Zwischen Bewunderung und Verachtung: Was bringen Blockbuster-Ausstellungen?
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Sie werden als Publikumsmagneten bewundert, als vermeintliche Marketingevents verachtet – die aufsehenerregenden Großausstellungen der Kunst. Sogenannte "Blockbuster" verwandeln das Kunsterlebnis in ein Kulturspektakel, Museen in Eventzonen, stundenlanges Anstehen am Einlass inbegriffen. Eine Betrachtung über das Für und Wider von Mega-Schauen.
Neulich beim Besuch einer Hans-Baldung-Grien-Ausstellung in Karlsruhe: Was für eine sehenswerte Werkübersicht hatte man da zusammengestellt, atemberaubende Leihgaben aus aller Welt zu sinnvollen Themenkomplexen geordnet. In einem komplett digitalisierten Skizzenbuch des Meisters konnte man am Monitor blättern, ein Film zur historischen Einordnung des Malers und ein opulenter Katalog ergänzten die Ausstellung. Doch dann - bei aller Freude – drängte sich die Frage auf: Wie konnte das alles realisiert werden, wer hat das bezahlt?
Schlechtes Image
Blockbuster-Ausstellungen machen es möglich. Sie haben einen eher schlechten Ruf, gelten sie doch mehr als "Event“, denn als tiefschürfendes kulturelles Erlebnis. Das schlechte Image hat seinen Grund: Museen, deren Etats solche Großereignisse eigentlich nicht zulassen, müssen wie Unternehmen agieren. Sie benötigen erhebliche Drittmittel von Sponsoren oder Stiftungen und investieren einen großen Teil des Budgets in Marketing und Werbung, um möglichst viele Besucher anzulocken.
Gelingt dies, vermelden dann die Häuser stolz den jeweiligen Rekord – so als ginge es um reine Besucher-Dividende. Von inhaltlichen Erfahrungen, von abseitigem Erkenntnisgewinn ist kaum mehr die Rede.
Hinzu kommt: Um entsprechende Besucherzahlen generieren zu können, eignen sich nur Ausstellungen mit nicht zu sperrigen Themen und bekannten Namen: Impressionisten und Expressionisten, die Maler der Romantik, die Kunst der Renaissance. Van Gogh, Monet oder Bosch. Gern greift man in letzter Zeit auf Musiker (Björk, Bowie oder Dylan) oder Modemacher zurück, von denen man sich einen Promi-Bonus erhofft. So durften beispielsweise Alexander McQueen und Dior im Museum ihre Kollektionen zeigen, Joop und Lagerfeld warteten mit Malerei bzw. Fotografie auf.
Zerstörerischer Begriff
Der Begriff des Blockbusters stammt eigentlich vom Militär. Im Zweiten Weltkrieg nannte man so Luftminen, die ganze Häuserblöcke zerstörten. Nach dem Krieg wurde der Begriff umgewidmet und auf spektakuläre Ereignisse übertragen, in den Siebziger-Jahren bürgert er sich für publikumsträchtige Filme ein. Seit den Neunzigern "bereichert" er die Kunstwelt und wird in regelmäßigen Abständen totgesagt, um dann doch wieder aufzuerstehen.
"Sensation" lockt und schockt Besucher
Es war ein großer Coup, der dem Großsammler Charles Saatchi mit seiner Ausstellung "Sensation" 1997 gelang. In der Royal Academy in London zeigte er Werke junger britischer Künstler, die wahrlich einschlugen, wie eine Bombe. Dem Marketing-Experten gelang, wovon viele Museen damals nur träumten: Mehr als 350.000 Besucher kamen in nur drei Monaten, um die skandalumwitterte Ausstellung zu sehen.
Und das nicht nur, weil die Schau mit dem Etikett "Sensation" versehen war, sondern auch, weil im Hintergrund eine außergewöhnliche Werbemaschinerie lief. Wen störte da die Tatsache, dass Saatchi - parallel zur Ausstellung - Werke dieser Künstler äußerst gewinnbringend versteigern ließ. Dennoch: Positionen von damals bereichern noch heute den aktuellen Kunst-Diskurs: Jenny Saville, die Chapman-Brüder, Ron Mueck, Chris Ofili oder Damien Hirst.
