"Von Genen und Menschen"Ausstellung im Dresdner Hygiene-Museum über Genforschung und ihre Folgen
Vor ca. 20 Jahren sah es so aus, als würden die Geheimnisse des Lebens endlich gelüftet, als das menschliche Genom entschlüsselt wurde. Das hat sich bisher nicht eingelöst. Dennoch wurde weiter geforscht und auch wenn sich nicht alle Erwartungen an die Genforschung erfüllt haben, so beeinflussen die Erkenntnisse aber unser Verständnis von dem, was uns als Menschen ausmacht. "Wer wir sind und werden könnten" in Bezug auf unsere Gene, das fragt eine Sonderausstellung im Deutschen Hygiene-Museum.
Manch einem mögen die Debatten noch im Ohr sein, die um das Jahr 2000 einsetzten, als durch das internationale Humangenomprojekt das menschliche Genom entschlüsselt wurde. Euphorie herrschte auf der einen Seite, dass schwere Erkrankungen nun bald der Vergangenheit angehören würden, andererseits prägten Ängste die Stimmung bis hin zu Horrorszenarien wie das Klonen von Terroristen. Im Deutschen Hygiene-Museum Dresden interessiert man sich für das Dazwischen.
Ansatz der neuen Sonderausstellung "Von Genen und Menschen. Wer wir sind und werden könnten" sei die Überlegung gewesen, sagt Kuratorin Viktoria Krason, wie die Genforschung seit den bahnbrechenden Entdeckungen den Weg in unser Leben gefunden habe, welche Bücher, Bilder, welche Erzählungen aus diesem Forschungsbereich eine Rolle spielten und welche Debatten sie anstießen.
Ist das technisch Machbare ein Beitrag zu der Gesellschaft, in der wir leben möchten?
Iris Edenheiser, Direktorin des Deutschen Hygiene-Museums Dresden
"Im Zentrum der Ausstellung stehen elementare Fragen der Wissenschaftskommunikation, die uns im Deutschen Hygiene-Museum immer wieder und auf unterschiedlichen Gebieten beschäftigen", sagt Museumsdirektorin Iris Edenheiser: "Ist das technisch Machbare auch das ethisch Vertretbare? Oder etwas pragmatischer gefragt: Ist das technisch Machbare ein Beitrag zu der Gesellschaft, in der wir leben möchten?"
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Aktuell kreisen die Diskussionen zur Genetik um vier Grundpfeiler des Lebens: Herkunft, Identität, Gesundheit und Natur. Insofern lag es nahe, sich diesen Schwerpunkten in der Ausstellung zu widmen. Und das tut sie denn auch in vier entsprechenden Themenräumen zu "Herkunft", "Identität" und "Gesundheit" und am Ende mit einem Ausblick darauf, wie der Mensch mit Hilfe der Genforschung sich selbst in der Natur wahrnimmt.
Dresdner Ausstellung zeigt: Wir sind mehr als die Summe unserer Gene
Schwarze, versetzt angeordnete Säulen, die bin ins Unendliche zu ragen scheinen, auf ihnen einzelne große Buchstaben, die sich schließlich zu einem Wort formieren: Herkunft – durch dieses Stelenlabyrinth führt der Weg mitten hinein in den ersten, dämmrigen Themenraum.
Gleich zu Beginn werden zwei Fotografien präsentiert, die das rekonstruierte Gesicht des ersten Briten zeigen – überraschend, denn eine DNA-Analyse am Skelett des vor etwa 10.000 Jahren verstorbenen Cheddar-Mannes hatte ergeben, dass er dunkle Haut und blaue Augen hatte.
Anhand dieses Auftaktexponats wird deutlich, wie politisch Genforschung, die sich mit der Menschheitsgeschichte beschäftigt, ist: wenn genetische Besonderheiten erfasst und mit geografischen Regionen in Verbindung gebracht werden. Es sind gerade mal 0,1 Prozent unseres Erbguts, in dem wir Menschen uns voneinander unterscheiden, allerdings ist das immer noch genügend, um missbraucht zu werden für nationalistische Einstellungen oder rassistische Vorurteile.
