Ein Industriebau mit Graffiti. Davor eine Stoffprospekt mit mehreren verbundenen, rötlichen Gestalten.
Der Kunstdruck "Body Works" markiert den Beginn der Ostrale in Dresden. Bildrechte: MDR/Wolfram Nagel

kammer_flimmern Ostrale 2023 in Dresden: Das bietet die Kunstausstellung

20. Juli 2023, 16:32 Uhr

Seit inzwischen 15 Jahren gibt es die Ostrale, das Festival internationaler, zeitgenössischer Kunst in Dresden. Aktuell wird die Biennale in der ehemaligen Kantine des Kombinats Robotron ausgerichtet. Noch bis zum 1. Oktober 2023 kann die Ausstellung besucht werden. Die Installationen, Skultpuren, Foto- und Videoarbeiten untersuchen die Risse und Sorgen der Gesellschaft.

Die Besucher*innen der 14. Ostrale in Dresden werden von einer begehbaren Bildinstallation aus durchsichtigem Gewebe empfangen. "Body Works" zeigt ein soziales Netzwerk verschlungener Körper. Gestaltet wurde das 150 Quadratmeter messende Gemälde vom Kunstduo Asynchrome aus Graz und Wien. Michael Schitnig und Marleen Leitner haben bereits 2021 bei der Ostrale ausgestellt: "Dresden ist ein spezieller Ort für uns, weil es uns Räume öffnet, wo junge Künstler und Künstlerinnen auch große Arbeiten realisieren können", so Leitner.

Die beiden beschäftigen sich mit dem Individuum im Zeitalter des Überwachungskapitalismus. Das weithin sichtbare Gemälde markiert die Robotron-Kantine in Dresden als einen Ort künstlerischer Auseinandersetzung mit der Gesellschaft, die in weiten Teilen sprachlos und zerrissen erscheint. Ein Kultur- und Sozialraum, der auch Graffitis von Sprayern respektiert.

Raum für moderne Kunst in Dresden

Unterstützt wird das Ostrale-Team von zahlreichen Kunstfreunden, die das Festival fest in Dresden verorten wollten, nachdem es von der Stadtverwaltung aus den inzwischen privatisierten Schlachthofgebäuden auf der Ostra-Halbinsel vertrieben wurde. Auch die Robotron-Kantine wäre um ein Haar abgerissen worden. Das wäre nicht sehr nachhaltig, meint Franz Leiser, Vorsitzender des Ostrale-Freundeskreises.

Blick auf die Robotron-Kantine in Dresden mit einem Ostrale-Banner. Davor eine Kleintransporter und eine Kubus mit Ostrale-Werbung.
Nur mit großer Unterstützung kann die Ostrale in der ehemaligen Robotron-Kantine in Dresden genutzt werden. Bildrechte: MDR/Wolfram Nagel

Es gab dann einen Stadtratsbeschluss, die Kantine zu kaufen, und auch ein Agreement mit der Eigentümerin, der Gateway AG. Allerdings muss die Ostrale nun ohne Wasseranschluss auskommen. Aber Provisorien sind für das Team nichts Ungewöhnliches.

Zeitgenössische Kunst für Dresden ist ganz besonders wichtig, weil wir auf diese Weise ganz viele Leute ansprechen können, die man, sag ich mal ganz einfach, mit Barock nicht erreichen können.

Franz Leiser, Vorsitzender des Ostrale-Freundeskreises

Ort voller Geschichte

Alleine die beiden großen unsanierten Kantinenräume mit ihren dekorativen Formstein-Wänden aus DDR-Zeiten sind ein Erlebnis für sich, auch für Künstler wie Philip Valenta aus Gelsenkirchen. In 66 Holzrahmen hat er 60 kleine Blüten aus Banknoten geklebt. So repräsentiert "Herbarium" gewissermaßen jene Länder, aus denen Künstlerinnen und Künstler seit 15 Jahren zur Ostrale nach Dresden kommen. Als der Absolvent der Weimarer Bauhaus-Hochschule in der Familie von der Ausstellung berichtete, erzählte sein Großonkel von Erinnerungen an die Robotron-Kantine – es bleibt ein Ort voller Geschichte.

Gesellschaftskritische Kunst

Wie auch in den Vorjahren zeigt die Ostrale 2023 ausgesprochen gesellschaftskritische Arbeiten, die sich immer auch mit dem Individuum in der kapitalistischen Konsumgesellschaft samt Raubbau an der Natur, Umweltzerstörung und Klimawandel befassen.

Ostrale O23 4 min
Bildrechte: MDR/Wolfram Nagel

Nicht immer sieht man das auf den ersten Blick. So auch bei der Installation von Bernd Hennig aus Birkenfeld bei Pforzheim: "Er hat zwischen den beiden Figuren ein rotes Geflecht gespannt, was auf der einen Seite das Wort Liebe und auf der anderen Seite das Wort Hass ergibt", beschreibt Lisa Uhlig, Kuratorin der Ostrale. "Wenn wir genau hinschauen, fällt uns auf, dass das die gleiche Person ist. Das bedeutet, dass wir diese Entscheidungen selber treffen müssen oder treffen können und diese Emotionen in uns selbst natürlich verhaftet sind."

