Ausstellung: "Hakenkreuz und Notenschlüssel" Wie sich die Geschichte der Musikstadt Leipzig ab 1933 veränderte

Die Stadt Leipzig hat eine lange Musiktradition und blickt heute mit Stolz auf große Namen zurück: Johann Sebastian Bach, Felix Mendelssohn Bartholdy, Edvard Grieg, Gustav Mahler, Clara und Robert Schumann. Auf diese Geschichte wirft die NS-Herrschaft des Hitler-Regimes ihren Schatten – eine Zeit, die das Stadtgeschichtliche Museum nun in einer neuen Ausstellung aufarbeitet mit dem Titel: "Hakenkreuz und Notenschlüssel. Die Musikstadt Leipzig im Nationalsozialismus".

Zu sehen ist eine Postkarte von der Reichsmessestadt Leipzig aus dem Jahr 1933. Im Vordergrund steht das Neue Theater, auf dem Vorplatz weht die Hakenkreuzfahne.
Die Ausstellung "Hakenkreuz und Notenschlüssel. Die Musikstadt Leipzig im Nationalsozialismus" widmet sich einem dunklen Kapitel der Stadtgeschichte. Bildrechte: IMAGO / Arkivi

Vor der NS-Zeit war Leipzig als Musikverlagsstadt bekannt, erklärt Claudius Böhm gegenüber MDR KULTUR. Gerade in den 1920er-Jahren habe es viele Initiativen, Gruppen und Ensembles gegeben, sagt der Leiter des Gewandhausarchivs. Sebastian Krötzsch, Co-Kurator der Ausstellung im Böttchergäßchen, ergänzt: "Was die Themen Jazz und Swing angeht, gab es wirklich eine sehr blühende Jugendkultur." Zusammen mit Kuratorin Kerstin Sieblist wurden sie von Theaterredakteur Stefan Petraschewsky zum Gespräch in die MDR KULTUR-Werkstatt eingeladen.

MDR KULTUR-Gespräch und Werkstatt zur Ausstellung

Der Thomanerchor in HJ-Uniform. 7 min
Bildrechte: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig, Foto: Stefan Petraschewsky
Postkarte Reichsmessestadt Leipzig, Neues Theater mit Hakenkreuzfahne, 1933 59 min
Bildrechte: IMAGO / Arkivi
59 min

Eine Ausstellung in Leipzig befasst sich mit dem Musikleben der Stadt von 1933-1945. Stefan Petraschewsky ist mit den Kuratoren Kerstin Sieblist und Sebastian Krötzsch sowie Gewandhausarchivar Claudius Böhm im Gespräch.

MDR KULTUR - Das Radio Di 24.01.2023 22:00Uhr 59:14 min

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Stars in Leipzig: Josephine Baker und die Comedian Harmonists

Josephine Baker sei im Krystallpalast aufgetreten, die Comedian Harmonists hätten in Leipzig Erfolge gefeiert und hier ihren deutschlandweiten Durchbruch gestaltet, fährt Sebastian Krötzsch fort. Archivar Claudius Böhm erklärt: "Es gibt in Leipzig ein unwahrscheinlich lebendiges Musikleben mit vielen Akteuren, was man heute vielleicht als freie Szene bezeichnet."

Historische Aufnahme mit dem Leipziger Sinfonieorchester in der Alberthalle 1932
Das Leipziger Sinfonieorchester bei einem Auftritt 1932 in der Alberthalle des Krystallpalastes, der bei einem Bombenangriff 1943 zerstört wurde. Bildrechte: MDR

1933 griff die NSDAP nach der Macht: eine Zäsur. Die Musikwelt veränderte sich laut Sebastian Krötzsch aber nicht auf einen Schlag: "Genau genommen ist es so, dass Jazz und Swing zu keinem Zeitpunkt komplett verboten waren." Im Rundfunk habe diese Musik nicht mehr gespielt werden dürfen, als der Zweite Weltkrieg tobte, seien Platten aus Feindstaaten verboten worden. Jazz und Swing hätten sich ins Private verlagert: "Es war dann sogar so, dass Soldaten, die im Ausland stationiert waren, aus Dänemark, Norwegen oder ähnlichen Orten Platten mitbrachten. Auch unter den Soldaten war das natürlich die gängige Musik der Zeit. Die wurde gehört, die wurde gefeiert."

Thomanerchor in Uniformen der Hitlerjugend

Der NS-Staat machte auch vor der Kirchenmusik nicht halt. Claudius Böhm erklärt: "Es gibt auch Berichte davon, dass Soldaten an die Front verabschiedet wurden mit einem Orgelkonzert von Günther Ramin oder dergleichen. Der Thomanerchor ist tatsächlich teilweise in HJ-Uniform aufgetreten." Der Staat habe versucht, den Chor zu "entkirchlichen"; ab 1940 sei er auch nicht mehr in St. Nikolai aufgetreten, sondern nur noch in der Thomaskirche – was bis in die heutige Zeit nachwirkt.

