Goldene TaubeDOK Leipzig: Neuer Preis für langen Animationsfilm
Beim Internationalen Leipziger Festival für Dokumentar- und Animationsfilm, DOK Leipzig, wird in diesem Jahr erstmals eine Goldene Taube für lange Animationsfilme vergeben. Damit setzt Festivalleiter Christoph Terhechte ein pandemiebedingt verschobenes Vorhaben aus dem Jahr 2020 um. Warum es einen eigenen Wettbewerb für den langen Animationsfilm braucht, darüber hat MDR KULTUR mit Christoph Terhechte gesprochen.
MDR KULTUR: Dokumentarfilme und Animationsfilme – zwei Genres, von denen man auf den ersten Blick leicht annehmen kann, dass sie allergrößte Verschiedenheiten aufweisen. In Leipzig aber teilen sich genau diese beiden Filmgenres ein Festival: DOK Leipzig, das Internationale Festival für Dokumentar- und Animationsfilm. Und im Hauptwettbewerb ringen dann alle Langfilme um eine einzige Goldene Taube – bisher. Denn Leipzig lässt jetzt eine neue Goldene Taube fliegen: Es soll einen neuen Wettbewerb extra für den langen Animationsfilm geben. Christoph Terhechte ist der Intendant von DOK Leipzig. Herr Terhechte, warum jetzt diese neue Taube speziell für den langen Animationsfilm?
Christoph Terhechte: Das Festival hat eine Tradition, diese beiden Gattungen zusammenzubringen. Und ich glaube auch, das erste Fettnäpfchen, in das man tritt, ist, den Animationsfilm ein Genre zu nennen. Das mögen die Animationsfilmer gar nicht so gern. Daher rührt eine gewisse Sensibilität, die da ist beim Animationsfilm, dem Festival gegenüber, wo man bisher das Gefühl hatte, so ein bisschen am Katzentisch zu sitzen.
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Und das wollen wir ändern: Wir wollen dem Animationsfilm einen eigenen, würdigen Raum einräumen im Festival, damit sich die beiden Kategorien oder Gattungen auf Augenhöhe begegnen können. Denn es ist einzigartig für ein Dokumentarfilmfestival, einen so breiten Raum auch dem Animationsfilm zu geben. Und diese Singularität von DOK Leipzig wollen wir herausstellen. Wir wollen die Synergien betonen, die es geben kann zwischen diesen beiden Branchen der Animations- und der Dokumentarfilmmachenden.
Eine eigene Gattung, eine eigene Kategorie, kein eigenes Genre, aber eine eigene Goldene Taube, einen eigenen Wettbewerb. Wo ist die Grenze? Warum braucht es das? Das gab es ja sogar schon mal, dann hat man es abgeschafft, wollte da mehr Synergie. Jetzt führen Sie das wieder ein?
Ja, es gab einen Wettbewerb, aber dort liefen nur kurze Animationsfilme. In Zukunft wird auch explizit ein langer Animationsfilm ausgezeichnet. Auch neu ist bei uns, dass wir in allen Wettbewerben nicht nur beim Animations- sondern auch beim Dokumentarfilm sagen, Filme aller Längen sind willkommen im Wettbewerb. Das kann zehn Sekunden und zehn Stunden sein im Extremfall. In der Realität sind die Filme natürlich schon eher zwischen drei Minuten und vielleicht drei Stunden lang. Wir mischen die Längen, wir wollen aber nicht länger die verschiedenen Gattungen mischen, sondern dem Animationsfilm ein eigenes Haus geben sozusagen.
Übersicht: Wettbewerbe und Preise beim DOK Leipzig 2023
Internationaler Wettbewerb Dokumentarfilm
Eine fünfköpfige Jury vergibt folgende Preise:
• Goldene Taube für einen langen Dokumentarfilm
• Goldene Taube für einen kurzen Dokumentarfilm
• Silberne Taube für einen langen Dokumentarfilm einer Nachwuchsregie
• Silberne Taube für einen kurzen Dokumentarfilm einer Nachwuchsregie
Internationaler Wettbewerb Animationsfilm
Eine dreiköpfige Jury vergibt folgende Preise:
• Goldene Taube für einen langen Animationsfilm
• Goldene Taube für einen kurzen Animationsfilm
Deutscher Wettbewerb Dokumentarfilm
Eine dreiköpfige Jury vergibt folgende Preise:
• Goldene Taube für einen langen Dokumentarfilm
• Goldene Taube für einen kurzen Dokumentarfilm
Publikumswettbewerb
Eine fünfköpfige Jury, bestehend aus Filmbegeisterten aus der Region, vergibt:
• eine Goldene Taube an einen langen Dokumentar- oder Animationsfilm
Die Grenze zwischen langen und kurzen Filmen liegt bei 40 Minuten.
(Quelle: DOK Leipzig)
Hat das was damit zu tun, dass das Handwerk in diesen beiden Kategorien so unterschiedlich ist? Mit der fehlenden Vergleichbarkeit?
Ja, es ist sehr unterschiedlich, das kann man schon sagen. Aber es gibt deutlich mehr Gemeinsamkeiten, als man auf den ersten Blick vermuten würde. Es gibt sehr viele Dokumentarfilme, die brauchen den Animationsfilm, um Dinge darzustellen, die sonst nur vermittels von Talking Heads, von sprechenden Köpfen, darstellbar sind und die auch die Fantasie der Zuschauer in einer anderen Art und Weise anregen als konkrete Live-Bilder.
Und für den Animationsfilm, für den künstlerischen Animationsfilm, ist es sicherlich auch wichtig, sich in der Realität zu verorten. Es gibt den eskapistischen Animationsfilm, es gibt die Anime, es gibt Animationsfilme, die sich vor allem an Kinder richten, aber wir beschäftigen uns ja mehr mit dem künstlerischen Animationsfilm, der sehr nah an der Realität sein kann.
