
"Paradise Lost" Neue Ausstellung in Erfurt: Künstlerin lotet Grenzen der analogen Fotografie aus
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27. Februar 2023, 04:00 Uhr
Die italienische Fotografin Valentina Murabito belichtet Bilder auf eigentlich völlig unpassenden Materialien wie Beton oder Stahl. In der Erfurter Galerie Waidspeicher werden nun Werke von ihr ausgestellt: Sie beschäftigen sich mit der Vertreibung aus dem Paradies, zeigen Fabelwesen und eine geschundene Natur – frei nach dem berühmten Gedicht "Paradise Lost" von John Milton. Und so heißt auch die Ausstellung "Valentina Murabito. Paradise Lost", die bis zum 21. Mai 2023 zu sehen ist.
Die Galerie Waidspeicher hat zwei Stockwerke, die Ausstellung von Valentina Murabito zwei darauf angepasste Erzählebenen. Im Erdgeschoss beginnt zunächst der Gang durchs Paradies, ein Blick in die Zeit vor dem Biss in den Apfel. Hier gibt es ein Bild zu entdecken, auf dem eine Schafherde abgebildet ist. Sie hat sich, etwas verschwommen und in einem Sepiaton, im Halbkreis um die Fotografin formiert.
Kuratorin Suzan Kizilirmak, die beim Shooting dabei war, erinnert sich an die Entstehung des Bildes: "Wir waren auf dem Ätna. Die Schafe dürfen dort den ganzen Tag frei grasen. Und wenn man sich ihnen nähert, dann gehen sie in einem großen Bogen auseinander, halten mehrere Meter Abstand – und schauen einen alle an. Das hat wirklich etwas von Magie."
Erfurter Galerie zeigt Natur im Paradies – und die Vertreibung daraus
Die Schafe auf dem Bild sind scheu, keine Streichelzootiere. Sie leben weitgehend ungestört auf dem Vulkan, nur drei Hirten kommen regelmäßig vorbei und melken sie. Mit der Hand, denn Melkmaschinen, so die Ansicht der Männer, tun den Tieren nicht gut. Die Maschinen, berichtet Kuratorin Kizilirmak, könnten nicht richtig spüren, wann das Euter leer sei: "Dann gibt es Entzündungen, den Entzündungen wiederum wird vorgebeugt, indem man den Tieren Antibiotika gibt. Und das wollen die Hirten eben vermeiden."
Experimente mit Holz, Metall und Asphalt
Valentina Murabito hat das Idyll festgehalten, allerdings nicht im Stile eine Dokumentar- oder Reportagefotografin. Sie ist vielmehr eine Fotokünstlerin im wahrsten Sinne des Wortes, sie arbeitet ausschließlich analog und experimentiert mit verschiedenen Untergründen. Die Bilder von den Schafen hat sie nicht auf Fotopapier, sondern auf Holz abgelichtet. Ein extrem aufwändiges Verfahren, das sie selbst entwickelt hat: "Ich muss das Holz abschleifen, lackieren, isolieren. Es braucht ungefähr zehn Schichten, damit ein Bild überhaupt erst erscheinen kann."
So ist Murabito halb Künstlerin, halb Materialforscherin. Sie belichtet Fotos auch auf Stahlplatten oder Messingplatten. Eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit, da Metall und Flüssigkeiten normalerweise nicht in Kontakt miteinander treten können. Dies sei das Resulat jahrelanger Recherchen, berichtet die Künstlerin: "Ich erforsche die Grenzen dieses Mediums. Und ich schaue in einigen Fällen sogar, wie man die Grenzen überschreitet."
Ausloten, was geht mit dem Medium Fotografie, das versucht die in Berlin lebende Künstlerin mit jedem neuen Werk. Sie verzerrt Bilder in Teilen, bearbeitet sie mit Asphalt, oder belichtet sie stellenweise mehrfach. Auch in der oberen Ebene der Galerie Waidspeicher, in der es dann vorbei ist mit der verzauberten Hirtenatmosphäre.
Valentina Murabito spielt mit Realität und Traum
Hier ist die Natur aus dem Lot geraten, ein Mann auf einer Fotografie scheint zu schreien, ein anderer unter einem Totentuch zu liegen. Dominiert wird diese obere Ebene von einem großformatigen Bild, das eine Frau zeigt, die auf einer verfallenen Mauer sitzt.
Um ihren Hals scheint sich eine Schlange zu winden – die sich auf den zweiten Blick aber als ganz besondere Zucchini entpuppt, wie Valentina Murabito erzählt: "In Süditalien gibt es solche extrem langen Zucchini, sie können bis zu zwei Meter lang werden. In meiner Kindheit gab es sie noch so krumm und schief auf dem Markt. Heute aber werden sie so aufgehängt und produziert, dass sie wie eine riesige, gerade Salami aussehen. Auch aus wirtschaftlichen Gründen, denn so kriegt man mehr Exemplare in eine Transportkiste."
Die Zucchini, die zur Schlange wird: wieder ein Bezug zur Vertreibung aus dem Paradies. Es ist eine vielschichtige Ausstellung, die hier präsentiert wird, von den Motiven über die Fototechnik bis hin zu Fabeln, die eigens zu manchen Werken geschrieben wurden. Valentina Murabito spielt mit Realität und Traum – und mit allen irgend möglichen Mitteln der analogen Fotografie.
Informationen zur Ausstellung
"Valentina Murabito. Paradise Lost"
26. Februar bis zum 21. Mai 2023
Galerie Waidspeicher Erfurt
im Kulturhof "Zum Güldenen Krönbacken"
Michaelisstraße 10
99084 Erfurt
Öffnungszeiten:
Dienstag bis Sonntag, 11-18 Uhr
Eintritt:
4 Euro, ermäßigt 2,50 Euro, Familienkarte 8 Euro
Am ersten Dienstag im Monat ist der Eintritt frei.
Informationen zur Barrierefreiheit:
Für Menschen im Rollstuhl:
Zugang ebenerdig und über Aufzug, Behinderten-WC, Parkplatz im Hof ist begrenzt, Anmeldung erforderlich.
Für Menschen mit Gehbehinderungen:
Zugang ebenerdig und über Aufzug.
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 27. Februar 2023 | 07:40 Uhr