Bach als Teil der NS-Propaganda

Herausragende Persönlichkeiten wie Johann Sebastian Bach wurden vom Regime vereinnahmt. Kuratorin Kerstin Sieblist erläutert: "Bach ist sozusagen Teil der Propaganda für die deutsche Musik. Für das Deutschland des Nationalsozialismus war Musik etwas ganz Wichtiges. Man verstand sich als Kulturnation, als das Musikvolk ersten Ranges. Und Bach als großer Deutscher spielte da eine ganz zentrale Rolle." 1935 folgte ein "Reichs-Bach-Fest" zum 250. Geburtstag des Komponisten, zu dem "der deutsche Bach" betont wurde – im Weihnachtsoratorium wurde umgetextet: aus dem "jüdischen Land" wurde "der Väter Land" und Thomaskantor Karl Straube ließ die Thomaner in HJ-Uniform singen.

Der Thomanerchor in HJ-Uniform.
Der Thomanerchor im Nationalsozialismus: Die Leipziger Ausstellung zeigt Fotos der Thomaner in HJ-Uniform. Bildrechte: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig, Foto: Stefan Petraschewsky

Mendelssohn, Wagner und die "Judenmusikweltstadt"

Anders war das beim Gedenken an Felix Mendelssohn Bartholdy, einem getauften Sohn jüdischer Eltern. Claudius Böhm erinnert daran, dass sein Denkmal vor dem Gewandhaus 1936 in einer Nacht-und-Nebel-Aktion abgebrochen wurde. Der Leipziger Oberbürgermeister, Carl Friedrich Goerdeler, trat daraufhin zurück. Wäre das Stauffenberg-Attentat nicht fehlgeschlagen, an dessen Planung er beteiligt gewesen ist, hätte er Reichskanzler werden sollen.

Das ursprüngliche Mendelssohn-Denkmal stand einst vor dem Konzerthaus, dem zweiten Gewandhaus zu Leipzig.
Das ursprüngliche Mendelssohn-Denkmal stand einst vor dem Konzerthaus. Eine Replik steht heute vor dem Westportal der Leipziger Thomaskirche. Bildrechte: imago images / Artokolo

Ein anderer berühmter Leipziger ging Mendelssohn Bartholdy bereits lange vor dem Nationalsozialismus mit Heftigkeit an. Richard Wagner schrieb in seinem Aufsatz "Das Judenthum in der Musik" von Leipzig als einer "Judenmusikweltstadt". Wagner wurde später zu Hitlers erklärtem Lieblingskomponisten und verehrt. Mendelssohns Werke hingegen wurden aus der Bibliothek des Konservatoriums ausgesondert, erklärt Kerstin Sieblist. Heute ist die Institution als Hochschule für Musik und Theater "Felix Mendelssohn Bartholdy" bekannt, die 1843 von ihrem Namensgeber gegründet wurde.

Leipziger Ausstellung "Hakenkreuz und Notenschlüssel"

Die Schau "Hakenkreuz und Notenschlüssel. Die Musikstadt Leipzig im Nationalsozialismus" blickt nun auf Institutionen und Persönlichkeiten während der NS-Zeit. Auch die Musikausübung an den Leipziger Synagogen sowie die Musik der Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen sind Thema, um ein Stück weit das Dunkel zu lichten, der über diesem Kapitel der Stadtgeschichte liegt.

Die beiden Ausstellungsmacher Sieblist und Krötzsch stellen einem Publikum ihre Pläne vor.
Die Leipziger Ausstellung "Hakenkreuz und Notenschlüssel" haben Sebastian Krötzsch und Kerstin Sieblist kuratiert und bei einer Pressekonferenz vorgestellt. Bildrechte: Stefan Petraschewsky

Mehr Informationen Sonderausstellung "Hakenkreuz und Notenschlüssel. Die Musikstadt Leipzig im Nationalsozialismus"
27. Januar bis 20. August 2023

Haus Böttchergäßchen
Böttchergäßchen 3
04109 Leipzig

Öffnungszeiten:
Dienstag bis Sonntag, Feiertage von 10 bis 18 Uhr

Veranstaltungen:
1. Februar, 15 Uhr: Führung durch die Sonderausstellung
2. Februar, 16 Uhr: Fortbildung für Lehrende mit Führung durch die Sonderausstellung

Redaktionelle Bearbeitung: Simon Bernard

Quellen

Encyclopædia Britannica, Hochschule für Musik und Theater " Felix Mendelssohn Bartholdy", Krystallpalast Varieté, Planet Wissen, MDR KLASSIK, MDR KULTUR Werkstatt (Stefan Petraschewsky), Stadt Leipzig, Städtisches Museum Leipzig

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Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 24. Januar 2023 | 22:00 Uhr

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