Kulturhauptstadt Chemnitz 2025Inklusiv Bildhauern: Künstlerin präsentiert Engel und Bergmann in Chemnitz mal anders
Engel und Bergmann gehören zu den ursprünglichsten Motiven der erzgebirgischen Tradition: der Bergmann als jener, der untertage umgeben von Dunkelheit nach Erz schürft, und der Engel, der ihm das Licht bringt und damit den Weg weist. Als Paar sind sie tief im Brauchtum des Erzgebirges verankert. Jetzt hat die Bildhauerin Christina Doll beide neu interpretiert und in Chemnitz vorgestellt.
Das erzgebirgische Figurenpaar Engel und Bergmann ist der in Köln aufgewachsenen und inzwischen in Berlin lebenden Bildhauerin Christina Doll seit Kindertagen vertraut. Auch bei ihr zu Hause wurde dieser Weihnachtsschmuck jedes Jahr in der Adventzeit aufgestellt, Erinnerungstücke der Familie, die Wurzeln im Erzgebirge hat.
Ihrer aktuellen Interpretation dieser traditionellen Motive ging eine frühere Arbeit aus dem Jahr 2009 voraus, monumentale, bis zu drei Meter hohe Betonskulpturen, für die übergewichtige oder auch gebrechliche Menschen Modell gestanden hatten - Menschen, die nicht dem gängigen Schönheitsideal entsprechen und die uns daran erinnern, dass niemand perfekt ist.
Ein Engel mit Down-Syndrom
Auch Christina Dolls Engel weicht von den herkömmlichen Vorstellungen ab. Auf den ersten Blick wird deutlich, dass hier eine junge Frau mit Trisomie 21 dargestellt ist. Anfangs mag das irritieren, doch je länger man diese etwa 1,20 Meter große Skulptur anschaut, um so vertrauter, umso stimmiger erscheint dieses Bild eines Verkündigungsengels, der segnend seine Arme ausbreitet.
Als die Künstlerin den ersten Entwurf dazu vor etwa zehn Jahren modellierte, hatte sie zuvor eine Gruppe junger beeinträchtigter Menschen bei ihren Proben zu einem Krippenspiel begleitet und dabei eine Reihe starker Persönlichkeiten kennengelernt.
Das war für mich eine schöne Erfahrung zu merken, dass die Begegnung zwischen Mensch und Mensch unbeeinträchtigt ist.
Christina Doll, Bildhauerin
Doll ergänzt: "Das war tröstlich insofern, als dass man diesen Menschen auch mehr Raum geben könnte, sie mehr teilhaben lassen könnte an gesellschaftlichen Prozessen."
Jeder Mensch ist wertvoll
Demnach versteht Christina Doll ihre Auslegung nicht nur in einem religiösen Sinn, der Engel als Gottesbote, sondern bringt ihn auf einer weltlichen Ebene auch mit dem ersten Satz aus Artikel 1 des Grundgesetzes in Verbindung: Die Würde des Menschen ist unantastbar.
Jeder Mensch ist wertvoll - das gilt in den Augen der Künstlerin ebenfalls für den Bergmann, der unter unmenschlichen Bedingungen die Rohstoffe zutage gefördert hat und noch fördert, die andere reich machen bzw. die wir dringend benötigen. Für diese Figur standen unter anderem die Wismut-Kumpel Pate, die zusammen mit ihren Familien die Folgen des Uranabbaus zu tragen haben. Ein Tabu, wie Christina Doll bei ihren Recherchen vor Ort erfahren hat, denn darüber wollte niemand sprechen.
Mehr zum Kunstparcours "Purple Path"
Cranach, Dürer und die Wismut-Kumpel standen Modell
Anders als mit dem Engelthema setzt sich Christina Doll mit dem Motiv des Bergmanns erst seit kurzem auseinander, seit die Anfrage kam, ein solches Figurenpaar für den "Purple Path" zu entwerfen, den Kunstparcours, der künftig Chemnitz, die Kulturhauptstadt 2025, mit 38 Städten im Erzgebirge verbinden soll.
Inspirieren ließ sich die Bildhauerin für diesen mageren, aber auch stolzen Mann mit Schutzhelm und freiem Oberkörper von Darstellungen auf dem Lucas-Cranach-Altar in der Schneeberger St. Wolfgang-Kirche. Außerdem von Albrecht Dürers bekanntem Selbstbildnis im Pelzrock, auf dem er sich im Jahr 1500 in der damals typischen Christus-Pose porträtierte, und natürlich von Fotografien der Wismut-Bergarbeiter. Eines der Bilder hatte es ihr besonders angetan: darauf ein Kumpel mit schmalem, nacktem Oberkörper, dem man die harte Arbeit untertage ansah.
Was mich angerührt hat an dem Foto, war der bloße Mensch, die Verletzlichkeit des Menschen, der versucht, zu bestehen und da Hilfe erwartet, auch um Hilfe bittet aus einer Welt, die lichterfüllt ist.
Christina Doll, Bildhauerin
Dafür ist ihm der Engel zur Seite gestellt, der oder in dem Fall die das Licht und damit Hoffnung bringt. Künftig soll dieses Figurenpaar für mehrere Orte im Erzgebirge modelliert werden, für Kirchen oder auch Andachtsräume. Über das Material ist die letzte Entscheidung noch nicht gefallen. Christina Doll denkt dabei an verschiedene Erze - Silber, Kobalt - oder auch Kaolin in Form von Porzellan. Und damit bewegt sie sich wiederum ganz in der Tradition des Erzgebirges, denn wie heißt es doch: Alles kommt vom Bergwerk her.
(Redaktionelle Bearbeitung: Tina Murzik-Kaufmann)
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Dieses Thema im Programm:MDR KULTUR - Das Radio | MDR KULTUR am Morgen | 11. November 2022 | 08:10 Uhr