Porträt Wie der Maler Georg Baselitz auszog, die Kunst auf den Kopf zu stellen
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Georg Baselitz liebt es, die Welt auf den Kopf zu stellen. Seine Umkehr-Bilder machten ihn berühmt und gingen in die Kunstgeschichte ein. Genauso wie seine Kunst-Skandale und markigen Sprüche, etwa, dass Frauen nicht malen könnten und im Osten verbliebene Künstler "Arschlöcher" seien. Am 23. Januar wird der Provokateur, der heute einer der teuersten Maler der Welt ist, 85 Jahre alt. Geboren als Hans-Georg Kern in Deutschbaselitz nannte er sich nach seinem sächsischen Geburtsort, sein runder Geburtstag wird trotzdem kein echtes Heimspiel.

Georg Baselitz, das ist der mit den Bildern verkehrt herum. Am 23. Januar 2023 wird der junge Wilde von einst 85 Jahre alt. Sich gegen Konventionen, Zwänge oder Vorurteile durchsetzen, das hat er in einem Gespräch mit MDR KULTUR mal als seinen großen Antrieb beschrieben und betont: "Das was Sie machen als Künstler, haben Sie nur sich selber gegenüber zu verantworten, ansonsten sind Sie ungebunden." So hat er sich immer wieder neu erfunden.
Baselitz und die Lust an der Provokation
Um nicht übersehen zu werden, legte Hans-Georg Kern, der sich nach seinem Geburtsort Deutschbaselitz bei Kamenz in der sächsischen Lausitz nannte, im Laufe seiner Karriere einige heftige Auftritte hin. Aus Lust an der Provokation, am Skandal? Ihm ging es, gesteht er, letztlich um die Anerkennung seines Werkes. Es umfasst großformatige Gemälde mit grobem Pinselstrich oder dem bloßen Finger ebenso wie Skulpturen, federleichte zeichnerische Arbeiten auf Papier und Druckgrafik, die laut der Generaldirektorin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, Marion Ackermann, geprägt seien von einer tiefen Kenntnis der Alten Meister. Inspiriert sei Baselitz genauso von der Kunst der expressionistischen Dresdner "Brücke". Vor allem aber sieht sie ihn als unabhängigen Geist, der sich ideologisch nicht vereinnahmen lassen wollte, weder in der DDR noch später im Westen. Davon zeugten seine Anti-"Helden"-Bilder.

Groß gewürdigt wird der Einzelgänger rund um seinen 85. Geburtstag nun aber in Wien, seit 2013 lebt er in Salzburg, wo er sich vor zwei Jahren noch ein neues Atelier einrichtete. Als Reaktion auf das Kulturgutschutzgesetz zog er 2015 seine Dauerleihgaben aus deutschen Museen, auch aus den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden ab, weil er befürchtete, nicht mehr frei über sein Eigentum verfügen zu können. Dabei ist sein Werk ohne seine Herkunft kaum zu verstehen.
Kunstbegeisterung auch ohne Abitur
Baselitz ist ein Kriegskind, über seine Erziehung sagte er in dem ausführlichen Gespräch mit MDR KULTUR, er sei "aufgewachsen wie Unkraut". Allerdings wohnt er mit seiner Familie in einem Schulgebäude mit einer Bibliothek, in der er auch die Welt der Kunst entdeckt. Die Eltern, beide Lehrer, sind entsetzt, dass er das Abitur nicht schafft und auch noch brotlose Kunst studieren will.
Ein Onkel in Dresden fördert hingegen seine künstlerischen Neigungen und "füttert ihn mit Bildern". So entdeckt er Ferdinand von Rayski, einen sächsischen Grafiker und Porträtmaler des 19. Jahrhunderts, die Alten Meister und sein schwieriges Verhältnis zur Sixtinischen Madonna. Raffaels idealisierte Schönheit berührt ihn nicht, das sei für ihn "Hollywood", wird er später sagen.
An der Dresdner Akademie wird er nicht angenommen, aber 1956 kann er ein Studium an der Hochschule für bildende und angewandte Kunst in Berlin-Weißensee beginnen, u.a. beim "Paar am Strand"-Maler Walter Womacka. Nach nur zwei Semestern wird er wegen "gesellschaftspolitischer Unreife" exmatrikuliert. Er wollte lieber Bilder im Stil Picassos kreieren, als zum Arbeitseinsatz ins Kombinat zu fahren, heißt es über den Rausschmiss. Aber auch, dass die Arbeitsdisziplin im Studium zu wünschen übrig ließ.
