Neu im KinoDoku "The North Drift": Wie Müll von der Elbe bis in die Arktis kommt
Eine beim Picknick am Flussufer liegengelassene PET-Flasche, eine achtlos weggeworfene Verpackung. Wie Plastikmüll von der Elbe bis in die Arktis gelangt, zeigt jetzt der neue Kinofilm "The North Drift" – eine Mischung aus Roadtrip und Forschungsprojekt des Dresdner Filmemachers Steffen Krones.
Für einen Werbeauftrag reiste Steffen Krones auf die Lofoten nach Norwegen. Die unberührte Natur nördlich des Polarkreises sollte Kulisse sein für einen Werbespot. Der gelernte Mediengestalter war für viele seine Werbe- und Filmprojekte in aller Welt unterwegs. Die Gegenden hoch im Norden faszinierten ihn dabei immer besonders. Mit seinem grönländischen Freund Kris ist er unterwegs in atemberaubenden Landschaften – doch die vermeintliche Naturidylle trügt. An der menschenleeren Küste finden die beiden Unmengen von Müll, angespült vom Meer, darunter auch eine deutsche Bierflasche.
Dresdner Regisseur zeigt zugemüllte Lofoten-Inseln in Norwegen
"Am Anfang war das alles noch ein bisschen amüsant", erzählt Krones. Man habe sich gesagt: Ja hier, nimm mal deinen Müll wieder mit nach Hause. Dann sei ihm aufgefallen, dass generell relativ viel Müll da liegt im Verhältnis zu den Menschen, die man dort antreffe. "Natürlich sieht man das hier ja auch, aber da wohnt halt keiner." Er fragte sich: Wie kommt dieser ganze Müll dahin?
Zurück in Dresden lässt ihn eine Frage nicht los: Ist es möglich, dass Müll, der hier in die Elbe gelangt, bis in die Arktis treiben kann, in dieses fragile Ökosystem, das vom Klimawandel besonders betroffen ist? Erst 600 Kilometer flussabwärts müsste der Müll reisen bis nach Hamburg, dann in die Nordsee bis hoch zum Polarkreis – 2.500 Kilometer insgesamt.
Doku begleitet Müll von der Elbe bis in die Arktis
Um herauszufinden, ob das möglich ist, entwickelt der Filmemacher eine ziemlich verrückte Idee: Er will den Müll verfolgen. Dazu holt er Freunde und Bekannte ins Boot. Sein Nachbar Paul studiert technisches Design an der TU Dresden. Er soll eine GPS-Boje bauen, einen sogenannten Drifter. Den will Steffen Krones dann in der Elbe aussetzen und schauen, wo er mal landet.
Die beiden beginnen zu tüfteln. Mit großer Lust am Experimentieren bauen sie verschiedene Prototypen, testen sie, um sie am Ende in die Elbe zu werfen und ihren Weg zu verfolgen. Der Dokumentarfilmer nimmt den Zuschauer mit bei diesem Prozess, zeigt mit großer Offenheit auch Rückschläge und Misserfolge.
"Ich glaube, es ist ganz wichtig, dass die Leute erstmal verstehen, wer ich bin und hoffentlich mit mir sympathisieren, bevor wir dann auf diese Reise gehen", erklärt Krones den Ansatz seines Films "The North Drift". "Ich wollte auf keinen Fall besserwisserisch wirken. Ich hab das alles ja auch erst rausgefunden. Ich hab das vorher genauso wenig gewusst wie andere."
Filmprojekt "The North Drift" wurde wissenschaftlich begleitet
Von Anfang an begleiten Wissenschaftler das Filmprojekt. Sie informieren über die die neusten Forschungen zum Thema Meeresmüll, Strömungen oder die Verbreitung von Mikroplastik. Eine von Ihnen ist die Meeresbiologin Melanie Bergmann. Am Alfred-Wegener-Institut-Bremerhaven untersucht sie den Zustand des Meeresbodens. Dabei sei aufgefallen, dass am Meeresboden immer mehr Müll zu sehen ist. Das habe man an veschiedensten Stationen mithilfe von tausenden Bildern genau analysiert.
