RetrospektiveVon Krieg und Verlust geprägte Kunst: Chemnitzer Ausstellung würdigt Michael Morgner
Michael Morgner gehört zu den interessantesten Künstlern seiner Generation. Der 1942 in Chemnitz geborene Maler, Grafiker und Bildhauer hat ein unverwechselbares Werk geschaffen, in dem er um große Fragen der menschlichen Existenz kreist. Es geht um Tod, Gewalt, Zerstörung, das Werden und Vergehen der Natur und den Glauben an die Kraft der Kunst. Zu seinem 80. Geburtstag wird der Künstler nun mit der großen Retrospektive "Lebenslinien" in den Kunstsammlungen Chemnitz gewürdigt. Ein Besuch in Morgners Atelier in Einsiedel.
Michael Morgner lebt wie im Märchen. Sein blutrotes Haus steht mitten in einem Laubwald auf einem Berg. Es ist umgeben von einem wilden Garten mit Felsen und Wasser, der Blick aus dem lichtdurchfluteten Atelier geht hinaus in diese Bilderbuchidylle. Und da stellt sich natürlich die Frage: Wie hat ihn denn diese Umgebung beeinflusst? "Alles, was ich abstrakt umgesetzt habe, ist eigentlich hier aus der Landschaft", erzählt Morgner mit Blick auf seine Stahlplastiken.
Subversive Kunst in DDR-Zeiten
Michael Morgner bezeichnet sich als fanatischen Erzgebirgler, doch sein Blick ging immer über den Tellerrand hinaus. Schon als Student an der Leipziger Kunsthochschule litt er unter der Enge der DDR und der offiziellen Kunstdoktrin. Und so wollte er die Grenzen der Kunst für sich erweitern, deshalb ließ er sich auch von westlichen Happenings inspirieren. Als Mitbegründer der Künstlergruppe "Clara Mosch" inszenierte er spontane Aktionen – wie zum Beispiel auf einem Schrottplatz. Morgner erinnert sich: "Ich sah die Überreste eines Traktors, setzte mich darauf, damals noch blondgelockt mit wehendem Haar, und mimte einen Original-LPG-Zukunftstraktorfahrer. Ich finde, besser kann man die DDR nicht zeigen: Ein Traktor ohne Räder und Motor und ein klassenbewusster Fahrer."
"Helden der DDR" – so hat er diese Fotoserie genannt – doch neben diesen subversiven Kunstaktionen beschäftigte er sich auch intensiv mit dem Zeichnen. Hier lotete er die Grenzen von Figuration und Abstraktion aus. Dieser Hang zum Ungegenständlichen zeigt sich vor allem auch bei seinen raumfüllenden Bildern. Dabei geht er mit Leim, Wasserschlauch, Asphaltlack und Bürsten ans Werk – und dabei wird dann geschichtet und weggeschrubbt, geschöpft und zerstört. Diese experimentellen Leinwände nennt er Lavagen, zu deutsch "Waschungen". Die Inspiration dazu bekam er bei einem Ostseeurlaub, erzählt Morgner:
"Ich saß an der Ostsee am Strand und zeichnete. Ich hatte eine Zeichnung fertig, die mir überhaupt nicht gefiel, und schmiss sie ins Wasser, in die Wellen. Nach einer Viertelstunde war sie wieder am Strand. Und da ich geizig bin, dachte ich mir, ich könnte sie trocknen und die Rückseite wiederverwenden. Als sie angeschwemmt wurde, sah ich einen großen Tuschefleck, der darauf entstanden war, und das Innenleben dieses Tuscheflecks war ein wunderbares Silbergrau. Und das hat mein ganzes Leben auf den Kopf gestellt."
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Morgners Erfahrungen prägen seine Kunst
Das Spiel des Zufalls, das Spiel von Tusche und Wasser auf der Leinwand hat sein facettenreiches Werk in den letzten Jahrzehnten geprägt. Und diese Lust am spielerischen Entdecken hat auch seine Bildhauerei und seine grafischen Arbeiten beflügelt.
Dabei geht es vielfach um existentielle Themen wie Gewalt und Zerstörung, um den geschundenen Menschen und das Sterben. Und das hat der Künstler in den 80er-Jahren am eigenen Leib erfahren: "Meine erste Frau ist grausam an Krebs gestorben", so Morgner. "Ich habe sie bis zum letzten Tag begleitet. An ihrem Sterbebett habe ich kleine Bleistiftzeichnungen gemacht. Und daraus ist dann eine Reihe großer schwarzer Madonnen entstanden, um meiner Frau ein Denkmal zu setzen. Das ist eine Arbeit, die macht man nur einmal im Leben. Ich denke, das wird mit das Beste sein, was ich in meinem Leben gemacht habe."
Kunstsammlungen ehren Chemnitzer Künstler mit großer Retrospektive
In diesen bewegenden Arbeiten haben sich die Lebenslinien des Künstlers tief eingezeichnet. Diesen existentiellen Suchbewegungen kann man nun in der Chemnitzer Retrospektive nachgehen. Und so verkörpern sie zugleich auch ein utopisches Moment – als Glauben an die Produktivkraft der Kunst.
Informationen zur Ausstellung
- "Michael Morgner. Lebenslinien"
- Laufzeit: 24. Juli bis 31. Oktober 2022
- Ausstellungsort: Kunstsammlungen am Theaterplatz I Theaterplatz 1, 09111 Chemnitz
- Öffnungszeiten: Dienstag, Donnerstag bis Sonntag, Feiertag: 11 bis 18 Uhr, Mittwoch 14 bis 21 Uhr
(Redaktionelle Bearbeitung: Rebekka Adler)
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Dieses Thema im Programm:MDR KULTUR - Das Radio | 22. Juli 2022 | 07:40 Uhr