Inklusive Tandemführungen "Blind sehen": MdbK bietet gemeinsame Führungen für blinde und sehende Menschen an

09. Dezember 2022, 04:00 Uhr

Das Leipziger Museum der bildenden Künste (MdbK) bietet an Wochenenden Führungen an, bei denen sich blinde und sehende Menschen gemeinsam mit einzelnen Kunstwerken auseinandersetzen können. Die inklusiven Tandemführungen werden einmal im Monat zu aktuellen Sonderausstellungen in dem Leipziger Museum angeboten. MDR KULTUR hat eine dieser besonderen Führungen im MdbK begleitet.

Es ist Sonntag 11 Uhr, beste Museumszeit. Ein Grüppchen von 15 Besucher*innen mit und ohne Einschränkung trifft sich im 3. Obergeschoss des Museums für Bildende Künste. Hier präsentiert das Haus aktuell eine Auswahl von Arbeiten des in Leipzig geborenen Fotografen Ludwig Rauch. Im ersten Ausstellungsraum befinden sich 26 Porträts von Künstler*innen. Vor der Fotografie von Tina Bara nehmen alle auf Hockern im Halbkreis Platz.

Dieses Wochenende in Leipzig

Am Sonntag, 11. Dezember 2022, um 11 Uhr findet das nächste Werkgespräch in der Veranstaltungsreihe "Blind sehen" zur Ausstellung von "Olga Costa. Dialoge mit der mexikanischen Moderne" statt.

Leipziger Museum verbindet bei Führungen Kunst und Inklusion

Carolin Rothmund und Sebastian Schulze, der mit Ende 20 erblindet ist, betreuen die Veranstaltungsreihe "blind sehen – Werkgespräche im Tandem". Sie leitet die Kunstvermittlung am Museum – er ist freiberuflicher Autor für Audiodeskription und Bildbeschreibung. Beide haben Kunstgeschichte studiert und wollen blinden und hochgradig sehbehinderten Menschen Kunst näherbringen. Sebastian Schulze führt zunächst in Leben und Werk von Ludwig Rauch ein, bevor Carolin Rothmund mit der Bildbeschreibung beginnt:

"Das Porträt ist ein Querformat. Es ist eine Farbfotografie und wir sehen die Künstlerin Tina Bara im Ganzkörperportrait, wie sie auf einem Sofa liegt. Das Sofa umfasst das ganze Foto. Tina Bara hat die Beine etwas angewinkelt und stürzt sich mit ihrem linken Arm auf die Lehne des Sofas. Das Sofa ist in so einem rot-rost-braunen Farbton, leicht gemustert so ein samtiger Stoff."

MdbK Leipzig zeigt Kunst für blinde und sehende Menschen

Carolin Rothmund beschreibt strukturiert und systematisch, damit das nicht sehende Publikum auch wirklich eine Vorstellung entwickeln kann. Fotografien, dekorative Malereien oder Plastiken lassen sich meist gut erläutern. Geburtsblinden Menschen fällt es jedoch schwer, sich Farben vorzustellen.

Manche Objekte, wie Installationen, die man nicht anfassen kann oder Motive, wie die Abstraktionen von Ludwig Rauch eignen sich überhaupt nicht zum Beschreiben. Es sind komplexe Bildkompositionen aus Fotografien, Bildschnipseln, teilweise übermalt, von denen sich sehbeeinträchtigte Menschen wie Sebastian Schulze kaum ein Bild machen können.

Nein, das frustriert nicht, weil wir blinden Menschen wissen, dass alles eine Grenze hat und genau diese Grenze ausloten, macht ja eigentlich Spaß, das ist der richtige Weg für Carolin und mich und das entsprechende Kunstwerk für unser Werkgespräch und Tandem zu finden.

Sebastian Schulze

Interessiert sitzen sehbeeinträchtigte und nicht sehbeeinträchtige Besucher*innen vor den Kunstwerken. Einige derer, die sehen können, versuchen sich ebenfalls an einer Beschreibung. So kommt man miteinander ins Gespräch, diskutiert und interpretiert. Und genau das ist der Plan dieser inklusiven Tandemführungen im Museum der Bildenden Künste.

Mehr Barrierefreiheit im Museum für bildende Künste Leipzig

Sabine und Lisa, die beide blind sind, nehmen regelmäßig begeistert daran teil. "Sonst kann man als blinder Mensch mit Gemälden nicht so viel anfangen, eigentlich gar nichts. Deswegen finde ich das ganz ganz toll, dass sowas hier angeboten wird", sagt Lisa. Sabine schlägt vor, dass diejenigen ohne Sehbehinderung beim nächsten Mal die Augen zumachen. So könnten sie selbst erfahren, wie es ist, sich ein Bild mit Hilfe der Beschreibung von anderen zu erschließen.

90 Minuten sind gerade Zeit genug, um eingehend zwei Bilder zu betrachten. Wer in seinem eigenen Tempo das Museum erkunden will, dem helfen seit diesem Jahr sieben inklusive Vermittlungsstationen, so genannte Hubs, die im Haus aufgestellt sind. Kunstwerke aller Epochen lassen sich so mittels Audiodeskriptionen, Tastreliefs und Beiträgen in einfacher oder in Gebärdensprache erkunden.

Weitere Informationen: Veranstaltungsreihe "blind sehen"
im Museum der bildenden Künste
Katharinenstraße 10, 04109 Leipzig

Termine:
11.12.22, 11 Uhr: Werkgespräch in der Ausstellung "Olga Costa. Dialoge mit der mexikanischen Moderne"

15.01.23, 11 Uhr: Werkgespräch in der Ausstellung "Unter freiem Himmel. Rosa Bonheur und die Sammlung Bühler-Brockhaus in neuem Licht"

05.02.23, 11 Uhr: Werkgespräch in der Ausstellung "Olga Costa. Dialoge mit der mexikanischen Moderne"

Redaktionelle Bearbeitung: Lilly Günthner, Valentina Prljic

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 09. Dezember 2022 | 12:10 Uhr