NÄCHSTE GENERATION Mit Wolle gegen toxische Beziehungen: Die Künstlerin Fern Liberty Kallenbach Campbell aus Halle

14. März 2022, 16:10 Uhr

Sticken, Tuften, Textile Künste – das ist Fern Liberty Kallenbach Campbells Handwerk. Die 26-Jährige widmet sich in ihrer Kunst ernsten Themen aus ihrem Leben. Von Familie bis romantischen Beziehungen beleuchtet sie toxische Beziehungen und ihre eigene Psyche, Grenzensetzung zwischen ihr und ihren Mitmenschen. Flauschig und farbenfroh erzählt sie ihre Geschichten auf Teppichen, in dem sie "tuftet".

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Impressionen einer Künstlerin 7 min
Bildrechte: MDR/Ann-Kathrin Canjé
7 min

Sticken, Tuften, Textile Künste – das ist Fern Liberty Kallenbach Campbells Handwerk. Die 26-Jährige widmet sich in ihrer Kunst ernsten Themen aus ihrem Leben und bleibt dabei in ihrer Ausdrucksweise meist bunt.

Di 28.03.2023 13:21Uhr 06:44 min

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Über das Format NÄCHSTE GENERATION:

In unserem Youtube-Format MDR KULTUR – NÄCHSTE GENERATION stellen wir junge Künstlerinnen und Künstler vor, die unsere Gesellschaft kritisch in den Blick nehmen, Debatten anregen und gleichzeitig Ideen für die Zukunft entwerfen wollen. Jeden zweiten Montag, stellen wir diese Menschen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen vor – die Themen reichen von der Frage, ob es okay ist, das Elternsein zu bereuen, ob die 40-Stunden-Woche noch angemessen ist, bishin zu Klimaschutzfragen oder Patriotismuskritik.

Wenn Fern Liberty Kallenbach Campbell ihre Tufting-Gun anschmeißt, wird es ziemlich laut. Dann arbeitet sie an ihrer selbstgebastelten Leinwand und schießt Wolle durch Jutestoff, das heißt dann "tuften". Doch bevor sie loslegen kann, zieht die 26-Jährige sich Knieschoner an und klettert auf einen kleinen Tisch. Beim Arbeiten passiert es oft, dass sie lange in dieser Position verharrt – da sind Knieschoner Gold wert.

"Fern" arbeitet sehr intuitiv, lässt sich von ihrem Umfeld inspirieren: "Meine Arbeiten sind immer sehr persönlich. Ich habe mich viel mit mir selber auseinandergesetzt, mit meiner eigenen Psyche und wie die Außenwelt auf mich wirkt. Momentan beschäftige ich mich sehr viel mit Grenzen-Setzung zwischen mir und meinen Mitmenschen." Das Aufwachsen in einer extrovertierten, künstlerischen Großfamilie hat seinen Teil dazu beigetragen, dass es in ihren Arbeiten nur so von Anekdoten und persönlichen Geschichten wimmelt. Auch von den schweren.

Impressionen einer Künstlerin
Wenn Fern mit ihren "Tufting Guns" arbeitet, ist sie in ihrem Element. Bildrechte: MDR/Jörn Rohrberg

Bachelorarbeit erzählt Familiengeschichte

Im Sommer 2021 hat die junge Künstlerin ihren Bachelor an der Burg Giebichenstein in Halle beendet. Auch wenn sie eigentlich Kommunikationsdesign studiert und erst während des Studiums ihre Leidenschaft für das Tuften entdeckt hat, konnte sie für ihre Bachelorarbeit drei großformatige Teppiche gestalten. Sie zeigen wichtige Orte ihres Elternhauses; den Speicher, das Wohnzimmer und den Garten.

Die eigentliche Idee dieser Arbeit war, dass ich die zerrissene Verbundenheit meiner Familie erforsche.

Fern Liberty Kallenbach Campbell

Ihre Familie stammt zu einem Teil aus den Vereinigten Staaten, Fern ist Berlin aufgewachsen und hat noch drei jüngere Geschwister. Als ältestes Kind habe sie immer eine wichtige Rolle in der Familie gespielt. Das heißt, sie war verantwortungsbewusst, hat versucht sich in ihre Eltern, beide Künstler, hineinzuversetzen. Ihre Familie hat für sie einen hohen Stellenwert.

Teppiche erinnern an Wimmelbilder

So zeigt ein Bild eine Szene im Wohnzimmer, wo sich auch mal angeschrien wird, die Hunde nebenbei um ein Stück Fleisch betteln, es offensichtlich turbulent zugeht. Ihre Teppiche haben auch etwas kindlich Verspieltes, durch die Farbwahl fast schon etwas Unschuldiges. Wenn man aber näher hinsieht, lassen sich kleine Beispiele von Chaos entdecken.

