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Das Bild "Maler und Modell" ist eines der Werke, das in der Ausstellung im Leonhardi-Museum in Dresden gezeigt wird. Bildrechte: Leonhardi-Museum Dresden, Jürgen Wenzel, Reprofotografie: Frank Höhler

Leonhardi MuseumSchlachthaus-Bilder und Selbstporträts: Ausstellung von Jürgen Wenzel in Dresden

von Wolfram Nagel, MDR KULTUR

Stand: 28. Januar 2023, 04:00 Uhr

Bekannt wurde Jürgen Wenzel zu DDR-Zeiten mit seinen Schlachthaus-Bildern. Die expressiv gemalten Tierhälften auf großen Leinwänden sorgten in den 80er-Jahren überregional für Aufsehen. Nach einer Lehre als Porzellanmaler in Meißen hatte Wenzel Kunst in Dresden studiert und gründete später die legendäre Werkstattgemeinschaft B53 mit. Das Leonhardi-Museum Dresden widmet ihm nun eine Werkausstellung und zeigt Malereien und Zeichnungen des Künstlers.

Jürgen Wenzel, geboren 1950 in Annaberg/Buchholz, machte sich bereits als junger Absolvent der Dresdner Kunsthochschule einen Namen: als Schlachthofmaler. Seine expressiv farbsprühenden Tierhälften auf großen Leinwänden begeisterten die einen, stießen andere jedoch ab. Eine Ästhetik des Todes, blutig das Geschäft. Der nunmehr 72-jährige Maler, der in Burgstädtel bei Dohna im Osterzgebirge unweit von Dresden lebt, erzählt die Geschichte ungeschminkt mit all ihrer Ambivalenz. Die Kunststudenten seien damals angehalten gewesen, Arbeiterklasse darzustellen.

Zitat Jürgen Wenzel:"Hab' ich mir natürlich n Spaß gemacht. Hab zu meinem Professor gesagt, ich mal jetzt Arbeiterklasse. Hat er sich gefreut und gefragt, ja, wo geht’s hin? Sag ich, Schlachthaus. Da war grad die Fleischkrise in der DDR, ham se aber voll akzeptiert, ich hab' auch mein Diplom 'Das Schlachthaus' genannt."

Im ehemaligen Schlachthof auf der Ostra-Halbinsel – vor 100 Jahren einer der modernsten in Europa, heute die Messe Dresden – wurde im Akkord gearbeitet. Die Schlachter hätten kaum Zeit für ihn gehabt, erzählt Wenzel. Aber er durfte zeichnen und fotografieren. Manchmal stand auch einer der Männer mit den weißen Mützen und Schürzen Modell. Die ausgeweideten Tiere ließen den Maler nie wieder los.

Zitat Jürgen Wenzel:"Das ist ja wirklich gewöhnungsbedürftig, das ist die Grausamkeit und die Notwendigkeit. Da bin ich dort rein, hab da Studien gemacht. Das Interessante ist ja die Ambivalenz. Wenn man so nen hängenden Stier sieht, hat ja eine unglaubliche Energie und Farbigkeit und Kraft so ein Tier. Ob Schaf, ob Ziege, ob Hase, ob Rind und Stier, hat ja alles dieselbe Grundform."

Bruch mit Konventionen der DDR-Kunst

Jürgen Wenzel, der um die 30 Jahre alt war, als er sein Studium abschloss, hielt sich schon damals nicht an Konventionen, wie etliche seiner Kommilitonen. Sie suchten eigene künstlerische Wege, jenseits des gern gesehenen sozialistischen Realismus oder dem konservativ-bürgerlichen Kolorismus der sogenannten Dresdner Schule. Dabei entdeckten sie die bis dato verfemte expressionistische Malerei der Brücke neu für sich, angeregt durch eine von Werner Schmidt arrangierte Ausstellung im Albertinum. 

"Durch die Brücke bin ich auch zu dieser Anregung gekommen mit dieser Künstlergruppe B53, Anton-Paul Kammerer, Bernd Hahn und Andreas Küchler. Wir haben uns immer gegenseitig geholfen, wenn wir die alten Dreckbuden sanieren mussten, und da hatte ich diese Bürgerstraße 53, da haben die mitgeholfen, um die halbwegs herzurichten", erinnert sich Wenzel.

