Führung mit Gebärdensprachdolmetscher sowie für Blinde und Sehbehinderte im Grassimuseum Leipzig
Häuser wie das Leipziger Grassi-Museum versuchen viel, um möglichst viel Inklusion anzubieten – geraten aber immer wieder an Grenzen. Bildrechte: imago images/Sylvio Dittrich

Inklusion Barrierefreiheit: Über die Schwierigkeiten, Kulturhäuser inklusiv zu gestalten

07. November 2022, 04:00 Uhr

Das Thema Barrierefreiheit hat in den vergangenen Jahren immer mehr Aufmerksamkeit erhalten. Nicht zuletzt, weil Deutschland die UN-Behinderten-Charta anerkennt und mit einem eigenen Gesetz Selbstbestimmung verspricht. Dennoch gibt es in den Kulturbetrieben in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen zahlreiche Hürden. Nicht alle Häuser räumen der Herausforderung die gleiche Priorität ein, meist fehlt es an verfügbaren Ressourcen, um alles gleichzeitig anzugehen. Außerdem stehen auch Ansprüche von anderen Kultur-Akteuren im Raum.

Inklusion und Barrierefreiheit ist eigentlich Pflicht in öffentlichen Einrichtungen in Deutschland. Viele Kulturhäuser in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen sind auch mehr als bereit, das zu ermöglichen. Immerhin ist eines der großen Ziele, neues Publikum zu gewinnen – und dazu gehört auch der Teil der Bevölkerung mit Behinderungen und Einschränkungen. Dass es trotzdem noch zahlreiche Hürden in den Kulturhäusern gibt, liegt also nicht an einem Unwillen. 

Viele Barrieren liegen beispielsweise außerhalb des Einflussbereiches: Auf dem Weg zum Kunstmuseum Moritzburg in Halle beispielsweise müssen Interessierte vom Parkplatz zwei Bürgersteige und eine Straße mit Kopfsteinpflaster überwinden – für Menschen im Rollstuhl eine große Zumutung. Laut Kathrin Greiner von der Moritzburg wäre für den Umbau die Stadt Halle verantwortlich, die ihrerseits aber keine Notwendigkeit erkennt. 

Auch im eigenen Haus ist ein Umbau nicht immer möglich, erklärt Claudia Wyludda vom Domschatz Halberstadt. Über einen Seiteneingang können Menschen in Rollstühlen zwar in den Dom gelangen, doch der Durchgang zum eigentlichen Domschatz ist zu schmal. Den Weg breiter zu gestalten oder einen zusätzlichen Weg zu bauen, wäre allerdings ein starker Eingriff in die mittelalterliche Architektur. Der Denkmalschutz würde das nicht zulassen und auch die Kulturstiftung möchte das einzigartige Bauwerk nicht zu stark umbauen. Immerhin konnten schon einige Schwellen gesenkt werden. 

Inklusion ist auch eine Frage des Budgets

Das häufigste Problem aber bleiben wohl die Finanzen: Im Kunstmuseum Moritzburg steht das Thema Barrierefreiheit derzeit weit oben auf der Agenda. Aktuell werden alle Raumbeschreibungen der Dauerausstellung nach und nach in Leichte Sprache übertragen. Drei Werke sind auch als Tastbilder ausgestellt, über die Menschen mit Sehbehinderung das Bild erfahren können. Für Katrin Greiner könnten es auch noch mehr sein und sie meint: Immer wenn etwas Geld im Budget ist, schafft sie ein neues an – aber eben nur dann. 

Meistens ist Barrierefreiheit auch ein Aushandlungsprozess über Prioritäten. Das verrät auch Sabine Rühle vom Deutschen Nationaltheater. Es werden so viele Ansprüche an die Kulturhäuser gestellt, die sie inzwischen erfüllen müssen: Sie sollen bilden, aufklären und am besten klimaneutral werden. Am Weimarer Theater wurde das Thema Barrierefreiheit zunächst zurückgestellt.