Die Filme, die wir in den letzten Jahren hatten – und die so wenige waren, dass sie dann doch zu sehr untergingen in den anderen Wettbewerben –, waren oft Filme, die sich unmittelbar mit Realität beschäftigen: mit Historie, aber auch mit Dingen, die hier ganz konkret auch im Land von Bedeutung sind. Ein Film wie "Biegen und Brechen", ein kurzer Dokumentar-Animationsfilm, der von der Misshandlung straffällig oder auffällig gewordener Jugendlicher in Torgau berichtete, ist so ein gutes Beispiel.
Was bedeutet das für das Festival, wenn es jetzt zwei getrennte Wettbewerbe für Dokumentarfilm und Animationsfilm gibt? Sind das dann wieder zwei eher parallel laufende Festivals, also genau das, was ihre Vorgängerin Leena Pasanen ja vermeiden wollte, indem sie die Preise zusammengeführt hat?
Das wollen wir auch vermeiden. Es sollen auf keinen Fall zwei parallele Festivals werden. Wir wollen die Filme auch so programmieren, dass wir zum Beispiel vor einem langen Dokumentarfilm einen kurzen Animationsfilm zeigen und einen kurzen Dokumentarfilm vor einem langen Animationsfilm. Das heißt, die Mischung fürs Publikum ist gewollt.
Preisgekrönte Dokumentar- und Animationsfilme
Aber es gibt immer ein paar Leute, die sich nur für das eine oder das andere interessieren. Denen wollten wir es nicht zu leicht machen. Dem Publikum wollen wir gerade eben vorführen, wie die beiden ineinandergreifen. Dass es zwei getrennte Wettbewerbe gibt, hat eher mit der Branche zu tun und nicht mit dem Publikum und damit, dass die Ansprüche, die es gibt in der Animationsfilmszene, erstmal erfüllt werden müssen, damit wir beides zusammenbringen können.
Zu diesem Ineinandergreifen, Herr Terhechte: Wo sind die Schnittmengen? Das Genre AnimaDok war ja mal in Mode.
Das Genre AnimaDok ist immer noch in Mode, würde ich sagen, ist immer noch aktuell. Ich denke aber, dass der Begriff AnimaDok ein bisschen aus der Mode gekommen ist. Trotzdem sprechen wir immer noch von diesen Filmen, die mehr sind als eine reine Fantasy, die mehr aufmachen als eine Welt, in der abstrakte oder auch konkrete Fantasiefiguren agieren, sondern die sich unmittelbar mit Realität, mit Wirklichkeit beschäftigen.
Und das ist für mich der Kern auch von Dokumentarfilm. Wir wollen uns ja auch nicht zu sehr abgrenzen und sagen, wir sind hier nur dokumentarisch. Alles andere wird nicht zugelassen. Auch unser Dokumentarfilmprogramm kann sehr hybride Elemente enthalten. Es gibt sehr gute Dokumentarfilme, die Spielfilmszenen enthalten, und umgekehrt kann auch der Animationsfilm die Grenze zum Dokumentarischen leicht überschreiten. Mich interessieren persönlich diese Mischformen auch viel mehr ist die reinen.
Sind Sie da in der Tradition von Brecht denkend unterwegs, dass man manchmal im Fremden, im Verfremdeten mehr Wahrheit finden kann als im rein naturalistischen Abbild?
Der Verfremdungseffekt hat sicherlich immer noch seine Aktualität, das würde ich definitiv bestätigen. Ob das immer auch der Anlass ist, diese beiden Gattungen zu mischen, ist eine andere Frage. Aber es ist eine. Und es hilft natürlich, wenn man Geschichten nicht nur mit konkreten realen Bildern erzählen muss, sondern durch den Animationsfilm eine andere Note hineinbringen kann, auch eine ganz andere Handschrift, auch eine künstlerische Handschrift reinbringen kann. Das ist eines der Themen des Festivals.
Lassen Sie uns mit einer globalen Frage abschließen, Herr Terhechte. Wie ist denn die Perspektive für die großen Filmfestivals, die ja von der Infrastruktur der Stadt mit ihren Kinos und auch vom Besucherverhalten abhängen? Was braucht es jetzt gerade, um auch in Zukunft bei Inflation, steigenden Preisen, Festivals wie DOK Leipzig zu erhalten?
Unter anderem natürlich braucht es den Enthusiasmus des Publikums. Und es ist schwer, den nur einmal im Jahr aufzubringen, wenn es die Tradition des regelmäßigen Kinobesuchs immer weniger gibt. Die kommerziellen Kinos haben es sehr schwer im Moment und wir glauben, dass wir als Festival dazu beitragen können, um auch den ganzjährigen Kinobesuch zu animieren.
Aber wir glauben auch, dass wir mittelfristig mehr Engagement der öffentlichen Hand brauchen für das Kino als Kunstform. Die Filmfestivals sind Veranstaltungen, die keine eigenen Häuser haben – anders als Theater, Museen et cetera. Wir sind darauf angewiesen, dass wir in lebendigen Kinos spielen. Und wenn es davon immer weniger gibt, dann muss es einen Ausgleich geben. Dann muss es einen eher musealen Kinoraum geben. Die Stadt Leipzig wird ein Filmhaus bauen. Das ist schon mal eine ganz großartige Nachricht. Und ich denke, dieses Filmhaus wird irgendwann auch eines der Zentren unseres Festivals sein.
(Das Interview führte MDR KULTUR-Radiomoderatorin Ellen Schweda. Redaktionelle Bearbeitung: Tina Murzik-Kaufmann, Hendrik Kirchhof)
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