"Selbst mit Fasan (nach Rembrandt)" nannte Wenzel dieses Bild. Bildrechte: Leonhardi-Museum Dresden, Jürgen Wenzel, Reprofotografie: Frank Höhler

Und die jungen Maler hatten Erfolg mit ihren selbst edierten Grafikmappen. Damit machten sie sich auch unabhängig von der Kunstförderung in der DDR, indem sie sich einen eigenen Stamm von Sammlern aufbauten. Der Kunsthistoriker Matthias Flügge, langjähriger Rektor der HfbK Dresden, kennt Jürgen Wenzel seit gut 40 Jahren: "Bei Jürgen hatte dieser Freiheitsgedanke immer auch einen Hintergrund im Memento mori, einen Hintergrund in Vanitas, also bedenke die Eitelkeit des Lebens. Das war immer der Grundton. Und diese Form von sublimierter Melancholie, das kann ich persönlich sagen, die hab' ich immer geteilt. Schon als wir noch ziemlich jung waren."

Jürgen Wenzel befragt sich in seiner Kunst selbst

Sein ganzes Malerleben lang hat Jürgen Wenzel sich immer wieder selbst befragt: Was tust du mit dem gerupften Fasan, der schon etwas verwest aussieht, dessen Kopf aber noch immer so schön grün-rot leuchtet? Für den Betrachter müssen solche Bilder immer ein Rätsel bleiben. Längst sind die Farben auf den Bildern dunkler geworden, der Bart des Malers Grau. Auch Krankheiten haben ihn geplagt. Das Stundenglas auf einem Triptychon lässt sich nicht anhalten. Vor ihm haben schon etliche Künstlerkollegen dieselben Gefühle auszudrücken versucht, viel jüngere wie Oskar Zwintscher.

Selbstporträts nach van Gogh Bildrechte: Leonhardi-Museum Dresden, Jürgen Wenzel, Reprofotografie: Frank Höhler

Matthias Flügge sieht in Wenzels Selbstporträts weder den leidenden Künstler noch dessen Bedürfnis, sich selbst psychologisch zu ergründen. Vielmehr könne man dessen Bilder als malerische Exerzitien ansehen, schreibt er im Katalog. Wenzel sei ein selten gewordener Künstlertypus, der vollkommen von seinem Handwerk überzeugt ist.

Angefangen hat er als Porzellanmaler in Meißen, wohin er 1971 gezogen ist. Vom Dienst in der NVA ausgemustert, konnte er 1975 an der HfbK in Dresden studieren, unter anderen bei Professor Gerhard Kettner.

Zitat Matthias Flügge:"Das war die Generation derer, die hier in Dresden vor allen Dingen in den späten 70er-, frühen 80er-Jahren die Hochschule für Bildende Künste verlassen haben. Denen gings um ne neue Expressivität und ein neues Verständnis von künstlerischen Bildern – nicht die Illustration von irgendwelchen Ideologien oder politischen Wunschvorstellungen, sondern auch nen eigenen Freiheitsgedanken zu formulieren."

Van Gogh und Rembrandt als Vorbilder

Manchmal überdeutlich bezieht sich Jürgen Wenzel auf malerische Vorbilder, etwa in dem Selbstbildnis nach Rembrandt oder mehreren Selbstporträts nach van Gogh. Trotz aller Melancholie spart er nicht mit Selbstironie, oder manchmal sogar mit Galgenhumor, wenn es um das eigene Fleisch geht. Als er 1984 das Atelier für die Künstlergemeinschaft B53 in Dresden einrichtete, quetschte er sich einen Finger ab. Eines der damals entstandenen "Selbstbildnisse mit abgeschnittenem Finger" ist in der Ausstellung zu sehen.

Die hatten keine Gefäßchirurgie in der DDR und da hab ich gedacht, der van Gogh hat sich das Ohr abgeschnitten und ich mir nen Finger, machste was draus. Ich hab ne ganze Serie nach Van Gogh gemacht.