Aus Hans-Georg Kern wird Baselitz
Fest steht: 1958 verlässt er die DDR und zieht nach West-Berlin, setzt sein Studium an der Hochschule für bildende Künste fort, bei Hann Trier, einem jungen Professor, "der noch als Soldat im Krieg gewesen ist" und ihn, "den jungen Simplicissimus", erstmal in die Bibliothek schickt, wie sich Baselitz erinnert. Er staunt über die abstrakten Experimente, mit denen im Westen Anschluss gesucht wird an die einst von den Nazis verfemte avantgardistische Moderne, während den Kunstschaffenden im Osten sozialistischer Realismus verordnet ist. Er hat Mühe, "all diese Freiheit, Regellosigkeit und auch die Spinnereien, der sich die einzelnen hingaben, überhaupt zu ertragen", sagt der Maler im Rückblick. Er weiß sich und seine Herkunft zu behaupten. 1961 legt sich Hans-Georg Kern den Künstlernamen Baselitz zu.
Skandal im westdeutschen Kunstbetrieb
1963 ruft er mit seiner ersten Einzelausstellung in der Berliner Galerie Werner & Katz einen Skandal hervor. Die Ölbilder "Nackter Mann" mit einem überdimensionalen Penis und "Die große Nacht im Eimer" mit einem onanierenden Jungen werden beschlagnahmt, das Gerichtsverfahren wird später eingestellt. Springer-Blätter wie die "Welt" und "Bild" gruseln sich vor den "entmenschten" und "zersetzten" Leibern. Sind die einen vom Motiv provoziert, stört andere die expressiv-realistische Figurenmalerei, die nicht en vogue ist. Anachronistisch scheinen auch seine (Anti)-"Helden"-Bilder, die Mitte der 1960er im "Wirtschaftswunderland" entstehen und erst später als Aufschrei gegen das deutsche Nachkriegs-Schweigen gewertet werden, so als ob Baselitz damit den Protest der 68er-Bewegung vorweg genommen hätte.
Ich bin in eine zerstörte Ordnung hineingeboren worden, in eine zerstörte Landschaft, in ein zerstörtes Volk, in eine zerstörte Gesellschaft. Und ich wollte keine neue Ordnung einführen. Ich hatte mehr als genug sogenannte Ordnungen gesehen.
1969: Baselitz stellt die Welt erstmals auf den Kopf
Er malt ungestüm und in verzerrten Proportionen. 1969 stellt er erstmals ein Bild auf den Kopf. Dafür greift er zurück auf Ferdinand von Rayskis Landschaftsstudie "Wermsdorfer Wald" und findet damit für sich eine Art "dritten Weg" zwischen figürlich-gegenständlichem Realismus und Abstraktion. Die Motiv-Umkehr wird sein Markenzeichen. 1972 wird er zur documenta 5 eingeladen. Fünf Jahre später zieht er seine Bilder aus der Kasseler Kunstausstellung ab, um gegen die Anwesenheit von Malern aus der DDR zu protestieren. Nach der Wende nennt er die dort verbliebenen Kollegen allesamt "Arschlöcher" und präzisiert erst später, dass er vor allem Heisig, Mattheuer oder Sitte meinte.
"Hitler" im Deutschen Pavillon: Start der internationalen Karriere
Anfang der 1970er-Jahre finden es viele noch skandalös, wie der Maler den Bundesadler kopfüber zeigt. Aber spätestens mitte der Siebziger hat sich Baselitz in Deutschland dann durchgesetzt. Einst arm und wütend, hat er nun die Mittel, 1975 das unter Denkmalschutz stehende Schloss Derneburg bei Hildesheim zu erwerben, in dem er 32 Jahre leben und arbeiten wird. Außerdem wird ihm eine Professur an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe angetragen.
