GedenkenSchauplatz von NS-Verbrechen: Bahnhof in Dresden wird zur Gedenkstätte
Der Alte Leipziger Bahnhof in Dresden war Ausgangspunkt von zahlreichen Deportationen. Jüdinnen und Juden von hier aus in Vernichtungslager im Osten verschleppt, ab 1943 direkt nach Auschwitz. Daran soll an dieser Stelle künftig erinnert werden und in den nächsten Jahren ein Shoah-Gedenkort sowie ein Dokumentations- und Begegnungszentrum entstehen. Auch als Standort für ein Jüdisches Museum ist das ehemalige Bahnhofsgelände wieder im Gespräch.
Züge verkehren am Alten Leipziger Bahnhof in der Dresdner Neustadt schon längst nicht mehr. Die Gleise sind abgebaut oder überwuchert, die ehemalige Empfangshalle eine Ruine. Von hier, einem der ersten Fernbahnhöfe Deutschlands, brach man einst auf ins Eisenbahn-Zeitalter. Aber von hier aus, und das ist der unrühmliche Teil der Geschichte, starteten ab 1942 auch die Deportationszüge, erst nach Riga, ab 1943 brachten sie Jüdinnen und Juden dann direkt ins Vernichtungslager nach Auschwitz.
In Dresden soll ein Gedenkort für NS-Opfer entstehen
Ideen, in Dresden einen Erinnerungsort für jüdische Geschichte, Identität und Kultur zu etablieren, werden seit Jahren diskutiert. Mit einem Stadtratsbeschluss 2021, die Realisierung zu prüfen, nahm das Ganze schließlich Fahrt auf und inzwischen sind die Pläne sehr konkret. In der ehemaligen Bahnhofshalle, ergänzt durch einen weiteren Kopfbau sollen künftig eine Gedenkstätte, ein Dokumentationszentrum, in dem die NS-Geschichte Dresdens aufgearbeitet wird, und eine Begegnungsstätte Platz finden.
Ich denke, dass dieser Standort, hinsichtlich seiner Symbolik einmalig ist und dass wir damit auch einen Standort haben, wo wir jungen Leute [...] die Geschichte nahebringen können und ihnen aus der Geschichte heraus durch Begegnung und vielfältige Veranstaltungen vermitteln, wie Jüdinnen und Juden heute leben.
Andre Lang, Förderkreis Gedenk- und Lernort Alter Leipziger Bahnhof
Hören Sie hier den Beitrag von Grit Krause
Bahnhof in Dresden-Neustadt wird zur Gedenkstätte
In Bezug auf ein Begegnungs- oder Kulturzentrum gab es durchaus Vorbehalte. Die Vorstellung, dass an diesem mit extremem Leid verbundenen Ort ausgelassene Feste und Events gefeiert würden, schien manchen unangemessen. Speziell die Jüdische Gemeinde zu Dresden fühlte sich auf diesem Weg zwischenzeitlich nicht gehört und mitgenommen. Doch mittlerweile sind die Bedenken ausgeräumt.
Damit bekommt Dresden endlich einen angemessenen, sichtbaren Erinnerungs- und Gedenkort an diesem Schauplatz der Deportationen, woran bisher lediglich mit einer Stele am benachbarten Neustädter Bahnhof, nicht am authentischen Ort des Geschehens erinnert wurde.
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Ein jüdisches Museum für Sachsen?
Vorausgegangen waren im vergangenen Jahr eine Reihe von Podiumsdiskussionen, Bürgerforen und Workshops, in denen es unter anderem um die Frage ging, ob Dresden bzw. Sachsen ein jüdisches Museum braucht und wie jüdische Geschichte künftig präsentiert werden soll.
Für Thomas Feist, den Beauftragten für jüdisches Leben in Sachsen könnte das das geplante Dokumentationszentrum am Alten Leipziger Bahnhof durchaus leisten. Er sagt, man müsse den ganzen Freistaat in den Blick nehmen. Sein Vorschlag ist eine zentraler Anlaufpunkt, von dem aus man dann aufbricht zu anderen jüdischen Gedenkorten. Satelliten, wie er es nennt, nach Leipzig, Chemnitz oder auch nach Theresienstadt und Prag. Wenn die Sprache auf ein jüdisches Museum für Sachsen kommt, über das in Dresden wie auch in Leipzig nachgedacht wurde und wird, ist Thomas Feist etwas zurückhaltender.
Was uns fehlt sind Fakten. Wir wissen gar nicht, haben wir in Sachsen überhaupt genug Sachen, die wir ausstellen können? Deswegen haben wir gesagt, wir wollen diesen Weg eines Themenjahrs ("Jüdische Kultur in Sachsen" 2026, Anm. d. Red.) auf dem Weg hin zum Museum nutzen, damit man auf Grundlage von Fakten diskutiert.
Thomas Feist, Beauftragter für jüdisches Leben in Sachsen
Annekatrin Klepsch, Dresdens Kulturbürgermeisterin, ist jedoch skeptisch, was die sachsenweite Ausstrahlung einer Gedenkstätte im Alten Leipziger Bahnhof betrifft. Sie führt ein verändertes Rezeptions- bzw. Besucherverhalten an, speziell eines jüngeren Publikums. Reine Wissensvermittlung kann man heute digital leisten. Die Erwartungen an einen neu geschaffenen, analogen Ort wiederum wären extrem hoch, denn dieser muss dann etwas bieten, was nicht im Digitalen abrufbar ist.
Gedenkstätte in Dresden für Opfer des Holocaust und Nachfahren
Dem Dresdner Stadtrat liegen inzwischen die Empfehlungen für einen Shoah-Gedenkort mit NS-Dokumentationszentrum und Begegnungsstätte zum Beschluss vor. Bis zu einer Million Euro plant man für dessen Betrieb jährlich ein. Außerdem rechnet man mit Baukosten zwischen neun und 15 Millionen Euro.
Auch die Idee eines jüdischen Museums nimmt allmählich konkrete Formen an. Ein Solitär, so Annekatrin Klepsch, sei allerdings nicht der Weg, sondern die jüdische Geschichte über die vergangenen 800 Jahre in Dresden soll in die neu zu entwickelnde Dauerausstellung des Stadtmuseums integriert werden. Wobei dafür auch ein An- oder Neubau nötig würde.
Zunächst geht es erstmal darum, den Alten Leipziger Bahnhof zu entwickeln, weil wir es wenigstens den letzten Zeitzeugen und auch den Nachfahren der Generation der Holocaustopfer schuldig sind, jetzt erstmal diesen Gedenkort einzurichten.
Annekatrin Klepsch, Beigeordnete für Kultur und Tourismus, Dresden
Als Wunschtermin für die Eröffnung wäre der 27. Januar 2025 denkbar gewesen, wenn sich die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz zum 80. Mal jährt, auch der 8. Mai 2025, der Tag der Befreiung. Das scheint inzwischen unrealistisch. Jetzt hofft man, dass es 2026, im Themenjahr zur jüdischen Kultur in Sachsen, soweit sein wird.
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Dieses Thema im Programm:MDR KULTUR - Das Radio | 02. März 2023 | 07:40 Uhr