Wir haben festgestellt, dass der Müll am Meeresboden sich zwischen 2004 und 2017 versiebenfacht hat.
Melanie Bergmann, Alfred-Wegener-Institut-Bremerhaven
Das Problem mit Kunststoff – er zerfällt mit der Zeit zu Mikroplastik. Wenn das passiert, ist es nicht mehr möglich, ihn aus dem Ökosystem zu entfernen. Diese Art der Meeresverschmutzung hat großen Einfluss auf die Organismen, die dort leben. Der Biologe Lars Gutow vom Alfred-Wegener-Institut-Bremerhaven forscht auf diesem Gebiet: "Was wir häufig beobachten bei vielen Tieren ist, dass Mikroplastik in den Geweben bei vielen Tieren einen sogenannten oxydativen Stress auslöst. Das kann Schäden im Erbgut hervorrufen aber auch Eiweiße können angegriffen werden. Das ist dann so eine Art Entzündungsreaktion, die dann entsteht."
Dresdner Filmemacher verfolgte für Doku Müll per GPS
Steffen Krones verfolgt seine GPS-Drifter viele Monate lang. Immer wieder verfangen sie sich, stecken über Tage und Wochen fest, bevor eine Strömung sie wieder mitnimmt. Wo auch immer sie angeschwemmt werden, findet er Berge von Unrat. Der Weg seiner Drifter ist auch der Weg des Meeresmülls.
Mehr zum Umgang mit Müll
Bei seiner Suche trifft er auch auf ein sogenanntes Clean-up-Team. Jeden morgen fahren 18 Männer und Frauen raus zu einer der unzähligen Inseln vor der norwegischen Küste. Dort lebt kein Mensch, aber es gibt Berge von Müll, angeschwemmt vom Meer. Das Team sammelt den Unrat, füllt ihn in Säcke und transportiert ihn ab – eine Sisyphus-Arbeit, die das Problem nie ganz lösen wird. Denn Mikroplastik ist so klein, dass man nie alles einsammeln kann.
In der Forschungsstation wird der Müll nach Herkunft sortiert. Von allen Kontinenten der Erde wurde hier schon Abfall angespült. Stephan Krones erzählt, dass er sich konstant fassungslos gefühlt habe, an den Tagen, die er dort verbracht hat. "Ich konnte es nicht fassen, dass diese große Crew jeden Tag nichts anderes macht, als hier aufzuräumen." Er habe sie gefragt, wie sie das machen, worauf die Antwort lautete: "Na, du suchst dir eine Ecke aus und hörst nicht auf, bevor sie sauber ist und dann nimmst du dir die nächste Ecke vor." Das habe Krones sehr beeindruckt.
Neue Doku ist Roadtrip und Forschungsprojekt in einem
Am Ende gelingt das Experiment. Er findet 9 von 11 seiner Drifter wieder. Einige wurden tatsächlich bis in die Arktis getrieben. Die Freude über das Wiederfinden seiner Bojen war allerdings eine zweischneidige, sagt er: "Dadurch, dass man sie unbedingt wiederfinden will, ist das wie so eine Art Schnitzeljagd. Man ist so drin in dem Spiel. Was man bei dem Spiel allerdings rausfindet, ist alles andere als schön."
Wichtig bei meinem Film ist, dass [...] wir ganz konkret sehen, dass das Zeug von hier wirklich da landet.
Steffen Krones, Filmemacher
Neben der Geschichte über das wissenschaftliche Abenteuer der Müllverfolgung nutzt der Film die Macht der großen Bilder, um die Schönheit unseres Planeten in Szene zu setzen. Er will sensibilisieren, denn der Meeresmüll ist nicht die einzige Bedrohung für das fragile Ökosystem der Arktis. Und er macht eindrücklich klar: In unserer globalisierten Welt ist kein Ort weit genug weg, dass wir nicht für ihn verantwortlich wären.
redaktionelle Bearbeitung: Sabrina Gierig
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Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | artour – Das Kulturmagazin | 27. Oktober 2022 | 22:05 Uhr