Cristina Lucas Spanische Künstlerin zeigt beeindruckende Antikriegs-Botschaft in Chemnitz
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In Kapitalismus- und Kriegskritik üben sich die Kunstsammlungen Chemnitz mit ihrer neuen Sonderschau "Maschine im Stillstand". Gezeigt wird das genreübergreifende Werk der Künstlerin Cristina Lucas. Darunter sind auch Werke, die Luftbombardements auf Zivilisten im Lauf der Geschichte aufzeigen. Es ist die erste große Einzelausstellung der spanischen Künstlerin in Deutschland.

Gleich bei Betreten des großen Chemnitzer Oberlichtsaals sehen die Besucher der Schau "Maschine im Stillstand" mit Werken der spanischen Künstlerin Cristina Lucas, dass Kunst fast immer mit Recherche, in diesem Falle gar mit Archivarbeit zu tun hat. Mustergültig bedeckt ein Quellenverzeichnis eine ganze Wand, teils in chinesischen Lettern gehalten, so dass auch wirklich jeder begreift: Das Fundament, auf dem Lucas ihre Kunst begründet, ist solide ermittelt!
Und das in einer Zeit der Abschreibe-Skandale und gefälschten Doktortitel, in der Quellenverzeichnisse immer stärker in den Ruf gelangen, mehr Ornament als alles andere zu sein. Indessen: Medienkunst, die ihre Recherche in gewisser Weise vor sich her trägt, ist gerade schwer in Mode.
Der Tod aus der Luft
Was man schließlich in der Ausstellung zu sehen bekommt, kann die Künstlerin jedoch ohne eine gewisse Empirie nicht leisten: Zentral auf drei großen Leinwänden im Saal thematisiert sie die Geschichte der Luftangriffe auf die zivile Erdbevölkerung, chronologisch, "von ihren Anfängen bis heute", so der wahrhaft epische Anspruch.
Eine Leinwand zeigt Daten der Bombardements, die mittlere, auf Karten die Orte, an denen sie stattfanden, die rechte dokumentarische Fotos und Bewegtbilder von den Gräueln des Krieges. Diese Chronik der Auslöschung ist erschreckend, sie wäre es auch ohne detaillierte Recherche – jede Bombe ist eine zu viel. Picassos Gemälde der spanischen Stadt Guernica hat Lucas auch unter den Bildteppich gemischt.
Auch Chemnitz wurde bombardiert
Die Kunstsammlungen der im Zweiten Weltkrieg ebenfalls schwer bombardierten Stadt Chemnitz haben die Künstlerin mit ihrer Medieninstallation "Unending Lightning" zu ihrer ersten musealen Einzelausstellung in Deutschland eingeladen.
Das ist der Versuch, eine Darstellungsform zu finden, die das Ganze nicht ästhetisiert oder überästhetisiert, aber gleichzeitig fühlbar macht. Und man ist schon fassungslos, wenn man hier vor den Bildern steht.
Die Nacht vom 5. auf den 6. März 1945 war in Chemnitz die schlimmste aller Bombennächte, ca. 2.100 Menschen starben. Im Jahr 2020, 75 Jahre danach, sollte ursprünglich Lucas‘ Schau gezeigt werden – was Corona nun erst ein reichliches Jahr später möglich machte.
Die bleibenden Narben
Ihre Antikriegs-Botschaft verpackt die Spanierin in einer zweiten Arbeit im Oberlichtsaal so, dass sie jeder Bewohner und jede Bewohnerin von Chemnitz, einst ein Zentrum der Textilindustrie, verstehen müsste. Lucas ließ Leinwände besticken, die nun die Häufigkeit der Bombenabwürfe in bestimmten Regionen der Erde zeigen. Ihre empirisch ermittelte Vermessung der Welt liefert da die Künstlerin, ausgeführt mit Stickerei, zum Beispiel zum Korea- oder Balkan-Krieg.
Kuratorin Sabine Schmidt erläutert "Die Naht, das Nähen, ist eine ganz wichtige Möglichkeit, um Risse und Verletzungen zu heilen. Und zwar sowohl am menschlichen Körper als auch an der Kleidung, die ihn umgibt. Und je mehr hineingestopft wird, umso mehr vernarben die Oberflächen, ziehen sich die Textilien zusammen." Diese "Vernarbung" ist ein Effekt, der sich auch auf den Leinwänden Lucas' beobachten läßt, an Stellen, an denen sich die Bombentreffer ballen.
Ganzheitliches Weltbild
In drei weiteren Sälen kann das Publikum zur Kenntnis nehmen, dass Lucas eine Künstlerin ist, die genreübergreifend arbeitet. Was mit ihrem ganzheitlichen Menschen- und Naturbild zusammenhängt. Sie selbst sagt dazu "Die jeweilige Technik oder das entsprechende künstlerische Genre sind nicht das Wichtige. Das Wichtige ist immer die Idee, die Intention. Und dafür versuche ich immer, eine neue, entsprechende Lösung zu finden, um die Idee angemessen auszudrücken."
Klug und subversiv
Auch Malerei und Fotografien sind, neben Lucas‘ einprägsamen Video-Arbeiten, zu sehen. Darin macht sie auf Missstände in unserer sich immer wieder neu erfindenden Welt der Akkumulation des Kapitals aufmerksam – teils humorvoll, teils plakativ, manchmal moralisierend aber auch klug und subversiv.
Es ist eine künstlerische Haltung, die gut in eine kreative Welt passt, in der die Norm, dass gute Kunst keine Partei ergreifen soll, immer weniger gilt. So zeigt die Schau im einstigen Karl-Marx-Stadt auch eine Videoarbeit von Lucas, die thematisiert, dass selbst die originalen Manuskript-Seiten von Marx‘ Kapital – als Geldanlage – längst Teil der kapitalistischen Wertschöpfungskette sind.
Die Ausstellung
"Maschine im Stillstand"
Werke der Künstlerin Cristina Lucas
15. August bis zum 31. Oktober 2021
Kunstsammlungen Chemnitz: Kunstsammlungen am Theaterplatz
Theaterplatz 1, 09111 Chemnitz
Öffnungszeiten:
Dienstag, Donnerstag bis Sonntag, Feiertag 11 bis 18 Uhr
Mittwoch 14 bis 21 Uhr
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 14. August 2021 | 08:45 Uhr