Impressionen einer Künstlerin
Im August 2021 hat Fern Liberty Kallenbach Campbell ihre Bachelorarbeit im Kunstraum Vika in Halle ausgestellt. Bildrechte: MDR/Jörn Rohrberg

Es zeigt, wie die Künstlerin Selbsterlebtes fiktionalisiert und letztlich die Verbindung zu ihrer Familie in den Bildern zum Ausdruck bringt. Dabei hat sie immer eine Menge Verständnis und erinnert sich: "Meine Eltern sind beide Künstler, manchmal kam nicht mehr so viel Geld rein, und das heißt natürlich, dass die Person jetzt nicht irgendwie super happy ist, wenn du sie dann nach Taschengeld fragst oder eine Klassenfahrt ansteht. Es gibt immer Momente, wo man einfach schon davon ausgehen kann, dass die Person mal vielleicht gereizt oder mal ein bisschen zugänglicher ist."

Fern hat oft geschaut, was ihrer Familie gut tut und dabei manchmal sich selbst und ihre eigene Identität vergessen. Dieses Beziehungskonstrukt und ihr Aufwachsen hat sie in ihren Arbeiten ergründet.

Toxischen Beziehungen auf die Schliche kommen

Doch bei ihren Arbeiten habe sie nicht nur an ihre biologische Familie gedacht, sondern auch an gewählte Familie, an Freundinnen und Freunde, aber auch Liebhaber, die man sich ins Leben hole, so die Künstlerin. Auch an eine Jugendbeziehung, in der sie angelogen und ausgenutzt worden sei. Zu spät habe sie gemerkt, wann ihre Grenzen überschritten worden seien.

Die Frage, wie Abgrenzung von solchen Situationen und Menschen gelingen und man daran wachsen kann, prägen also nicht nur ihre Arbeiten, sondern auch sie selbst: "Ich denke das Beste, was aus einer toxischen Beziehung zu lernen ist, sie zu erkennen, sich Hilfe suchen und zu versucheb, diese Schleifen zu durchbrechen. Weil das Toxische ja auch in der Wiederholung von Sachen liegt."

Dadurch, dass ich mir Therapie gesucht habe und dadurch, dass ich mich viel mit Freunden, meiner chosen family, ausgetauscht habe, konnte ich sehr viel daraus lernen und habe das Schlechte in sehr viel Gutes verarbeiten können.

Fern Liberty Kallenbach Campbell

Mit Wolle Arbeiten – das ist für Fern wie ein sechster Sinn. Mit Wandfarbe arbeiten, falle ihr schwerer, weil sie nicht so gerne Farben mischen würde. Da sei das Arbeiten mit Textilien für sie befreiend, weil sie sich komplett auf ihre Intuition verlassen könne. Für ihre Arbeiten nutzt sie verschiedene Techniken.

Auch Nachhaltigkeit steht bei ihrer Arbeit im Fokus

Neben dem Tuften benutzt sie auch eine sogenannte Punching Needle, wo sie kleinere Fäden durch den Stoff mit der Hand drückt. Immer mit dabei sind auch Scheren, Pinzetten und Rasierer, mit dem normalerweise Schafe geschoren werden. Für ihre Arbeit mit Wolle also unverzichtbar.

Eine Frau malt etwas in ein Heft.
Ferns WG-Zimmer ist gleichzeitig ihr Atelier. Hier zeichnet sie nicht nur und sammelt Mood-Boards, hier arbeitet sie vor allem mit Wolle. Bildrechte: MDR/Ann-Kathrin Canjé

Genauso wie der Aspekt Nachhaltigkeit. Für ihre Teppiche nutzt die 26-Jährige ausschließlich Secondhand-Wolle. Sie findet es wichtig, Dinge zu recyceln, vor allem in ihrem Bereich, in dem sie so viel Stoffe benötigt und auf Umweltfreundlichkeit achten möchte. Und ihre Nachhaltigkeit hat auch noch einen nostalgischen Aspekt: "Ich mag auch einfach, wenn man so eine Kiste aufmacht und dann riecht man irgendwie das Mottenpulver von den Leuten, die das früher hatten. Oder man denkt sich: die wollten anscheinend ganz dringend einen roten Pullover stricken, aber es ist nie dazu gekommen."

In den Teppichen und Wandbehängen von Fern Liberty Kallenbach Campbell kann man sich verlieren, träumen und sich ein Stück weit selbst entdecken. Ab Oktober 2021 strebt sie ein Diplom in "Textilen Künsten" an der Burg Giebichenstein an. Mit welchen Themen und Stoffen sie dann arbeiten wird bleibt spanned.

NÄCHSTE GENERATION: Mehr Gesellschaftsdebatten in der Kunst

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | MDR Kulturtipps | 16. September 2021 | 09:45 Uhr

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