Kunst oder Kasse?
Zugegeben, es gibt - wie so oft - zwei Seiten einer Medaille. Da sind einerseits die marktschreierischen Sensationen, die durchschaubaren, oftmals übertriebenen Anpreisungen, das Aufmerksamkeit-Heischen durch Skandal und Überwältigung. Monsterschlangen am Einlass und erdrückende Enge in den Ausstellungen tun ihr Übriges.
Andererseits ist klar, dass viele wichtige Ausstellungen ohne die Beschaffung enormer finanzieller Mittel nicht zustande gekommen wären. Wer hätte auf Bellini und Mantegna in Berlin oder auf die grandiose Doppelausstellung von Bonnard und Matisse im Frankfurter Städel verzichten wollen?
Leihgaben – vor allem aus amerikanischen Privatsammlungen, Transporte, zusätzliches Aufsichtspersonal und Versicherungen verschlingen heute Unsummen. Doch verschafft die betreffende Schau einen Erkenntnisgewinn, ermöglicht sie eine andere Sicht auf Werk oder Künstler, greift der Vorwurf der Effekthascherei, der aufgeblasenen Vermarktung nicht mehr.
Das museumsferne Publikum erreichen
Der Autor Wolfgang Ullrich, bekannt durch Bücher über den Kunstmarkt, verweist auf einen anderen interessanten Aspekt:
Ob der Vorteil für das Publikum wirklich so groß ist, wenn man erst stundenlang anstehen muss, bevor man in die Ausstellungen darf, sei dahingestellt. An sich ist nichts gegen diese Event-Politik von Museen zu sagen, wenn es darum geht, ein Publikum für Ausstellungen zu gewinnen, das sonst eher fernbleiben würde.
Doch auch er gibt zu bedenken, was vor allem kleinere Museen umtreibt, die im Schatten der großen Spektakel stehen:
Allerdings ist mit Sorge zu sehen, dass die ganze Vielfalt der Kunstgeschichte und der Kunstwelten auf der Strecke bleibt, wenn man alles auf so wenige Höhepunkte reduziert. Und wenn so viel Geld in einige wenige Bereiche fließt, könnte die ganze Binnenstruktur des Kunstbetriebs darunter leiden.
Buchtipp:
Wolfgang Ullrich
Siegerkunst
Neuer Adel, teure Lust
Sachbuch. Wagenbach, 2016
ISBN 978-3-8031-3660-2
Einflussnahme durch Geldgeber?
Kein Blockbuster ohne solvente Sponsoren und wer bezahlt, bestimmt bekanntlich die Musik. Doch wie weit reicht die Einflussnahme der Geldgeber? Nimmt die Kunst womöglich durch Sponsoring Schaden? Wird sie zum Platzhalter für Werbebotschaften oder zum verkitschten Postkartenmotiv? Wolfgang Ullrich rät zu einem Blick in die Kunstgeschichte:
Ich würde nicht sagen, dass die Kunst daran Schaden nimmt. Ich denke, das waren früher extremere Eingriffe, wenn sich zum Beispiel in der mittelalterlichen Malerei die Stifter auf die Bilder malen ließen. Die haben wesentlich mehr Fläche beansprucht und besetzt, als wenn heute auf der Eintrittskarte, im Folder oder im Katalog das Logo des Sponsors steht.
So ist Gelassenheit gefragt und darüber hinaus ein differenzierter Blick: Ausstellungen aller Größe bieten gleichermaßen Entdeckungen und Mogelpackungen. Wenn man nicht aus dem Blickfeld verliert, dass genügend kleine Museen mit spannenden thematischen Ausstellungen aufwarten – oft mit der Möglichkeit kontemplativer Betrachtung, ist auch nichts gegen den Besuch von Blockbuster-Ausstellungen einzuwenden.
Vielleicht steht das nächste Mal in Karlsruhe ein Besuch im Badischen Landesmuseum an. Auch da soll es spannende Ausstellungen geben. Und sicherlich hat man Glück und die Schlange an der Kasse ist kurz.
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | MDR KULTUR Spezial | 06. März 2020 | 18:05 Uhr