Jagdschloss Hubertusburg
Zu Zeiten von August dem Starken war Hubertusburg ein prächtiges Jagdschloss. Später wurde es Lazarett, Haftanstalt und in der DDR eine Psychiatrie. Bildrechte: imago/Panthermedia

"Vergissmeinnicht – Museum der (un)entdeckten Erinnerungen" Ausstellung: Als Schloss Hubertusburg eine Psychiatrie war

18. Mai 2023, 04:00 Uhr

Die Ausstellung "Vergissmeinnicht – Museum der (un)entdeckten Erinnerungen" ist bis 24. September auf Schloss Hubertusburg in Wermsdorf zu sehen. Im 18. Jahrhundert gehörte die barocke Anlage zu den größten Jagdschlössern Europas: August der Starke ließ es für seinen Sohn errichten. Später wurde das Schloss Lazarett, Haftanstalt und dann psychiatrische Klinik. Die Staatlichen Kunstsammlungen haben zwar in den letzten Jahren versucht, der historischen Bedeutung des kurfürstlich-sächsischen Schlosses durch Ausstellungen gerecht zu werden, doch die späteren Bewohner kamen darin kaum vor. Ihnen ist die neue Ausstellung vor allem gewidmet.

Viele verbinden Hubertusburg nicht mit einem der prächtigsten Schlösser Europas, sondern mit dem Thema Psychiatrie.

Matthias Müller, Bürgermeister von Wermsdorf

August der Starke ließ Schloss Hubertusburg für seinen Sohn Friedrich August II. errichten. Der baute es bis 1753 zur kurfürstlich-königlichen Residenz aus. Von hier aus regierte er nicht nur Kursachsen, sondern auch das Königreich Polen und das Großherzogtum Litauen. Ein kurzer "Rokoko-Traum", heißt es in der Ausstellung. Am Ende des Siebenjährigen Krieges plünderten preußische Soldaten alle Kunstschätze. Das königliche Jagdschloss wurde Lazarett, Haftanstalt und dann psychiatrische Klinik, bis zu DDR-Zeiten. Die Erinnerungen an die "Hub" sind wach, wie Matthias Müller, Bürgermeister von Wermsdorf bemerkt: "Für uns steht die Geschichte der Krankenhauspsychiatrie im Mittelpunkt schon noch sehr in Erinnerung. Das Schloss war Lebensort für Hunderte von Menschen. Natürlich, wir wünschen uns ein Stück des Prunkes und der Pracht zurück. Das ist leider jetzt nicht gegeben. Aber wir freuen uns, dass die Staatlichen Kunstsammlungen wieder aktiv werden und mit einer spannenden Ausstellung viele Besucher anlocken."

Seit der Wende stehen die meisten Räume im Hauptpalais leer. Nur etwa 1.000 von rund 20.000 Quadratmeter werden für Ausstellungen wie "Vergissmeinnicht" genutzt, und dies auch nur in der warmen Jahreszeit. Dazu kommt die katholische Schlosskapelle. Sie wurde von den Preußen nicht zerstört.

Heilung braucht Erinnerung, auch an die Schmerzen

Nur einige Schlossräume wurden restauriert, wie der Ovalsaal oder der Vorsaal, jeweils mit Sitzgruppen zum Verweilen. Ansonsten blieben wie Wände roh. Zum Teil fehlt der Putz. Ins Auge fällt das Kachelbild der Brasilianerin Adriana Varejão, Jahrgang 1964. Keramik, aufgerissen wie eine schreckliche Wunde. In dem Werk, das vom Kunstfonds des Freistaates angekauft wurde, geht es nur vordergründig um die brutale Kolonialgeschichte. Es gehe eben auch um Heilung, sagt Kuratorin Tony Eva Hoyer von den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden: "Und Heilung braucht Erinnerung. Das heißt, wir müssen uns auch an das Schmerzhafte erinnern, wenn wir Heilung wollen. Und das hat Adriana Varejão in diesem Werk wirklich sehr eindrücklich dargestellt."

Vorsaal der Hubertusburg mit große Kissen auf dem Fußboden
Im Vorsaal der Hubertusburg liegen drei große Kissen auf dem Boden, eine Installation von Anna Degenkolb aus Leipzig, geb. 1969. Über Schläuche und eine Pumpe werden sie mit Warmwasser befüllt. Restwärme soll das Gefühl wecken, dass da eben noch jemand gewesen ist, wie in einem Bett. Bildrechte: Staatliche Kunstsammlungen Dresden/Tom Dachs

Die Ausstellung erzählt vom Wandel

Im zweiten Raum verstellt eine Wand aus 918 Blechdosen die Fensterfront: "Les Archives" von Christian Boltanski (1944 – 2021), ein Werk aus der Sammlung Hoffmann in den Sächsischen Kunstsammlungen Dresden. Wie Karteikästen sind die Dosen mit persönlichen Dokumenten, Notizen, Fotos und der gleichen gefüllt, die der Künstler 1889 auf der Suche nach seiner jüdisch-ukrainischen Familiengeschichte gefunden hat.

