Kai-Uwe Schierz
Über prekäre Arbeitsbedingungen klagt Kai-Uwe Schierz als Direktor der Erfurter Kunstmuseen. Bildrechte: imago/Steve Bauerschmidt

Debatte um Zukunft der Museen Erfurter Museumsdirektor schlägt Alarm: "Prekäre Arbeitsbedingungen"

03. Mai 2023, 04:00 Uhr

Der Direktor der Erfurter Kunstmuseen Kai-Uwe Schierz schlägt Alarm. Viele Sonderausstellungen kommen nur durch Kooperationen zustande, auch der Etat für Ankäufe lässt kaum noch etwas zu. Schenkungen durch Künstler wie den renommierten Fotografen Hans-Christian Schink steht wiederum die Depotsituation im Wege. In kleineren Häusern wie dem Museum für Thüringer Volkskunde sind die Arbeitsbedingungen noch schwieriger. Vor diesem Hintergrund will die Landeshauptstadt ein Pop-Up-Museum auf dem Petersberg etablieren – eine gute Idee? Wir haben nachgefragt.

Vor rund zwei Jahren gelang dem Erfurter Kunstverein ein Kraftakt: Er stemmte eine Ausstellung mit Fotografien von Hans-Christian Schink allein mit Spendengeldern, weil die Stadt ihre Förderzusagen aufgrund von Corona zurückgezogen hatte. Während andere Kommunen in diesen unsicheren Zeiten offensiv die eigene Kulturlandschaft stützten, konnte Schink, der als einer der wichtigsten zeitgenössischen Fotografen Deutschlands gilt, in dieser Situation nicht auf institutionelle Gelder hoffen. Obwohl er selbst ein Sohn der Stadt ist, und damit einer der sehr wenigen Künstler überhaupt, die von Erfurt aus in jüngerer Zeit überregionale Bekanntheit erlangt haben.

Museumsarbeit in Erfurt: "Prekär"

Trotz dieser Widrigkeiten schaffte der Kunstverein es, mit viel ehrenamtlichem Engagement die wichtige Ausstellung möglich zu machen. Hinterher schenkte Schink dem Angermuseum zwei seiner großformatigen Werke. Diese allerdings stehen dort bis heute im Flur herum. Weil das Depot des Museums aus allen Nähten platzt, können sie nicht adäquat gelagert werden. Für Kai-Uwe Schierz, den Direktor der Erfurter Kunstmuseen, ist der Umgang mit Hans-Christian Schink nur ein Beispiel von vielen, das zeigt: Museumsarbeit in Erfurt ist alles andere als einfach:

Unsere Arbeitsbedingungen kann man durchaus als prekär bezeichnen.

Kai-Uwe Schierz Direktor der Erfurter Kunstmuseen

Gerade, "wenn wir uns mit anderen Städten vergleichen", wie Schierz weiter ausführt. So kooperiere er etwa für die anstehende Sonderausstellung "De Ploeg. Avantgarde in den Niederlanden" im Angermuseum mit der Städtischen Galerie Bietigheim-Bissingen und dem Kunstmuseum Ahlen. Die beiden Häuser aus Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen verfügten über ein jährliches Sonderausstellungsbudget von 90.000 bzw. 100.000 Euro – während das Angermuseum auf einen Etat von rund 30.000 Euro begrenzt sei. Unverständlich für den Kunsthistoriker Schierz: "Ahlen oder Bietigheim-Bissingen sind Städte, die von der Einwohnerzahl her, aber auch vom Status anders anzusehen sind. Denn wir sind immerhin Landeshauptstadt. Und dennoch haben diese Museen jeweils rund das Dreifache des Budgets, das wir verwalten dürfen."

Museum für Thüringer Volkskunde blutet aus

Während es Schierz dennoch gelingt, in seinen Häusern mithilfe von Sponsorengeldern regelmäßig neue Sonderausstellungen zu eröffnen, sieht es in anderen Häusern wesentlich prekärer aus. Etwa beim Museum für Thüringer Volkskunde. Vor einigen Jahren gab es eine Schließungsdebatte, an deren Ende sich die Stadt zum Haus bekannte. Doch seitdem darbt das Museum vor sich hin. Die Leitungsposition ist seit Herbst 2019 nicht besetzt, es wurde hier auch bislang keine Nachfolge gesucht. So besteht das Team aktuell nur aus einer Kuratorin, die nun mit Leitungsaufgaben ausgelastet ist, einem Museologen, einem Hausmeister und einer Sekretärin.

Das Museum für Thüringer Volkskunde in Erfurt, 2015
Auch das Gebäude des Museums für Thüringer Volkskunde ist sanierungsbedürftig. Bildrechte: IMAGO / Karina Hessland

Damit lassen sich keine großen Sprünge machen – zumal verschiedene Aufgaben drängen. Die Dauerausstellung müsste dringend überarbeitet werden, und die Depotsituation ist hier derart schwierig, dass Objekte teilweise Schaden nehmen, weil sie nicht adäquat gelagert werden können.

Gutachten: Erfurter Museen erfüllen Schutz-Richtlinien nicht

Ein Gutachten der Beratungsgesellschaft Actori konstatierte vor zwei Jahren nüchtern, dass die kommunalen Museen in Erfurt die wichtigen ICOM-Richtlinien zu Schutz und Pflege ihrer Sammlungen "nicht erfüllen" könnten, dies aber zentral sei für die externe Förderung musealer Angebote etwa durch die Thüringer Staatskanzlei: "Die Lösung der Depotsituation ist notwendige Bedingung für die Leistungsfähigkeit", so der Wortlaut, sie sei deswegen Voraussetzung für jegliche Weiterentwicklung der Museumslandschaft. Und auch im Stadtrat fallen dazu und zu weiteren Problemen wie zu wenig Öffentlichkeits- und Vermittlungsarbeit klare Worte: "Die aktuelle Situation ist tödlich", so der Vorsitzende des Kulturausschusses Wolfgang Beese (SPD). Die Analyse von Michael Hose von der CDU fällt ähnlich ernüchternd aus.

