Zwei dreibeiniger Stahlschemel der Marke Rowac
1909 erstmals auf der Leipziger Messe ausgestellt - heute existieren nur noch einige erhaltene Exemplare: der Rowac-Hocker. Bildrechte: MDR/Cornelia Winkler

Wiederauflage geplant Rowac-Schemel aus Chemnitz – Rückkehr des Ur-Typs der Werkstatthocker

07. April 2023, 04:00 Uhr

Der dreibeinige Stahlhocker der Marke Rowac ist Liebhabern und Sammlern längst als Design-Klassiker bekannt. Entwickelt wurde er zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Chemnitz, wurde am Bauhaus genutzt und gilt heute als Ur-Typ des Werkstatthockers. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Produktion eingestellt – nun soll er wieder neu auf den Markt gebracht werden.

Drei Beine aus schwarzem, gebogenem Stahl, drei Querstreben und obendrauf eine runde Sitzplatte aus Holz – das ist der Rowac-Hocker. Vor über 100 Jahren von Karl RObert WAgner in Chemnitz entworfen und in seiner Eisenwarenfabrik Rowac produziert, findet man ihn heute vor allem in Museen oder auf Flohmärkten.

Alide und Dieter Amick aus Leipzig wollen das ändern. Die Augenoptikermeisterin und der US-amerikanische Industriedesigner möchten den Hocker wieder neu aufleben lassen. Dafür haben sie sich die Patentrechte gesichert.

Paar aus Leipzig will Rowac-Hocker neu produzieren

Sie selbst sind bei einem Flohmarktbesuch erstmals auf den Stahlschemel aufmerksam geworden, auf der Suche nach passenden Sitzmöglichkeiten für die eigene kleine Küche. Von der Konstruktion des Schemels waren sie sofort angetan, erinnert sich Industriedesigner Dieter Amick: "Was ich sonst gesehen habe an Industriemöbeln, ist eher grobe Arbeit, abgelenkte Metallteile, grob zusammengeschweißt, ohne Liebe und eher so: Komm, wir basteln schnell was zusammen und es wird schon halten. Aber das, was ich damals auf dem Flohmarkt gesehen habe, war wirklich etwas Durchdachtes, so eine Liebe für Details."

Ein Mann und eine Frau hocken neben zwei historischen  Stahlschemeln der Marke Rowac.
Dieter und Alide Amick aus Leipzig wollen den Rowac-Hocker wieder produzieren. Bildrechte: MDR/Cornelia Winkler

Der Rowac-Hocker, ein ausgetüfteltes Design

In der Tat hat der gelernte Schlosser Karl Robert Wagner viel Forschungs- und Tüftelarbeit in den Schemel gesteckt, den er 1909 erstmals auf der Leipziger Messe ausgestellt hat. Das weiß auch Barbara Wünstl, Kuratorin am Chemnitzer Industriemuseum, das auch so einige Rowac-Hocker in seinem Bestand hat. Wünstl zufolge hat Wagner schon 1905 damit begonnen, den dreibeinigen Hocker zu entwickeln und hat ihn dann immer weiter verbessert.

"Zum Beispiel die Beine sind gebogenes Stahlblech, dadurch wird eine größere Stabilität erreicht. Unten die Füße haben eine Veränderung erfahren, damit er auf dem Boden nicht kratzt, wenn man ihn schiebt. Er hat wirklich sehr lange getüftelt, dass der stabil steht, nicht wackelt, nicht mal knarzt. Das war einfach sehr viel Gehirnschmalz, was da reingeflossen ist." Das mache den Hocker bis heute zu einem zuverlässigen, robusten Sitzmöbel. Hinzu kommen eine bequeme Sitzhöhe und sein leichtes Gewicht.

Ein dreibeiniger Stahlschemel der Marke Rowac mit grünen Beinen vor einer dunklen Wand
Die konisch zulaufenden Beine sind ein Kennzeichen der Rowac-Schemel und sorgen für besondere Stabilität. Bildrechte: G. Wolf. Peter Müller

Ein Klassiker des Industriedesigns

Laut Museumsleiter Jürgen Kabus hat sich der Rowac-Schemel so gegen frühere Holzschemel durchgesetzt und ist als Werkstatthocker populär geworden. Hauptsächlich habe er in Industriebetrieben seinen Platz gefunden, "überall da, wo Arbeiter tätig waren, da wo man sich auch mal ausruhen muss oder wo man an der Werkbank sitzt", so Kabus. "Bei so einem Metall-Schemel von Rowac ist man sehr stabil, sehr sicher und kann dadurch ruhiger arbeiten, feinmechanische Arbeiten durchführen und das verbessert natürlich die Qualität des Produktes am Ende." Es sei eine schöne Kombination aus Haltbarkeit, Einfachheit, Schlichtheit.

Einsatz in den Bauhaus-Werkstätten

Der Rowac-Hocker steht für die Synthese aus Form und Funktion. Kein Wunder, dass auch Walter Gropius und das Bauhaus diesen für sich entdeckten. Die Hocker wurden in den 1920ern in den Werkstätten in Weimar, Dessau und Berlin eingesetzt. Trotz des Erfolgs kam 1946 das Ende: Der Metallverarbeitungsbetrieb Rowac wurde nach dem Zweiten Weltkrieg enteignet, die Produktion eingestellt.

Eine historische Gruppen-Aufnahme zeigt Bauhäusler, die auf Rowac-Schmeln sitzen.
Der Chemnitzer Design-Klassiker wurde auch am Bauhaus genutzt, wie hier in einer Aufnahmen von 1923 zu sehen. Bildrechte: Rowac

Dass der Hocker aber nicht in Vergessenheit geriet, und jetzt vermehrt in den Fokus rückt, erklärt sich Kuratorin Wünstl vor allem mit seiner Nachhaltigkeit: "Der Rowac-Hocker wird seit ein paar Jahren wiederentdeckt, aus den Gründen, warum er auch damals schon so besonders war. Ich glaube, das sind Themen, die uns auch heute beschäftigen: Wie können wir sinnvoll mit Rohstoffen umgehen und Produkte so machen, dass sie möglichst lange haltbar sind?"

Finanzierung über Crowdfunding

Stabil und nachhaltig soll auch die neue Generation der Rowac-Hocker werden. Dafür hat Industriedesigner Dieter Amick die ausgetüftelte Konstruktion bis ins Detail auseinandergenommen. Denn Entwürfe von damals gibt es keine. Auch die von Wagner genutzten speziellen Werkzeuge existieren nicht mehr. Sie sind für eine Neu-Produktion aber nötig – Kostenpunkt: knapp 100.000 Euro. Diese Summe versucht das Paar nun über Crowdfunding zu bekommen, wie Alide Amick erklärt: "Das Tolle bei Crowdfunding ist, dass wir direkt eine Rückmeldung davon bekommen, ob die Leute das wirklich interessiert. Das andere ist, dass die Menschen etwas dafür bekommen, dafür, dass sie einen unterstützen."

Ein dreibeiniger Rowac-Stahlhocker in einem Zimmer
Heute kommt der Hocker nicht nur als Sitzmöbel, sondern auch gern als Blumenständer oder kleiner Beistelltisch zum Einsatz. Bildrechte: Rowac

Wenn alles klappt, sollen die ersten neuen Rowac-Schemel im Dezember fertig sein. Produziert werden soll die Neuauflage übrigens genau wie vor mehr als 100 Jahren in Altchemnitz.

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 11. April 2023 | 06:10 Uhr