Die Ausstellung im Deutschen-Hygienemuseum erinnert an Bühnenbilder
Für die Gestaltung der Ausstellung ist der Bühnenbildner Jan Pappelmann verantwortlich, der an der Schaubühne in Berlin zu Hause ist. Kein Wunder also, dass seine atmosphärischen Szenografien an Bühnenbilder erinnern: das dämmrige Stelenlabyrinth zum Auftakt oder auch der Raum zur Identität. Inspiriert von einem nächtlichen Spaziergang durch eine Großstadt, erkennen sich die Besucherinnen und Besucher nur schemenhaft in den spiegelnden schwarzen Flächen, an denen sie vorbeistreifen und der Frage nachgehen, wie sehr wir tatsächlich von unseren Genen geprägt sind und welchen Einfluss die Umwelt auf das eigene Ich hat.
Grelles Licht und klinisches Weiß schließen sich wiederum an, wenn es um die Möglichkeiten in der Medizin geht. Hier setzt man sich unter anderem kritisch mit Keimbahneingriffen, also Veränderungen des Erbguts, auseinander – dargestellt am Beispiel des chinesischen Wissenschaftlers He Jiankui, der, entgegen aller Grundsätze der internationalen Forschungsgemeinschaft, dieses Verfahren 2018 an menschlichen Embryonen vorgenommen hat.
Neuigkeiten aus dem Hygiene-Museum
Der künstlerische Blick auf das Thema Genetik
Was in einer Schau im Deutschen Hygiene-Museum nicht fehlen darf, sind künstlerische Positionen, wie etwa zwei Bronzeskulpturen in Größe eines Mannes bzw. einer Frau von Alicja Kwade: zu einer DNA-Doppelhelixstruktur aufgestapelte Smartphones. Für sie stand die Frage im Zentrum: Was macht uns als Individuen aus?
Die Künstlerin hat das auf die Datenmengen, die wir im Internet hinterlassen, reduziert. Und so sehen wir zwei Datenkörper, bei denen der Mensch und seine individuellen Eigenschaften aus dem Blick geraten sind. Das sind Befürchtungen, die man ebenfalls mit einer personalisierten Medizin verbindet, die ebenfalls auf einer Vielzahl von Daten basiert, auch zu unserer genetischen Ausstattung.
Beeindruckend auch die begehbare Installation, die Christian Kosmas Mayer extra für die Schau gestaltet hat: Mit Fotografien, Videos, Tierpräparaten und einer originalen Lebendfalle erzählt er die Geschichte des letzten Exemplars der pyrenäischen Steinböcke, der Bucarda.
Der Versuch, dieses Tier zu klonen und damit die Art vorm Aussterben zu bewahren, misslang. Das Klon-Kitz starb sieben Minuten nach der Geburt und damit starb die Art im Grunde ein zweites Mal aus. Und so ist der Käfig, in den einst das Steinbockweibchen tappen sollte, in der Ausstellung nicht der schlechteste Ort, um sich noch einmal vor Augen zu führen, ob alles, was technisch machbar ist, am Ende auch sinnvoll ist.
Informationen zur Ausstellung
"Von Genen und Menschen. Wer wir sind und werden könnten"
11. Februar bis 10. September 2023
Deutsches Hygiene-Museum Dresden, Lingnerplatz 1, 01069 Dresden
Öffnungszeiten:
Dienstag bis Sonntag und an Feiertagen, 10 bis 18 Uhr
Eintritt:
10 Euro, ermäßigt 5 Euro, bis 16 Jahre freier Eintritt
(Redaktionelle Bearbeitung: Tina Murzik-Kaufmann)
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Dieses Thema im Programm:MDR KULTUR - Das Radio | MDR KULTUR am Morgen | 10. Februar 2023 | 08:10 Uhr