Eine Frau steht in einem Industriebau mit Bildern an den Wänden und unterschiedlichen Kunstobjekten auf dem Boden.
Lisa Uhlig hat die Ausstellung in Dresden organisiert. Bildrechte: MDR/Wolfram Nagel

Viel Freiraum in der Ausstellung

Auffällig bei der diesjährigen Ostrale ist, dass die Kuratorinnen den Kunstwerken und somit auch den Besucher*innen mehr Raum gegeben haben. Das heißt, weniger Objekte und vor allem weniger Videoinstallationen. Die machten sonst einen Großteil der Exponate aus und führten zur kritisierten Reizüberflutung. Nun macht es einfach Freude, sich Zeit für die Animation der Kanadierin Alisi Telengut zu nehmen, die sich mit ihrer Familiengeschichte auseinandersetzt, den schamanischen Ritualen in Sibirien und der Mongolei. 

Nebenan wuseln drei kleine Bürstenroboter über den Hallenboden, geben merkwürdig klagende Geräusche von sich. Fasziniert bleibt man vor ihnen stehen und fragt sich, was sie mit der gezackten Rigips-Wand zu tun haben. Der polnische Künstler zeige ein symbolisch geschnittenes Glücksdiagramm der europäischen Bevölkerung, sagt Kuratorin Lisa Uhlig: "Und das Unglück wurde rausgebrochen und die Roboter müssen es wegputzen."

Eine Frau steht vor einem Holzkonstrukt, in dem mehrere aufgeschlagene Bücher arrangiert sind.
Judit Lilla Molnár aus Ungarn hat das größte Kunstwerk mitgebracht. Bildrechte: MDR/Wolfram Nagel

Das einzige raumdominierende Objekt ist der Bücherbunker der jungen Ungarin Judit Lilla Molnár, zusammensetzt aus aufgeschlagenen Schulbüchern, aufeinandergestapelt wie ein Kartenhaus. Sie setzt sich mit der Frage auseinander, welcher Erwerb von Wissen überhaupt für unser Leben wichtig ist.

Besonderes Motto für Biennale in Dresden

"Noch nie war unsere Gesellschaft so zerrissen wie heute, zugleich ist das Bedürfnis nach Gemeinschaft und Solidarität größer als je zuvor“, beschreiben die Ausstellungsmacher die gegenwärtigen Herausforderungen, wobei sich die Kunstschaffenden individuell den Realitäten stellen. So werde zeitgenössische Kunst zum Spiegel der Gesellschaft, meint Kuratorin Lisa Uhlig.

Die mit einer speziellen Technik erzeugten Flimmer-Bilder von Michael Wesely, die Anregung für das diesjährige Motto "kammer_flimmern" waren, sind ein Beispiel dafür: "Das Kammerflimmern bezeichnet den medizinischen Zustand, der eine akute Handlung erfordert. Aber wir sehen nicht nur diesen gefährlichen Zustand, in dem sich unsere Gesellschaft befindet, sondern auch die Kammer und das Flimmern isoliert: Die Kammer, das sind abgeschlossene Räume mit eigenen Regeln, Schutzorte, die wir ganz stark durch die Positionierung der Werke gespürt haben."

Vor eine hellbraunen Wand und umschlossen von kurzen, groben Holzstämmen liegen kleine, rote Würfelchen auf dem Boden.
Die Arbeit von Klára Orosz lädt zum Mitmachen ein. Bildrechte: MDR/Wolfram Nagel

Am Ende lädt die ungarische Künstlerin Klára Orosz die Besucher*innen ein, mit ihrem roten Würfelhaufen zu spielen. Der heißt ironischerweise "3D Pixel". Bis zum Ausstellungsende wird in der Robotron-Kantine in Dresden kein Stein auf dem anderen bleiben.

Weitere Informationen Die Ostrale O23 "kammer_flimmern" ist noch bis zum 1. Oktober in Dresden zu sehen.

Adresse:
Robotron-Kantinen
Zinzendorfstraße 5 / Ecke Lingnerallee
01069 Dresden

Öffnungszeiten:
Mittwoch bis Sonntag, von 11 bis 19 Uhr

Preise:
Normalpreis: 15 Euro
Ermäßigt: 10 Euro
Kinder unter 12 Jahre: frei
Mehrere Gruppentarife

Führungen:
Freitag bis Sonntag, jeweils 15 Uhr
und nach individueller Vereinbarung
Eine Führung kostet zusätzlich 5 Euro.

Redaktionelle Bearbeitung: Thilo Sauer

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 10. Juni 2023 | 07:45 Uhr