Jürgen Wenzel, Künstler

Neuere Schlachthaus-Bilder stehen im Fokus

Die großen Schlachthausbilder Wenzels waren schon in zahlreichen Ausstellungen zu sehen. Das Leonhardi-Museum beschränkt sich deshalb vor allem auf die jüngeren Gemälde. Grafiken fehlen komplett. Der Galerist hat in seinem Atelier in Burgstädt bei Dohna eine ganze Serie Bleistiftzeichnungen alter Holzhäuser, Porträts oder dörflichen Szenen entdeckt, entstanden vor über 40 Jahren bei einer Reise nach Russland. Sogar die kyrillischen Schriften über den Läden hat er nachgezeichnet. Das lernte man schließlich früher in der Schule. Über seine alten Blätter staunt Jürgen Wenzel heute selbst. 

Zitat Jürgen Wenzel:"Jaja, das war natürlich exotisch für uns in Rußland, mein Meißner Malerfreund, der Lothar Sell, der war ja als Meisterschüler in Rußland, und da war‘n wir n bissel infiziert – ich bin dann auch privat hingefahren, mehrere Male."

Damals hätten sie auch das Jerusalem-Kloster Istra bei Moskau besucht, Новоиерусалимский монастырь. Das Kloster lag im Winter 1941 genau an der Frontlinie. SS-Einheiten zerstörten es beim Rückzug. Nach dem Krieg wurde es wieder aufgebaut. " Da haben die Nazis natürlich voll reingehalten. Trotzdem haben die Russen, die dort wohnten, jeden deutschen Splitter als Reliquie aufgehoben, ja, das war erstaunlich für mich, existierte überhaupt kein Hass, und dort haben die Nazis gewütet, das kann man sich ja vorstellen", sagt Wenzel.

Selbstbildnis von Jürgen Wenzel. Bildrechte: Leonhardi-Museum Dresden, Jürgen Wenzel, Reprofotografie: Frank Höhler

Jürgen Wenzel ist kein Maler, der sich Bilder ausdenkt. Schon immer hat er nach Modellen gearbeitet, die Natur der Dinge und Lebewesen studiert. So holte er sich zu DDR-Zeiten auch Fasane oder Hasen aus einem Dresdner Jagdladen nach Hause, weil man eine Kuh oder einen Stier schlecht im Atelier unterbringen kann. Auch Karpfen oder Hummer finden sich auf seinen Nature-morte-Kompositionen. Zwei größere Kohlezeichnungen mit dem Titel "Mädchen und der Tod", erinnernd an Hans Baldung Grien (1517) oder an das Theaterstück von Ariel Dorfmann (1991).   

Zitat Jürgen Wenzel:Ich hab' ja immer Modell gezeichnet, und da hab ich son Skelett bei mir rumstehen im Atelier, und so bin ich auf die Idee gekommen. Das hat aber keinen literarischen Hintergrund … das is ni aus der Literatur, sondern aus den Umständen gewachsen, weil ich ein Skelett rumsitzen hatte, und Modelle hatte ich sowieso immer, und da hab ich das zusammengebracht.

Stillleben mit Totenkopf und Sanduhr Bildrechte: Leonhardi-Museum Dresden, Jürgen Wenzel, Reprofotografie: Frank Höhler

Vanitas nennt Jürgen Wenzel ein Stillleben mit Totenkopf, zerknitterter Zeitung und Sanduhr. Er ist der letzte überlebende Maler der Dresdener Künstlergruppe B53, deren engen Bindungen sich schon in den 1990er Jahren zu lösen begannen, weil jeder nach der Wende versuchte eigene Wege durch die Wirren des neuen kapitalistischen Kunstmarktes zu gehen. Jürgen Wenzel hält davon nicht viel. Anton Paul Kammerer starb im vergangenen Jahr.

Das Stundenglas und der Totenschädel auf dem Stillleben "Vanitas" symbolisieren den Kampf des Malers gegen die Endlichkeit. Immer wieder kauft er Bilder zurück, um daran weiter zu arbeiten. Er weiß, dass er nie fertig werden wird mit seinen Selbstporträts, den Frauenakten oder all den Stieren, Fasanen, Karpfen, Hummern oder Hasen, die er in seinem Atelier in Burgstädtel versammelt hat.

Informationen zur Ausstellung:Jürgen Wenzel
Malerei und Zeichnung
28.01.2023 — 10.04.2023

Leonhardi-Museum Dresden
Grundstraße 26
01326 Dresden

Redaktionelle Bearbeitung: Lilly Günthner

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Dieses Thema im Programm:MDR KULTUR - Das Radio | 28. Januar 2023 | 07:45 Uhr