Interview Gastland Österreich auf der Leipziger Buchmesse: Sprachberserker aus der Provinz

Nah und fern zugleich: Die Literaturlandschaft unseres Nachbarlandes Österreich präsentiert sich auf der Leipziger Buchmesse 2023 vom 27. bis 30. April mit einem umfangreichen Programm. Kuratorin Katja Gasser verrät im Interview mit MDR KULTUR, welche Besonderheiten die österreichische Literatur ausmachen und worauf sich Buchmessebesucher*innen freuen können.

Eine Frau mit dunklen kurzen Haaren spricht auf einer Konferenz in ein Mikrofon.
Katja Gasser ist Kuratorin des Gastlandauftritts von Österreich bei der Leipziger Buchmesse 2023 und ORF-Journalistin. Bildrechte: IMAGO / Christian Grube

MDR KULTUR: Österreich tritt bei der Leipziger Buchmesse unter dem Motto #meaoiswiamia, sprich "mehr als wir" auf – was steckt dahinter?

Katja Gasser: Ich habe mehrere Autorinnen und Autoren in Österreich gefragt, wie wir denn als solches Projekt heißen könnten. Einer der Vorschläge war eben dieses "meaoiswiamia". Mich hat es in vielerlei Hinsicht überzeugt. Vor allem, weil es sofort klar wird, es geht um Sprachkunst. Es irritiert, und gleichzeitig ist es bedeutungsvielschichtig. Gute Literatur zeichnet aus, dass sie sehr viele Bedeutungsschichten in sich trägt, die sich dann nicht auf eine einzige Bedeutung reduzieren lassen. Genau das tut auch unser Claim. Eine der Bedeutungsschichten, die in "meaoiswiamia" liegt, ist, dass wir verstanden haben, dass wir mit "mia san mir" nicht weit kommen werden.

Katrin Schumacher 57 min
Bildrechte: MDR/Hagen Wolf

Was macht österreichische Literatur aus?

In der deutschen Literatur ist es sehr populär geworden, die Provinz als eine Option zu erfinden. Stichwort Juli Zeh, wir gehen in die Provinz und nehmen ein Dorf aus einer urbanen Sicht unter die Lupe. Das ist zum Beispiel etwas, was es in der österreichischen Gegenwartsliteratur überhaupt nicht gibt. Es gibt die Auseinandersetzung mit der Provinz, aber in genauer Kenntnis der Provinz. Österreich ist ein kleines Land, und wir sind fast überall, bis auf ein paar Ecken in Wien, Provinz. Deshalb hab ich auch so große Freude zum Beispiel mit einem Programmpunkt, den wir haben: "Weltsprache Provinz". Zwei Tage neue österreichische Dramatik im Schauspiel Leipzig, wo es nicht zuletzt um diese Frage gehen wird, was bedeutet Provinz auch aus österreichischer Sicht?

Auch die Bereitschaft, literarisch risikoreicher zu arbeiten, ist auf dem österreichischen literarischen Gebiet einfach ausgeprägter. Werner Schwab wird zum Beispiel Teil unseres Auftritts sein. Das, was Werner Schwab macht, ist schwer umstellbar auf deutsche Dramatik. Weil das Sprachberserker sind und dieses Sprachberserkertum eine lange Tradition in der österreichischen Literatur hat.

Sie haben "Archive des Schreibens" aufgenommen, Porträts von österreichischen Autor*innen im Netz sowie einen Podcast, in dem sie mit Literat*innen sprechen. Steckt dahinter die Idee, ein Archiv zu bauen?

Ende April ist natürlich für uns alle wichtig, weil wir auf dieses Ereignis hinarbeiten. Gleichzeitig hoffe ich, dass wir mit "Archive des Schreibens" und der Podcast-Serie etwas initiieren, was weiter geht. Ich bin darum bemüht, dort Autorinnen und Autoren vorzustellen, die eben nicht in der Liga von Michael Köhlmeier, Arno Geiger und Christoph Ransmayr mitspielen. Es ist uns wichtig, Autor*innen eine Bühne zu geben und Leute einzuladen, die Sie nicht ohnehin schon kennen.

Viele österreichische Autor*innen, die man kennt, verlegen bei deutschen Verlagen. [...] Österreich hat ja eine unglaublich große und vivide Verlagslandschaft, die kleinteilig ist und sich gegenüber großen Konzernen schwer behaupten kann. Aber dort finden sehr viele innovative Dinge statt. Dževad Karahasan zum Beispiel hatte seine ersten literarischen Gehversuche im österreichischen Wieser-Verlag als übersetzter Autor. Heute ist er einer der renommiertesten Suhrkamp-Autoren auf dem Feld der internationalen Literatur.

Die Schaubühne Lindenfels in Leipzig: Eingangsportal von der Seite aus gesehen
Die Schaubühne Lindenfels ist der Hauptort des Gastland-Auftritts von Österreich bei der Leipziger Buchmesse 2023. Bildrechte: MDR/Claudia Masur

Was ist der erste Anlaufpunkt für Messebesucher*innen, um mit Österreich in Verbindung zu kommen?

Auf den Gastlandstand zu kommen! Dort wird es Leute geben, die informieren können, was wir alles machen. Dort wird es auch ein spezielles Programm geben, ein einerseits literarisches, andererseits politisches. Und in jedem Fall die Schaubühne Lindenfels besuchen, die sowas wie der Österreich-Pavillon sein wird während der Buchmessetage.

Mehr über das Gastland Österreich bei der Leipziger Buchmesse 2023

54 österreichische Verlage werden bei der Leipziger Buchmesse einen Einzelstand haben, etwa 70 beteiligen sich am Gemeinschaftsstand des Gastlandes. Rund 200 österreichische Autorinnen und Autoren wollen sich mit ebensovielen Neuerscheinungen auf der Buchmesse präsentieren. Geplant sind etwa 110 Veranstaltungen. Hauptort des Gastland-Auftritts ist die Schaubühne Lindenfels (Karl-Heine-Str. 50), wo jeden Abend neben Autor*innen auch Musiker*innen auftreten sollen. Angekündigt sind unter anderem Franzobel, Raphaela Edelbauer, Erika Fischer, Ana Marwan, Robert Seethaler und Arno Geiger. (Quellen: dpa, epd)

Das Gespräch führte Moderatorin Katrin Schumacher für MDR KULTUR. Das Interview wurde gekürzt und redaktionell bearbeitet. / Redaktionelle Bearbeitung: msp, hki

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 01. März 2023 | 18:05 Uhr

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