Dokumentarfilmfestival "Corona Creative" #2 Corona stoppt fahrendes Volk: "Der Zirkus ist in der Stadt"
Hauptinhalt
Corona lässt den Zirkus Alexander in der Nähe des sächsischen Städtchens Wurzen stranden: Neun Artisten, drei Kinder und 20 Tiere. Ein fahrendes Volk wird plötzlich gezwungen, temporär sesshaft zu werden. Das Ordnungsamt droht mit dem Kappen von Wasser und Strom – und mit der Polizei. Tom Fröhlichs Dokfilm zeigt das einfühlsame Porträt einer eingeschworenen Gemeinschaft, jetzt zum Auftakt des "Corona Creative"-Festival bei MDR KULTUR.
Der Zirkus Alexander strandet in der Nähe von Wurzen: Neun Artisten, drei Kinder und 20 Tiere. Geduldet für ein paar Wochen campieren sie irgendwo an einer Landstraße. Im Zuge der Covid-19-Pandemie verhängte auch Sachsen Maßnahmen, die die Zirkusleute in eine absolute Ausnahmesituation bringen. Sie sind durch die abgesagten Veranstaltungen pleite, schulden hohe Summen für bereits beworbene Auftritte, die nie stattfinden werden und leben zwischenzeitlich nur von Spenden. Es gibt kein Winterquartier, kein Zuhause für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Ein fahrendes Volk wird plötzlich gezwungen, temporär sesshaft zu werden. Das Ordnungsamt droht mit dem Kappen von Wasser und Strom – und mit der Polizei.
Zuhause bleiben, wenn es kein Zuhause gibt?
Aus der verordneten Distanz heraus beobachtet der Dokumentarfilm den Alltag der Artistenfamilie. Ein künstlich aufrecht erhaltener Mikrokosmos ohne Publikumsverkehr, der nur dafür da ist, den Zirkusleuten Halt zu geben. Die kreisrunde Manege aus Heu wird zum Symbol für ein "Immer-Weiter", das nicht hinterfragt werden darf. Hier wird trainiert, werden die Tiere gefüttert und gepflegt, danach selbst gekocht und: gewartet. Eine surreale Freiluftchoreografie, bevor es wieder in den Wohnwagen geht, der jeden Tag ein wenig kleiner zu werden scheint.
Die Kamera gibt sich dem stillen Alltagstrott hin, filmt aus der Ferne und über Barrieren hinweg. Es gibt kein Interview, keine direkte Interaktion mit den Protagonisten. So entsteht das einfühlsame Porträt einer eingeschworenen Gemeinschaft, die auch in weniger chaotischen Zeiten von Existenzängsten bedroht ist und nun in der Ausnahmesituation ums Überleben kämpft.
Corona-Regeln: Erprobtes Dokfilm-Team um Tom Fröhlich experimentiert
Mit "Der Zirkus ist in der Stadt" nimmt das seit zehn Jahren erprobte Dokumentarfilm-Team um Tom Fröhlich digitale Produktionsweisen als eine neue Herausforderung an. Die Planung erfolgte im Home-Office und über vernetztes Arbeiten in der Cloud. Das "Set" wurde jeweils nur von einer Person bzw. entsprechend den Abstands- und Hygieneregeln betreten. Der Regisseur besuchte den Zirkus für Vorgespräche, der Kameramann für den Dreh.
In kritischen Momenten schaltete sich das Team über einen Videocall zusammen. Die Postproduktion erfolgte an vier voneinander unabhängigen Schnittplätzen gleichzeitig. Ein experimentelles Projekt von Filmemachern voller Respekt gegenüber dem Machbaren und mit Neugier auf völlig neue Arbeitsweisen während der Kontaktsperre.
Tom Fröhlich, Jahrgang 1989, ist ein etablierter Dokumentarfilmregisseur aus Leipzig. Er studierte Digital Media – Motion Pictures an der Hochschule Darmstadt.
Credits: "Das perfekte Schwarz" (2019), gefördert durch die Mitteldeutsche Medienförderung, im Wettbewerb Hofer Filmtage; "Ink of Yam" (2017), ausgezeichnet mit dem Hessischen Filmpreis – Best Student Movie, Astra Filmfestival – Winner Docschool Competititon, im Wettbewerb Hofer Filmtage
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | 24. April 2020 | 23:50 Uhr