Werkstattbesuch Kunsthandwerk aus dem Erzgebirge: Die besondere Tradition des Reifendrehens

Beim Reifendrehen entstehen kleine Holzfiguren – schneller und kostengünstiger als beim Schnitzen. Diese Handwerkskunst, die Geschicklichkeit und Erfahrung erfordert, gibt es nur im Erzgebirge. Entwickelt hat sie sich um 1800, als der Zinnbergbau in der Region zu Ende ging und die Bergmanns-Familien neue Beschäftigung brauchten. Heute gibt es nur noch wenige Menschen, die das Handwerk beherrschen. Christian Werner aus Seiffen sorgt dafür, dass das Kunsthandwerk überlebt.

Reifendreher Christian Werner drechselt in seiner Werkstatt in Seiffen Reifentiere aus einem Fichtenholzstück. 2013
Mit speziellen Werkzeugen bearbeitet Christian Werner den drehenden Holzreifen. Bildrechte: dpa

"Achtung, Holz-Späne", ruft Christian Werner beim Betreten seiner Werkstatt. Es duftet nach frischem Holz. Große geringelte Späne wirbeln durch die Luft und bedecken den Boden. Der große schlanke Mann steht an seiner Drehbank, auf dem Kopf hat er eine bunte Zipfelmütze. Sie sorgt dafür, dass kein Harz in die Haare kommt. "Das Reifendrehen ist eine geniale Erfindung", meint Christian. "Es ist in einer Zeit entstanden, als es keine Kreissäge oder andere Maschinen gab. Plötzlich konnte man massenweise Holzfiguren herstellen."

Aufgewachsen mit Traditionen aus dem Erzgebirge

Es ist ein kleines Wunder, wie aus den Holz-Reifen am Ende Tier-Figuren zum Vorschein kommen: Zuerst wird ein Stück Fichtenholz an der Drehbank in Rotation versetzt und mit verschiedenen Werkzeugen bearbeitet. Allmählich entstehen Rundungen, Einkerbungen und Rillen.

Der fertige Holzreifen wirkt auf den ersten Blick unscheinbar, doch das ändert sich, als Christian Werner das bearbeitete Holzstück auf den Hauklotz legt und zu Küchenmesser und Hammer greift. In einer Dicke von ungefähr 5 Millimeter werden die Tierfiguren abgeschnitten. "Ein Reifen ergibt ungefähr 60 Rohlinge", erläutert der Holz-Experte. "Ein guter Reifendreher schafft an einem Arbeitstag ungefähr 1.500 Tiere. Eben liegen noch die Reifen da und dann ein Haufen Pferde oder Hunde." Manchmal fühle er sich wie der "Herr der Ringe", scherzt Christian.

Holzspielzeugmacher und Reifendreher Christian Werner spaltet in seiner Werkstatt in Seiffen Reifentiere aus einem Fichtenreifen. 4 min
Bildrechte: dpa

Die flachen Rohlinge werden anschließend geschnitzt und bemalt. Über 300 verschiedene Tiere sind schon in seiner Reifendreher-Manufaktur entstanden: Hasen, Füchse, Elefanten, Wale, Löwen oder sogar Kiwis, die Laufvögel aus Neuseeland. Die kleinen Holzfiguren werden zum Ausschmücken von Weihnachtspyramiden oder -krippen verwendet. Mit solchen Traditionen ist Christian aufgewachsen, denn sein Vater war Männelmacher.

Verkaufsschlager aus Sachsen

Weil Reifendreher aber bis heute kein Ausbildungsberuf ist, wurde Christian zunächst Holzspielzeugmacher und ließ sich dann von einem alten Meister – damals war er 90 Jahre alt – das Handwerk von Grund auf beibringen. "Der stammte noch aus einer Zeit, wo du was hinter die Löffel gekriegt hast. Nicht, weil du frech warst, sondern weil du was falsch gemacht hast. Das war schon sehr gewöhnungsbedürftig", erinnert sich Christian an die Ausbildung.

1985 gründet Christian Werber seine eigene Manufaktur in Seiffen – da ist er gerade mal 27 Jahre alt. Sein erstes Modell sollte eine Arche Noah voller Tiere sein, denn der Seiffener ist gläubiger Christ. Doch die zuständige DDR-Kommission lehnte den Vorschlag ab: Er solle doch lieber Bauernhöfe machen, hieß es. Doch Christian blieb stur und setzte sich schließlich durch.

Seine Archen werden schnell zu einem Verkaufsschlager. Sie werden zu 98 Prozent ins nicht-sozialistische Ausland exportiert und bringen dem Staat viele Devisen: "Sie haben unsere Waren perfekt in den Export verkaufen können und wenn ich nicht aufgepasst hätte, hätten sie meine Großmutter noch mit verkauft", blickt Christian zurück.

Holzspielzeugmacher und Reifendreher Christian Werner begutachtet in seiner Werkstatt in Seiffen an der Drehbank einen Fichtenreifen.
Die kunsthandwerkliche Tradition wird international bewundert. Bildrechte: Dehli News

Internationale Bewunderung für Kunsthandwerk

Heute ist seine Reifendreher-Manufaktur die einzige weltweit! Seine Auftragsbücher sind voll. Die Archen und Pyramidenleuchter voller Figuren werden in alle Welt geschickt. Oft wird er nach Japan oder in die USA eingeladen, um sein seltenes Handwerk vor Ort vorzuführen. "Dann stehen die Leute vor uns und sind voller Bewunderung und Erstaunen und fast entsetzt, wenn sie sehen, wie die Späne fliegen und wie das alles funktioniert", erzählt Christian. "Da werden wir wirklich bewundert. In Deutschland ist die Ehrerbietung vor dem Handwerk bei weitem nicht so groß."

Die Tatkraft hat ihn bis heute nicht verlassen – trotz einer Augenverletzung, die er sich vor zwei Jahren durch ein herumfliegendes Holzstück zugezogen hat. Er habe noch viele Ideen für neue Tiere, sagt er. Weil seine kleine Manufaktur auch Lehrlinge ausbildet, braucht er sich um den Nachwuchs keine Sorgen machen. Sein Sohn, der auch erst den Beruf des Holzspielzeugmachers erlernt hat, und dann das Reifendrehen vom Vater, wird den Betrieb mal übernehmen. Das mache ihn sehr glücklich!

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 21. Dezember 2022 | 08:40 Uhr

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