Neben Gemälden, Holz- oder Linolschnitten beginnt er damals, an Plastiken aus Holz zu arbeiten, die er nur grob, teils mit der Kettensäge, gestaltet und mit Farbe bemalt. Gemeinsam mit Anselm Kiefer wird er 1980 nach Venedig entsandt, um die BRD auf der berühmten Biennale zu vertreten. Er kommt mit dem "Modell für eine Figur" in den Deutschen Pavillon – einen Bau aus der Nazizeit. Es folgt ein internationaler Aufschrei, denn die Skulptur scheint einen Hitlergruß zu zeigen. Mit dem Auftritt beginnt gleichwohl die Weltkarriere von Baselitz und seiner heiklen "German Art".
"Russenbilder und "Remix": "Es gibt kein Richtig oder Falsch"
Er kniet am Boden auf seinen Leinwänden, um die Welt weiter auf den Kopf zu stellen, folgt der Spur des deutschen Expressionismus, beispielsweise im "Brückechor", und dem erklärten "Prinzip der Disharmonie". In seinen "Helden"-Bildern wanken kaputte Gestalten in zerlumpten Uniformen heran, damit bezieht er sich auf sein Heranwachsen in Krieg- und Nachkriegszeit. Im Zyklus "Russenbilder" (1998-2005) setzt er sich nach seinem Einblick in die Stasi-Akte mit seiner Jugend in der DDR und dem sozialistischen Realismus auseinander. Lenin und Stalin porträtiert er ironisch im neoimpressionistischen Stil.
Nach 2000 resümiert er auch aus "einer gewissen Erschöpfung" sein Werk und setzt zum "Remix" an. Dabei, sagt er im Gespräch mit MDR KULTUR, habe er erstmals eines begriffen:
Es gibt kein Richtig oder Falsch, Gut oder Schlecht. Malerei breitet sich nicht in Strömen aus. Einzelne malen, manchmal fallen sie ins Wasser und schwimmen mit. Aber das Interessante ist die Verschiedenheit.
Hommage an den "Nackten Meister"
Anderssein sei für ihn existenziell gewesen, um aus dem Nachkriegsgrau herauszukommen, sagt er. Das hat er geschafft. Baselitz ist einer der wenigen Deutschen, die eine Einzelausstellung im New Yorker Museum of Modern Art (MoMa) bekommen. 2004 erhält er mit dem japanischen Praemium Imperiale den "Nobelpreis für Kunst". Die Staatlichen Kunstsammlungen in Dresden widmen ihm zum 80. Geburtstag eine Grafik-Werkschau, in der seine Arbeiten zusammen mit Werken deutscher, italienischer oder niederländischer Altmeister präsentiert wurden, was ihn sehr freut. Die Fondation Beyeler in Riehen bei Basel zeigt damals eine große Retrospektive.
Als Höhepunkt 2023 gilt die Schau "Nackte Meister" im Kunsthistorischen Museum Wien, in der sich der Maler auch seiner eigenen Vergänglichkeit stellt. 73 Gemälde und zwei Skulpturen von Baselitz aus den Jahren 1972 bis 2022 treten in Dialog mit – Alten Meistern. Inzwischen ist er selber einer und auf den Rollstuhl angewiesen. Er produziert immer noch, auch wenn er weiß, dass ihm der Eintrag in die Kunstgeschichte längst reserviert ist: "Ich glaube, dass ich die Kurve kriege."
Redaktionelle Bearbeitung: Katrin Schlenstedt
Baselitz-Ausstellungen 2023
New York, The Morgan Library & Museum
Georg Baselitz: Six Decades of Drawings
21. Oktober 2022 - 5. Februar 2023
( Koproduktion mit der Albertina Wien )
Künzelsau, Atrium des Museum Würth 2
- Georg Baselitz zum 85. Geburtstag
15. Januar - 16. Juli
Paris Pantin, Galerie Thaddaeus Ropac
Der Kompaß zeigt nach Norden
21. Januar
Berlin, Contemporary Fine Arts
Georg Baselitz: Man at Work, zum 85. Geburtstag
23. Januar - 22. April
Wien, Kunsthistorisches Museum
Georg Baselitz - Nackte Meister
7. März - 25. Juni
Wien, Albertina
Georg Baselitz: 100 Zeichnungen ( Koproduktion mit der Morgan Library NY )
7. Juni - 17. September
London, Serpentine Gallery
Skulpturen Retrospektive
7. Oktober - 24. Januar 2024
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 23. Januar 2023 | 08:40 Uhr