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Poster von Kurt Schwitters und Theo van Doesburg für eine "Kleine Dada-Soirée" von 1922 Bildrechte: IMAGO / piemags

Vor 100 JahrenWeimar 1922: Als Dada da war

von Sven Hecker, MDR KULTUR

Stand: 26. September 2022, 04:00 Uhr

Vor 100 Jahren, Ende September 1922, versammelte sich die internationale Kunst-Avantgarde in Weimar – der Stadt, die vor allem mit Klassikern wie Goethe und Schiller oder dem Bauhaus in Verbindung gebracht wird. Dadaisten wie Kurt Schwitters und Hans Arp oder Konstruktivisten wie El Lissitzky verlangten dem Thüringer Publikum so einiges ab.

Sie waren alle da: die Dadaisten Schwitters, Arp, Tzara und Richter, die Konstruktivisten El Lissitzky und Moholy-Nagy, der holländische De Stijl-Architekt van Eesteren, dazu Bauhaus-Schüler. Weimar erlebte vor 100 Jahren, Ende September 1922, so etwas wie ein kleines Klassentreffen der europäischen Künstler-Avantgarde. Ein ambitioniertes Unternehmen. Denn die Avantgardisten waren sich untereinander nicht sonderlich grün.

"Das wäre sehr lustig in Weimar. Gegen Goethes Gebeine und die pittoreske Atmosphäre mit den Sirenen und Faunen, die viel zu schwere Füße haben", schreibt im Sommer 1922 der Niederländer Theo van Doesburg. Er will in Weimar einen Kongress der internationalen Künstler-Avantgarde organisieren. Van Doesburg ist Mitbegründer der holländischen De Stijl-Bewegung und der gleichnamigen Zeitschrift, ein Wegbereiter der abstrakten Kunst.

Vom Bauhaus Weimar enttäuscht

1921 kommt er nach Weimar und mit ihm Dada und Konstruktivismus. "Van Doesburg hatte die Hoffnung, dass Walter Gropius ihn ans Bauhaus ruft", erklärt der Weimarer Komponist und Musiker Michael von Hintzenstern, der sich intensiv mit dieser Episode befasst hat. "Als er dann hier war, hat er sich aber sehr enttäuscht gezeigt. Für ihn war das, was (Bauhaus-Lehrmeister Johannes) Itten machte, Spätromantik oder höchstens Expressionismus. Dabei wollte er doch zu ganz neuen Ufern aufbrechen."

Doesburg beginnt, eigene Vorträge zu halten, arbeitet in verschiedenen Ateliers, verlegt schließlich das "De Stijl"-Redaktionsbüro nach Weimar. Und dann lädt er seine Künstlerfreunde hierher ein, zu einem "Internationalen Kongress".

Konstruktivisten vs. Dadaisten

Die ungarischen Konstruktivisten um László Moholy-Nagy sind allerdings noch vor Beginn bedient: "Als wir dort ankamen, fanden wir zu unserer großen Überraschung die Dadaisten Hans Arp und Tristan Tzara vor. Dies löste eine Rebellion gegen den Gastgeber Theo van Doesburg aus, da wir zu diesem Zeitpunkt den Dadaismus im Verhältnis zu der neuen Weltanschauung der Konstruktivisten als eine destruktive und überholte Bewegung bewerteten."

Van Doesburg fürchtet eine politische Instrumentalisierung der "Internationale" durch die Konstruktivisten. Die Dadaisten sollen das verhindern, so van Doesburgs Kalkül. Auch die Dadaisten Kurt Schwitters und Hans Richter folgen seiner Einladung nach Weimar.

Eine Frau schaut sich in einer Ausstellung die "Ursonate" von Kurt Schwitters an. Bildrechte: imago/ZUMA Press

Weimarer Dada-Kongress: erst tagen, dann trinken

Dann beginnt der "Kongress", eigentlich eher eine Zusammenkunft mit Rahmenprogramm. Man besucht unter anderem Bauhaus und Landesmuseum – in letzterem findet gerade die Erste Thüringische Kunstausstellung statt. Man frequentiert aber ebenso die lokalen Lokale. Über den 22. September berichtet van Doesburg lakonisch: "Trinken – trinken – trinken – betrunken."

Auch nach Jena fährt die Kongressgemeinschaft, veranstaltet im dortigen Kunstverein einen Dada-Abend. Nachdem das Publikum bei Van Doesburgs Vortrag gerade noch so die Ruhe bewahrt, ist es beim avantgardistischen Klavierspiel seiner Frau Nelly vorbei, so Werner Graeff, damals Bauhaus-Schüler, Augen- und Ohrenzeuge: "Man zischte und pfiff, während Nelly unbeirrt weiterspielte ... Bei Schwitters' Gedichten herrschte dann wieder einige Ruhe, da der alte Magier die Leute in Bann schlug. Dafür brach bei Hans Arps Vorlesung plötzlich ein Höllenlärm los. Das Publikum fühlte sich verspottet ... und begab sich, erregt diskutierend, nach Hause."

In Jena kam Dada schlecht an

Höhepunkt des Treffens ist dann eine Dada-Soirée im Hotel "Fürstenhof" zu Weimar. Im Publikum größtenteils wohl Bauhäusler. Das Programm: ein Vortrag von Tristan Tzara über Dada in Paris, Gedichte von Hans Arp sowie erneut Nelly van Doesburg am Klavier.

Trotz vieler Differenzen – offenbar kommt es zu keinem großen Krach zwischen Dadaisten und Konstruktivisten, beim Reden, Tagen und Trinken. Allerdings: Die Gründung einer Internationale der Künstler-Avantgarde bleibt Utopie. Theo van Doesburg verlässt Weimar Anfang 1923.

Redaktionelle Bearbeitung: Hendrik Kirchhof

Dieses Thema im Programm:MDR KULTUR - Das Radio | 26. September 2022 | 06:40 Uhr