Trauer Schriftsteller Günter de Bruyn gestorben
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Der Schriftsteller Günter de Bruyn ist tot. Wie der Landkreis Oder-Spree unter Berufung auf de Bruyns Familie am Donnerstag mitteilte, starb der Autor bereits am 4. Oktober im Krankenhaus. Am 1. November wäre er 94 Jahre alt geworden. Als seine wichtigsten Bücher gelten unter anderem "Buridans Esel", "Neue Herrlichkeit" und seine zweibändigen Memoiren. Ein Nachruf.

1972 publizierte der damals 46 Jahre alte Günter de Bruyn – längst einer der bekannten Erzähler in der DDR – in der Zeitschrift "Sinn und Form" einen Aufsatz zum Thema "Wie ich zur Literatur kam". Darin berichtet der 1926 in Berlin Geborene von extensiver Karl-May-Lektüre in braunen Zeiten. Das Kind, das er war, blieb in einer Art Diaspora allein.
Weg zur Literatur
Seine Stunde null erlebte der Luftwaffenhelfer de Bruyn, als er am 9. Mai 1945 aus einem tschechischen Lazarett entlassen wurde und sich nach Berlin durchschlug. Er wurde Neulehrer in einem märkischen Dorf, später Bibliothekar in Ostberlin. Erst mit fast 40 Jahren wagte er den Sprung in die freie Schriftstellerexistenz. Über seinen ersten, sehr erfolgreichen Roman "Der Hohlweg" von 1963 brach er den Stab gründlich. Er sei, bekannte er später, auf dem opportunistischen "Holzweg" gewesen. Der Roman "Buridans Esel" von 1968, den die DEFA später verfilmte, brachte den Durchbruch.
Skeptischer Blick auf die DDR
Die Romane "Preisverleihung" (1972) und "Neue Herrlichkeit" (1984) sowie die Erzählung "Märkische Forschungen" (1978) zeigen de Bruyn als skeptischen Beobachter der DDR-Gesellschaft und ihrer intellektuellen Funktionselite. Er selbst ist ein angesehenes Mitglied des Schriftstellerverbands und darf in den Westen reisen. Mit der Staatsmacht paktiert er nicht.
Doch da er einer der Stillen im Lande ist, wirkt sein Wort umso mehr – wie etwa seine Kritik an der entwürdigenden Zensurpraxis auf dem X. Schriftstellerkongress der DDR im November 1987: "Diese Praxis, die uns erfreulicherweise vor kriegsverherrlichender Literatur und anderen Scheußlichkeiten bewahrt, schränkt leider auch die aufklärerische Wirkung von DDR-Literatur ein. Wenn nur der Fehler benannt werden darf, der schon beseitigt ist, wird die Entdeckerfunktion der Literatur, die das Entdecken von Fehlern mit einschließt, unmöglich gemacht oder zumindest beschnitten."
Blick zurück
Nach dem Mauerfall schloss de Bruyn in zwei meisterhaften Memoirenbänden mit seinem Leben als Zeitgenosse des deutschen 20. Jahrhunderts ab. Seither wurde er mit weitausgreifenden Bänden und zahllosen Miniaturen zur deutschen Literatur um 1800 zu einem Neuerfinder einer spezifisch märkischen Geistestradition. Mit "Der 90. Geburtstag" kehrte er 2018 noch einmal zum fiktionalen Erzählen zurück; ein Familien-Roman, der sich durchaus als späte Fortsetzung von "Neue Herrlichkeit" lesen lässt.
De Bruyns 80. Geburtstag geriet beinahe zum Staatsakt, da Angela Merkel persönlich gratulierte. Dabei hat der Autor schon vor mehr als 50 Jahren von einem Refugium geträumt, um ungestört schreiben zu können. Mit einem Häuschen bei Beeskow, Ende der 60er-Jahre für den Gegenwert eines Fernsehers erworben, klappte das – zumindest ein Weilchen.
Ganz für sich, so fühlte er sich am wohlsten. Günter de Bruyn, der unbestechliche Erzähler und Essayist – er wird fehlen.
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 08. Oktober 2020 | 13:40 Uhr