Das Goethe-Schiller-Denkmal vor dem Deutschen Nationaltheater DNT auf dem Theaterplatz in Weimar.
Das Deutsche Nationaltheater in Weimar muss sich zu vielen Herausforderungen stellen. Für Barrierefreiheit bleibt vorerst kein Raum. Bildrechte: imago images/Jacob Schröter

Dabei geht es auch um das schwierige Verhältnis von Angebot und Nachfrage: Vor einigen Jahren gab es am DNT einige inklusive Projekte, die eine gesonderte Förderung erhielten. Damals kamen auch einige Betroffene. Nun scheint es kein Interesse mehr zu geben – aber vielleicht nur, weil es keine Angebote gibt. Anders läuft es am Theater Bautzen: Über die Jahre ist dort ein intensiver Austausch entstanden zwischen den Verbänden und dem Haus. Ein Angebot in Leichter Sprache ist dennoch nicht vorgesehen. Die Probenarbeit wäre zu aufwendig für ein verhältnismäßig kleines Publikum.  

Das Personal muss auf Menschen mit Behinderung eingehen können

Deutsch-Sorbisches Volkstheater, Bautzen
Das Theater in Bautzen arbeitet viel mit Verbänden zusammen, aber oft fehlt die Zeit für Kleinigkeiten, um mehr Inklusion zu ermöglichen. Bildrechte: IMAGO / imagebroker

Mit das größte Problem ist wie so oft das richtige Personal. Alle Angebote für Menschen mit Behinderung benötigen Spezialwissen, sei es, um gute Audiodeskriptionen zu entwickeln oder Texte in Leichte Sprache zu übersetzen. Da es sich aber immer noch um ein kleines Feld handelt, gibt es nur wenige Expert*innen, die dann oft ausgebucht sind, erklärt auch Katrin Greiner von der Moritzburg in Halle. Hinzu kommen auch Schwierigkeiten am eigenen Haus, wo es eigentlich immer zu viel Arbeit für die Angestellten gibt. Das erzählt auch Gabriele Suschke vom Theater Bautzen, die die Webseite gerne besser gestalten möchte, es aber nie schafft neben den zahlreichen anderen Aufgaben. 

Wie wichtig auch die Sensibilisierung des Personals ist, weiß man bei der Klassik Stiftung. Dennoch kann eine ausreichende Schulung oft nicht gewährleistet werden, da gerade in Museen oft Aushilfen arbeiten oder Angestellte von Subunternehmen.  

Widerstreit zwischen Kunst und Inklusion

Hinzu kommen Fragen der Ästhetik – immerhin geht es um Kunst: Gerade in Museen stellt sich beim Gestalten von Ausstellungen die Frage, ob ein Blindenleitsystem durch die Ausstellung nicht bevormundend ist und ob Bilder auf einer bestimmten Höhe hängen müssen. Valerie Stephani von der Klassik Stiftung Weimar erzählt von einem Konflikt mit einem Gestaltungsteam. Seitdem stünden die Anforderungen an Barrierefreiheit immer gleich im Angebot. 

Dauerausstellung des Bauhaus Museum Weimar
Hinter der Präsentation von Ausstellungsstücken stecken viele Gedanken, aber nicht immer zur Inklusion. Bildrechte: CLAUS BACH PHOTOGRAPHY/VG Bild-Kunst, Bonn 2020

Barrierefreiheit von Anfang mitdenken, ist die wichtigste Forderung von Betroffenenverbänden. Denn nur dann können sie gut funktionieren und überall greifen. In diesem Prozess befindet sich aktuell beispielsweise das Gleimhaus in Halberstadt: Die gesamte Ausstellung soll überarbeitet und dabei sollen auch Barrieren abgebaut werden. Laut Ute Pott hat sich dafür das gesamte Team in einen Austauschprozess begeben, um zu überlegen, was wirklich wichtig und was nötig ist. Das wichtigste ist in ihren Augen, dass es von allen mitgedacht wird. 

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