Links an der Wand hängen Fragmente im Zweiten Weltkrieg verloren gegangener Kupferstiche, von denen mitunter nur das Passepartout übriggeblieben ist, z. B. zur "Nymphe der Verführung" von Max Klinger oder Lucas Cranach "Simons Kampf mit dem Löwen". Eine Hörstation bietet Wermsdorfer Erzählungen, z. B. von der "Kräuterfrau" oder Jana Käsebergs "Zeit im Archiv." Die Fotoserie "KULPOCHE – Altäre der Privatheit" zeigt Fotografien von Bertram Kober, Jahrgang 1961, der vor und nach der Wende Orte in Sachsen dokumentiert hat, zwischen 1983 und 1996. Im Hotel Post in Pirna, im Kurhaus Bad Elster oder in einer Privatwohnung in Rietschen hielt er vermeintliche Nebensächlichkeiten fest, die aber oft prägend für Erinnerungen sind,  meint Kuratorin Tony Eva Hoyer: "Das könnte bei meinen Großeltern zu Hause sein. Das sind so Sachen. Es ist irgendwie eine vertraute Erinnerung, obwohl ich dort nie gewesen bin, weswegen ich die eben auch ausgewählt habe, weil ich mir vorstellen könnte, dass es auch für viele andere Menschen Momente der Erinnerung sein könnten." Die junge Kunsthistorikerin hat die DDR selbst nicht erlebt. Sie wurde erst nach der Wende geboren, blickt aber voller Neugier auf diese Zeit. 

Eine Mauer aus Blechdosen verstellt die Fensterfront
"Les Archives" von Christian Boltanski: 918 Blechdosen sind wie Karteikästen gefüllt mit persönlichen Erinerungen der einstigen Bewohner*innen. Bildrechte: Staatliche Kunstsammlungen Dresden/Tom Dachs

Kunstwerke der Patient*innen über den Psychiatrie-Alltag

Ein ganzer Raum befasst sich mit dem, was Patienten und Patientinnen hinterlassen haben. Sie zeichneten, nähten, schrieben, drückten so ihre Gefühle aus oder erzählten einfach vom Alltag in der Heilanstalt. So bestickte Agnes Emma Richter (1844-1918) ihre Jacke mit ihrer Autobiografie. Die Krankenakte beschreibt sie als blass aussehende, durch Verkrümmung der Wirbelsäule missgestaltete Frau, die für andere eine Gefahr darstelle. Doch waren diese Menschen wirklich alle so "verrückt", dass sie für Jahrzehnte in einer Anstalt wie Hubertusburg eingesperrt sein mussten?

Krankenakten erzählen bewegende Geschichten

Viele Patientenakten hat die Kuratorin im Sächsischen Staatsarchiv Leipzig gesichtet. Einige von 134 laufenden Metern, die seit 1840 angelegt wurden, sind ausgestellt. "Diese Arbeit ist stellenweise sehr bewegend, wenn man diese Akten liest und da Schicksale irgendwie erfährt. Also es gab auch Momente, wo ich wirklich kurz rausgehen musste, weil das ja wirklich, wenn das eine Ärztin oder ein Arzt aufschreibt, sind das natürlich sehr nüchterne Beschreibungen von eigentlich sehr schlimmen Schicksalen", erzählt Tony Eva Hoyer.

Detailaufnahme der Erinnerungskisten der Bewohner*innen der Psychiatrie
Eine Detailansicht der Erinnerungskisten der ehemaligen Bewohner*innen der Psychiatrie Hubertusburg. Bildrechte: Staatliche Kunstsammlungen Dresden/Tom Dachs

In einer Audiostation erzählen die ehemalige Chefärztin und eine ehemalige Patientin der Psychiatrie von ihrer Zeit im Fachkrankenhaus Hubertusburg zu DDR-Zeiten. Schon damals hat sich der Alltag hier sehr verändert. Tony Eva Hoyer: "Das heißt, vorher gab es zum Beispiel Anstaltskleidung, es gab eine Geschlechtertrennung, und das wurde alles aufgelöst. Es gab offene Stationen, die Patientinnen konnten ihre eigenen Sachen auch selbst verwalten etc. Und als zweite Stimme haben wir eben noch bei der Audiostation die Frau Scharf, die eben keine Ärztin war, sondern eben eine Patientin hier in der Psychiatrie war und eben aus ihrer Sicht hingegen schildert, wie sie das alles wahrgenommen hat. Und das ist eigentlich ganz schön, wirklich das aus zwei Perspektiven zu betrachten und zu sehen, wie, obwohl sie quasi am gleichen Ort waren, wie unterschiedlich ihre Erinnerung logischerweise an das ist, was sie erlebt haben."