Mitten im Mangel: Neues Museum auf dem Petersberg?

Doch trotz dieser vermeintlichen Einmütigkeit finden Unterfinanzierung, Unterbesetzung und die Depotsituation bis heute nur wenig Platz in der öffentlichen Debatte. Vermutlich, weil ein anderes Thema von Stadtrat und Stadtverwaltung lange als wichtiger erachtet wurde: die Ideen für ein Museum auf dem Erfurter Petersberg. Diese Debatte ist eine voller geplatzter Träume, so wurde von der Stadt lange favorisiert, in einer bislang leerstehenden Kaserne auf dem Berg ein neues Landesmuseum einzurichten, die Landesregierung stützte dies zunächst mit einem "Letter of Intent." Später rückte sie davon wieder ab, vielleicht auch, weil in der Stadt keine Einigkeit darüber herrschte, wie solch ein Museum konkret mit Leben gefüllt werden könnte.

Defensionskaserne in Erfurt
Die Defensionskaserne Erfurt wird nun von einem privaten Investor entwickelt. Ein städtisches Museum soll dort dennoch entstehen. Bildrechte: imago/Steve Bauerschmidt

"Museum der Zukunft" in Erfurt

Nach vielen Debatten soll in der Defensionskaserne nun ein Pop-Up-Museum entstehen: Rund 500 Quadratmeter, so ist es die aktuelle Idee von Stadtrat und Stadtverwaltung, sollen ab dem kommenden Jahr vom Eigentümer der Kaserne gemietet werden. Auf dieser Fläche soll nicht weniger als ein Museum der Zukunft entstehen, wie Erfurts Kulturdirektor Christian Horn umreißt: "Bei diesem Museum wollen wir Entscheidungsprozesse dazu, was überhaupt zu einer Ausstellung wird, aus dem sehr tradierten, sehr hierarchischen Apparat herauslösen: Bislang entscheiden Museumsdirektoren oder Kuratoren, was gezeigt wird. Beim Pop-Up-Museum könnte das eher über Votings, Battles oder einen Beirat passieren. Wir wollen hier einen offenen Dialog mit der Stadtgesellschaft beginnen."

Klassische Museumsobjekte sehe er nicht zwingend in diesem Museum, so Horn. Ihm schwebe eher ein offener Raum für Künstlergruppen oder andere Bündnisse vor: "Aus meiner Sicht ist das ein großes Glück, eine große Chance. Wo ich hoffe, dass Erfurt erkennt, was man auch überregional für eine Strahlkraft damit erlangen kann." Ein solch ambitioniertes Projekt gelinge allerdings nur mit einer guten finanziellen Ausstattung.

Neue Pläne, alte Fragen: Sponsoring und Studie geplant

Im September soll die Stadtverwaltung dem Stadtrat ein Konzept zum Pop-Up-Museum vorlegen, mit konkreten Angaben zu möglichen Ausstellungen und zur Finanzierung. Viele Museumsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter betrachten dies mit Skepsis: "Wenn noch ein Haus mehr dazukommt und Geld will, wird das unsere Situation nicht noch mehr verschlechtern?", diese Frage hört man häufig.

Tobias Knoblich, Kulturdezernent der Stadt Erfurt
Erfurts Kulturbeigeordneter Tobias Knoblich will eine Museums-Studie in Auftrag geben, aber auch dafür braucht er noch Geld. Bildrechte: imago images/VIADATA

Kulturdirektor Christian Horn und Kulturbeigeordneter Tobias Knoblich wollen verstärkt auf Sponsoring setzen, um den erhöhten Finanzbedarf zu decken. Gleichzeitig versichern sie, dass auch die Situation der bestehenden Museen verbessert werden solle, etwa die Depotsituation: "Wir haben jetzt einen Anforderungskatalog formuliert für eine Neuordnung der Depotsituation", erklärt Christian Horn. "Auf dieser Basis wollen wir in Kürze eine Machbarkeitsuntersuchung in Auftrag geben. Hierfür müsste der Stadtrat dann die entsprechenden Gelder freigeben."

Stadtmuseum und Volkskundemuseum sollen fusionieren, nur wo?

Und auch die schwierige Situation von Stadtmuseum und Volkskundemuseum sei natürlich bekannt: Man arbeite an einem Konzept für ein neues Kulturgeschichtliches Museum, das eine Zusammenlegung beider Häuser vorsehe: "Gemeinsam mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern erarbeiten wir neue Narrative, die wir in diesem Museum erzählen können", so Tobias Knoblich. Er selbst sehe das Thema Mittelalter hier im Fokus. Zu einem konkreten Standort will Knoblich sich allerdings nicht äußern, ein Ausbau des Hauses zum Stockfisch, das derzeit das Stadtmuseum beherbergt, ist für ihn nicht gesetzt.

So laufen die Diskussionen zwischen Stadtrat, Stadtverwaltung und Museumpersonal, mal mehr, mal weniger holprig. Das Alltagsgeschäft muss nebenbei weitergehen: "Es fühlt sich schon seltsam an, einerseits das Museum der Zukunft zu denken und andererseits ein halbes Jahr an Energie zu investieren, nur um Mittel für einen Info-Flyer zu bekommen", formuliert es ein Museumsmitarbeiter. "Das macht viele hier mürbe. Auch, wenn sie eigentlich für ihren Job brennen."

Redaktionelle Bearbeitung: Katrin Schlenstedt

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 03. Mai 2023 | 07:10 Uhr