, Pauline Stopp, Johanna Strobel, Stephen Suckale, Benedikt Terwiel, Bussaraporn Thongchai, Sung Tieu, Nasan Tur, Silke Wagner, Jasmin Werner, Christoph Wüstenhagen, Malte Zenses

Redaktionelle Bearbeitung: Katrin Schlenstedt, MDR Kultur

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Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 11. November 2022 | 07:40 Uhr

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