Senckenberg Museum für Naturkunde, Görlitz
Das Senckenberg Museum für Naturkunde in Görlitz macht immer wieder mit innovativen Ausstellungen auf sich aufmerksam. Bildrechte: imago images/Joko

Netzwerk museum4punkt0 Warum in Görlitz ein Museum der Zukunft zu entdecken ist

03. Mai 2023, 16:51 Uhr

Was bedeutet Digitalisierung für die Museen? Was wäre dabei zu gewinnen? Für diese Orte, in denen eine Gesellschaft aufhebt, was ihr wertvoll erscheint, und vor allem auch fürs Publikum. Die Erfahrungen der Pandemie, als vielerorts live aus Ausstellungen gestreamt und in Depots eifrig digitalisiert wurde, ergründet jetzt die bundesweite Initiative museum4punkt0 bei einer Konferenz. Beteiligt sind 27 Institutionen, auch die Klassik Stiftung Weimar, die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden oder das Senckenberg-Museum für Naturkunde in Görlitz. Gastgeberin ist die Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Berlin.

MDR KULTUR: Unter Corona-Schock haben sich viele Museen an das Internet erinnert wie an so ein digitales Rettungsboot. Würden Sie sagen, dass die Pandemie den Museen einen digitalen Schub gegeben hat?

Johann Herzberg, Stiftung Preußischer Kulturbesitz: Ja, der Zutritt zu den Museen war schwierig oder nicht mehr möglich. Zugleich waren Ausstellungen vorbereitet, die nicht mehr gezeigt werden konnten. Also bestand die Herausforderung erstmal darin, Ersatzformate zu schaffen. Zum Beispiel live gestreamte Rundgänge auf Facebook oder Instagram. Oder Ausstellungen quasi zum Durchklicken oder -zoomen, wie man es bei Google Maps für Straßen kennt, um nun im Museum zu schauen, was so an der Wand hängt. Das alles war kurzfristig sehr relevant.

Mit dem mobilen Mapping-System zur 3D-Erfassung raumbezogener Daten digitalisiert der Vermessungstechniker Frank Schmidt von der Firma Acameo im Germanischen Nationalmuseum (GNM) die Räume des Ausstellungsbereichs «Renaissance. Barock. Aufklärung».
Nur große Museen konnten mit neuen Anwendungen wie dem mobilen Mapping zur Erfassung raumbezogener Daten experimentieren. Bildrechte: picture alliance/dpa | Daniel Karmann

Doch dieser Digitalisierungsschub, das gehört auch zur Wahrheit, überforderte viele kleinere Museen. Die hatten vielleicht gerade mal so eine Internetseite und sollten jetzt auf einmal höherwertige Vermittlungsformate machen. Also das hat die deutsche Museumslandschaft ganz schön durcheinandergewirbelt.

Aber was bleibt, welche Schlüsse ziehen Sie daraus?

Mein Eindruck ist, dass die Corona-Zeit paradoxerweise erstmal auch dazu geführt hat, dass wir eine neue Wertschätzung für das Analoge, also für den Museumsbesuch vor Ort haben, weil klar wurde, dass der Besuch in den Räumlichkeiten eines Museums nicht so ganz ersetzbar ist durch das, was sie zu Hause auf der Couch wahrnehmen können. Es wurde klar, dass die Dinge, die die Museen versuchten zu den Leuten nach Hause zu bringen, eher neue Zielgruppen erschlossen und deswegen auch keine Konkurrenz zum Analogen waren. Der vermeintliche Widerspruch zwischen analog und digital, der hat sich gar nicht so stark gezeigt.

Digitalisierung am Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig 7 min
Bildrechte: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig

Ich würde jetzt auch gar nicht an einen Widerspruch denken, sondern fragen wollen, wie das Digitale auf die Museen wirkt. Welche Formate funktionieren im Internet, was sind da die neuen Erfahrungen?

Also Digitalisierung bedeutet ja nicht, quasi alle Objekte abzufotografieren und auf Internetseiten zu stellen. Das zu tun, kann ein Ausgangspunkt sein, um Vermittlungsansätze zu entwickeln. Die Ideen, die wir zum Beispiel in unserem Verbundprojekt über sechs Jahre hinweg entwickelt haben, helfen eher bei der Vermittlung vor Ort, mittels digitaler Tafeln oder Brillen oder Apps. Sie sollen das Museumserlebnis vor Ort sinnvoll unterstützen. Und das Wort sinnvoll ist hier relevant und das ist, glaube ich, die wesentliche Erkenntnis, die viele unserer Partner im Netzwerk auch durch die Corona-Zeit gewonnen haben.

Lassen Sie uns konkret werden. Welche Beispiele gibt es denn, wo Sie mit Ihrer Initiative museum4punkt0 sagen: Das ist die Zukunft. Das sind gute Beispiele, was Digitalisierung für die Museen bringen kann?

Zum Beispiel das Senckenberg-Museum für Naturkunde in Görlitz, das ist einer unserer Partner. Dort wurde eine App entwickelt, die zeigt, was im Boden passiert, wenn Sie da mit der Schaufel reingehen. Da können Sie sich quasi virtuell durchbewegen wie in einem Computerspiel. Sie haben da so eine Station, wenn Sie ins Museum kommen und können sich wie an so einer Konsole durch das Erdreich wühlen und dort entdecken, was es neben Würmern in den verschiedenen Schichten des Bodens alles so gibt. Diese Station ist bereits auf Wanderschaft durch über 30 Museen gegangen.

Abenteuer Bodenleben: VR im Senckenberg-Museum Görlitz
Geschrumpft auf die Größe einer Assel: Eine VR-Anwendung erlaubt im Senckenberg-Museum Görlitz neue Einblicke ins Bodenleben. Bildrechte: Seckenberg-Museum Görlitz / hapto

Ein zweites schönes Beispiel auch mit Bezug zu Mitteldeutschland ist eine kleine Ausstellung, die das Deutsche Historische Museum in Berlin entwickelt hat. Die nennt sich "Herbst 89 auf den Straßen von Leipzig" und mutet an wie eine Graphic Novel. Bevor Sie eintauchen, können Sie wählen zwischen verschiedenen Perspektiven, um den 9. Oktober 1989 in Leipzig erleben. Sie können jemanden nehmen, der zur Stasi gehörte oder jemanden, der zur Demonstration gehen wollte, aber sich vielleicht nicht traute oder jemanden, der dabei war. An der Station treffen Sie so Entscheidungen, um sich spielerisch durch den Tag zu bewegen, grafisch unterstützt. Das ist sehr schön gemacht und eine ganz tolle Anwendung.

Das Gespräch führte Carsten Tesch. Redaktionelle Bearbeitung: Katrin Schlenstedt

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 03. Mai 2023 | 08:10 Uhr