August Bebel und Wilhelm Liebknecht im Gefängnis Hubertusburg

Die große Geschichte braucht für die Erzählung aus zwei Perspektiven beispielsweise den Gipsschädel von August dem Starken oder große Porzellanvasen aus Meißen, die sogenannten Hubertusburger Vasen. Auch ein Bild von der Gefangennahme und Befreiung der Prinzen Albert und Ernst gehören zur musealen Erzählung des sächsischen Hochadels, der sich in Hubertusburg rauschende Feste leisten konnte. Aber oftmals reichen kleine Dinge, um sich zu erinnern. Fotos, Bücher, Scherben, Fundstücke. Man nimmt sie mit nach Hause, packt sie in Kisten. Vielleicht werden sie nach dem Tod weggeworfen, weil die Hinterbliebenen damit nichts anfangen können. Den vorletzten Raum nimmt der Besucher vielleicht sogar wie eine Kammer voller Kuriositäten wahr, als Sammelsurium unterschiedlichster Erinnerungsstücke.

Weniger bekannt ist, dass dieser Ort im 19. Jahrhundert Gefängnis war. Hier saßen August Bebel und Wilhelm Liebknecht 1872 als politische Gefangene ein.

 Das Gemälde "Der Prozess gegen Bebel und Liebknecht" von Michael Gawlick
Das Gemälde von Michael Gawlick (1975) beschreibt den Sozialistenprozess von 1872 in Leipzig, bei dem die Sozialdemokratischen Arbeiterführer August Bebel und Wilhelm Liebknecht zu 30 Monaten Festungshaft verurteilt wurden, die sie großenteils in Hubertusburg absaßen, allerdings unter recht komfortablen Bedingungen, anders als Strafgefangene. Bildrechte: Staatliche Kunstsammlungen Dresden/Tom Dachs

Sehr berührend ist die kleinformatige colorierte Zeichnung "Sitzender Knabe als Akt" von Hildegard Seemann-Welcher, geschaffen um 1929. Das Bild kam 1923 als Schenkung der MUSEIS SAXONICIS USI – Freunde des SKD e.V. ins Kupferstichkabinett. Die Malerin litt an Schizophrenie und wurde wie auch die Malerinnen Gertrud Fleck und Elfriede Lohse-Wächtler in Pirna Sonnenstein Opfer der NS-Euthanasie. Viele Patienten von Hubertusburg erlitten das gleiche Schicksal.

Muss man sich wirklich an alles erinnern?

Gemälde "Der Strom" von Neo Rauch
Wer aus dem Fluss Lethe trinkt, vergisst alles. Damit beschäftigt sich das Bild "Der Strom" des Leipziger Malers Neo Rauch. Bildrechte: courtesy Galerie EIGEN + ART

Mit dieser Frage befassten sich schon die alten Griechen. In ihrer Mythologie gibt es den Fluss des Vergessens. Lethe. Wer aus ihm trinkt, weiß von all den schlimmen Dingen nichts mehr. Aber auch die guten Erinnerungen sind verschwunden. Mit diesem Thema befasste sich 1992 der Leipziger Maler Neo Rauch im "Der Strom".

Unscheinbar aber doch wirkungsvoll soll ein kleiner Blumenkranz genau das Gegenteil bewirken. Vergissmeinnicht aus dem Museum für sächsische Volkskunst. Sie symbolisieren die zärtliche Erinnerung, Treue, Verbundenheit, Abschied in Liebe. Es geht am Ende der Ausstellung auch darum, wie Erinnerungen bei Demenzkranken durch Emotionen geweckt werden. Ein Walzertanz soll Erinnerungen an die Ausstellung im Schloss Hubertusburg im Gedächtnis festhalten. Und man kann hier auch eine bereits frankierte "Vergissmeinnicht"-Postkarte einwerfen.

Postkarte Vergissmeinnicht
Eine "Vergissmeinnicht"-Postkarte hält die Erinnerung an die Ausstellung lebendig. Bildrechte: Wolfram Nagel

Infos zur Ausstellung "Vergissmeinnicht - Museum der (un)entdeckten Erinnerungen"
Schloss Hubertusburg

Glöcknerstraße 12
04779 Wermsdorf

Bis 24. September 2023

Öffnungszeiten
Donnerstag bis Sonntag, 10 bis 17 Uhr

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 19. Mai 2023 | 10:10 Uhr