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Kunstsammlungen am TheaterplatzFreiheitswille und Unterdrückung: Tschechische Fotografie von Kriegsende bis Prager Frühling

von Andreas Höll, MDR Kultur-Kunstredakteur

Stand: 19. November 2022, 04:00 Uhr

Die tschechische Fotografie blühte zwischen 1948 und 1968 auf – bis der russische Einmarsch zur Niederschlagung des Prager Frühlings diese Kreativität erstickte. Eine Ausstellung in Chemnitz stellt die fünf bedeutendsten Protagonisten der Kamera aus dieser Zeit vor: Josef Sudek, Vilém Reichmann, Emila Medková, Jan Svoboda und Josef Koudelka.

In Chemnitz ist eine Ausstellung zur Tschechischen Fotografie zwischen 1948 und 1968 zu sehen. Die Schau in den Kunstsammlungen am Theaterplatz trägt den Titel "Zwischen Avantgarde und Repression" und versammelt fünf bedeutende Fotokünstlerinnen und Fotokünstler der Nachkriegszeit.

Aufblühen und Niedergang der Fotografie

1948 war das tschechoslowakische Schicksalsjahr. Damals haben die Kommunisten die Macht erobert – und kurz darauf begannen die stalinistischen Säuberungen. Davon betroffen waren auch Fotokünstler der tschechischen Avantgarde.

Der Kurator der Kunstsammlungen Chemnitz, Philipp Freytag, beschreibt die Auswirkungen: "Im Prinzip wurde das Erbe der tschechoslowakischen Fotografie, das unglaublich reichliche Erbe der Zwischenkriegszeit, negiert. Ganz ähnlich, wie es zum Beispiel auch in der DDR passierte und in anderen sozialistischen Ländern. Es gab das Gebot des sozialistischen Realismus und die Künstler waren eigentlich angehalten, die lachenden Arbeiter und den Zukunftsoptimismus und den sozialistischen Fortschritt zu dokumentieren."

Surrealismus der Mauern und Wunden

Trotz der staatlichen Repression verfolgen viele Fotografinnen und Fotografen weiter ihren Weg – und dieser Weg, das ist der Surrealismus. Im Verborgenen arbeiten sie weiter, inspiriert von der Avantgarde der Zwischenkriegszeit. Und dazu gehört auch Vilém Reichmann. Er macht Fotos vom kriegszerstörten Prag  und schafft zugleich rätselhafte Chiffren.

Kurator Freytag beschreibt eines der Werke Reichmanns: "Die Fotografie 'Memento' zeigt eine Brandmauer, die von Putz befreite Ziegelfassade eines Hauses, in der ein unglaublich großes Loch klafft, was wahlweise aussieht wie ein Auge oder eine Fleischwunde. Das ist die Assoziation, die Vilém Reichmann da wecken will. Und das erinnert eben ganz stark an klassisch surrealistische Motive der Zwischenkriegszeit."

Eines der Bilder von Vilém Reichmann aus seinem Zyklus "Verwundete Stadt". Bildrechte: Mährische Galerie, Brünn / Moravská galerie v Brně / © VG Bild-Kunst, Bonn 2022

Das Auge als Motiv

Das surrealistische Motiv des Auges taucht auch in einer wundersamen Inszenierung von Josef Sudek auf, einem der bekanntesten Fotokünstlern des Landes. Zu ihr sagt Freytag: "Wir sehen hier also eine Art verwachsenen Baumstamm mit einer gesichtsähnlichen Form, in der Sudek ein künstliches, ein Glasauge einsetzt. Und gleichzeitig operiert er mit Stilmitteln wie einer Langzeitbelichtung, so dass eine menschliche Figur, die wir im Bild sehen, quasi ohne Unterleib zu sehen ist, sich so aus dem Nichts heraus schält."

Rehabilitation von Franz Kafka

Wie aus dem Nichts entstehen die Traumwelten von Josef Sudek. Doch in der Öffentlichkeit zeigen kann er sich nicht. Das ändert sich erst im Jahr 1963, als die Kulturpolitik in der Tschechoslowakei mit einem Mal liberaler wird. Und das führt dann auch zu der Rehabilitierung eines bis dato verbotenen Schriftstellers. Es ist Franz Kafka.

Mit der legendären Kafka-Konferenz in Prag wird auch Kafkas Meisterwerk "Die Verwandlung" rehabilitiert. Bald schon kann es veröffentlich werden – und die Fotografie für den Buchumschlag steuert Emila Medková bei. Sie zeigt ein Türschloss, aber ohne Klinke. Es ist geradezu ein idealtypisches Sinnbild für das Verschlossene und Kryptische in Kafkas Oeuvre.

Der kurze Prager Frühling bis zur russischen Invasion

Franz Kafka wird bald schon zum Idol des Prager Frühlings. Die jungen Demonstranten tragen sein Porträt wie eine Monstranz vor sich her. Bis im August 1968 alles vorbei ist und die russischen Panzer durch Prag rollen.

Der heldenhafte Widerstand von Männern und Frauen gegen die russischen Invasoren hält der berühmte Fotograf  Josef Koudelka in ikonischen Bildern fest. In Zeiten des Ukraine-Kriegs sind sie von beklemmender Aktualität. Und so zeigt diese Schau ein faszinierendes Kapitel tschechischer Kunstgeschichte. Sie erzählt von Freiheitswillen und Unterdrückung, von Avantgarde und Repression.

Redaktionelle Bearbeitung: op

Die Ausstellung"Zwischen Avantgarde und Repression"
Tschechische Fotografie von 1948 bis 1968
Fotos von Josef Sudek, Vilém Reichmann, Emila Medková, Jan Svoboda und Josef Koudelka

20. November 2022 bis 26. Februar 2023

Öffnungszeiten
Dienstag, Donnerstag bis Sonntag, Feiertag, 11 bis 18 Uhr
Mittwoch, 14 bis 20 Uhr

Kunstsammlungen am Theaterplatz
Theaterplatz 1
09111 Chemnitz

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Dieses Thema im Programm:MDR KULTUR - Das Radio | 18. November 2022 | 07:40 Uhr