Dokumentarfilmfestival "Corona Creative" #18 "Formationen" – Wie ein Virus die Regie übernimmt
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Die COVID-19-Pandemie sorgt für neue "Formationen" im Alltag. Nicht nur beim Schlangestehen. Die Filmemacherinnen Katrin Esser und Charlotte Eifler fangen die derzeit oft entrückt wirkende Lebenssituation als fiktiven Normalzustand ein. Ohne das Corona-Virus zu thematisieren, obgleich es mit Regie führt. Premiere jetzt bei "Corona Creative", dem Filmfestival von MDR KULTUR im Netz.
Der Kurzfilm untersucht die neuartige soziale Lebenssituation durch die COVID-19-Pandemie.
Den dokumentarischen Alltags-Szenerien sind nachträglich Regieanweisungen und eine Off-Stimme hinzugefügt: Es entsteht der Eindruck der jetzige Zustand sei das Setting eines Films. Zwischen Absperrbändern, Anweisungen und Markierungen blickt eine Statistin über eine gestohlene Speicherkarte auf dessen Drehbedingungen zurück.
Die Zukunft lässt sich eben erst im Nachhinein ablesen.
"Aufgang Sonne bitte und alle Statisten aus dem Bild!"
Der Film portraitiert die derzeitige entrückte Lebenssituation als fiktiven Normalzustand, ohne das Corona Virus zu thematisieren. Wann wird gedreht und wann nicht? Was passiert in der Wartezeit dazwischen? Wer kennt den ganzen Plot? Die Hierarchien am Filmset lassen über die neuen Regulierungen nachdenken, die das private und öffentliche Leben miteinander verschränken.
"Formationen" fügt den bisherigen Medienberichten eine andere Perspektive hinzu und schafft über die Abstraktion des Alltags einen Reflexionsraum über die Ordnungsversuche einer Ausnahmesituation.
Die jetzige Lebenssituation erinnert an apokalyptische Filme, der Angst vor dem Unkontrollierbaren wird mit Kontrollmaßnahmen begegnet.
Der Alltag scheint wie Fiktion. Wie kann Dokumentarfilm mit dieser irrealen Situation umgehen, die selbst denen, die sie erleben nicht real erscheint?
Der gemeinsame Austausch hat das Filmteam inspiriert, experimentelle Mittel als Strategie zur Realitätsabbildung zu entwickeln.
Angelehnt an John Smiths "The Girl Chewing Gum" (1976) erweitert das Kurzfilm-Projekt diese Bildsprache um die aktuellen Parameter des neuartigen Sozialverhaltens. Es entstehen Fragestellungen zu Vorstellungen von Normalität, Ordnungsversuchen und Kontrolle.
Esser und Eifler: Neuen und alten Stereotypen auf der Spur
Die beiden Filmemacherinnen Eifler und Esser haben bereits mehrfach erfolgreich miteinander gearbeitet u.a. für "Horizon" (2016) – einen Film über Stereotype im Genre des Roadmovies.
Katrin Esser untersucht in ihren Kurzfilmen, wie Strategien der Geschichtsschreibung die Wahrnehmung der Gegenwart beeinflussen. Ausgangspunkt ihrer Arbeiten ist meist ein bestehender Ort bzw. eine Institution und dessen inhärente Werte, die sich z.B. in architektonischen Inszenierungen ablesen lassen. Das Medium Film sieht sie als Möglichkeit, "vorgefundene Narrative innerhalb ihrer eigenen Fiktion zu analysieren, auszuloten oder zu brechen". Katrin Esser studierte Kunstgeschichte und Philosophie an der Ruhruniversität Bochum sowie der TU Dortmund. Ihr Diplom der Medienkunst erlangte sie an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB).
Credits: "Cold Readings" (Zusammenarbeit mit Sarah Veith, 2019), "a returning course of movement" (Zusammenarbeit mit Sarah Veith, 2018), "RELOADED "(2016), "Into The Wild" (2016)
Charlotte Eifler arbeitet an der Schnittstelle von Film, Sound und Wissenschaft. In ihren Videos und Multimedia-Installationen befragt sie die Politiken von Repräsentation und Technologie. Mit einem Schwerpunkt auf feministischen Ansätzen will Eifler den "Prozessen der Bildproduktion und Spekulationen zu alternativen Zukünften" nachgehen. Sie hat einen Master in Theater- und Medienwissenschaften und schloss ihr Diplom in Bildender Kunst ab. Eifler studierte an der HGB Leipzig, der Kunstakademie Düsseldorf und der Universität der Künste in Berlin.
Credits: "Jade Rabbit" (2019), "A SET OF NON COMPUTABLE THINGS" (2017), "Women Feeding Machines" (2018), "Plant Estate" (2016)
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | 24. April 2020 | 23:50 Uhr