"Wem gehört der Osten?" Neue Dokumentation beleuchtet das Wintersport-Zentrum Oberhof
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Bis 1950 galt Oberhof als St. Moritz des Ostens. Dann übernahmen die DDR-Oberen die Führung in dem 1.600-Seelen-Ort. 30 Jahre nach der Wende ist Oberhof das Wintersport-Zentrum im Freistaat Thüringen. In seiner neuen Dokumentation "Wem gehört der Osten? - Oberhof" geht der in Oberhof geborene Filmemacher Dirk Schneider dieser Entwicklung auf den Grund. MDR KULTUR hat mit ihm über seinen Film gesprochen.

MDR KULTUR: In Ihrem jüngsten Werk wird unter anderem die "Aktion Oberhof" thematisiert. Damals (1950) wurden wichtige Hoteliers aus dem Ort vertrieben, weil die Staatsmacht selbst die Häuser besitzen wollte. Im Ort erinnert man sich ungern daran. Ist das eine gute Strategie?
Dirk Schneider: Ich glaube, das ist für Oberhof keine gute Strategie, der Geschichte sich so wenig zu erinnern, wie das der Ort tatsächlich ja seit Jahr und Tag auch macht. Ich fände es schon besser, wenn man sich den Problemen oder dieser Geschichte stellen würde. Ich glaube auch, dass viele der Probleme, die Oberhof heute tatsächlich noch hat, sowohl touristisch als auch vom Stadtbild und von der Stadtentwicklung her, durchaus damit zusammenhängen, dass der Blick in die Geschichte so selten gewagt wird. Also das sehe ich schon so, dass das Damals auch mit dem Heute noch stark zusammenhängt.
Viele der altehrwürdigen Kurhotels von Oberhof wurden ja zu DDR-Zeiten weggerissen, Neubauten entstanden nur teilweise, und auch die überlebten die Nachwendezeit teilweise nicht. Was macht das heute aus dem Ort?
Man sieht dem Ort heute immer noch an, dass er unter den Wunden der Vergangenheit leidet: Die Hotels, die zu DDR-Zeiten dort gebaut worden sind, sind bis auf das Panorama-Hotel natürlich und einigen ein bisschen außerhalb, weg. Die alten Kurhotels waren weg. Nach der Wende erinnerte quasi nichts mehr an die alte Baukultur in Oberhof oder nur bei kleineren Häusern, bei Privatbesitzern. Das hängt auch damit zusammen, dass ich das Gefühl habe, dass diese Erinnerungskultur, wenn man so will, das architektonische Gedächtnis des Ortes letzten Endes auf eine gewisse Art ausgelöscht schien. Das merkt man dem Ort heute noch an, und das finde ich eben auch sehr schade.
In den vergangenen Jahren sind Millionen nach Oberhof geflossen – in den Ausbau der Sportstätten, aber auch in den Ort selbst. In ihrem Film sagt ein Ladenbesitzer: Oberhof gehört dem Land Thüringen. Die bestimmen, was hier gemacht wird.
Oberhof ist in seiner Geschichte natürlich schon sehr lange und sehr oft fremdbestimmt gewesen. Und das hat der Ort bis heute überdauert. Heute ist natürlich die Rolle des Freistaates eine sehr starke, weil der Freistaat sich zu Oberhof – wie das immer so schön heißt im Politikersprech – als Leuchtturm der wirtschaftlichen Entwicklung des Thüringer Waldes bekennt. Das hat natürlich Folgen. Ohne den Freistaat geht quasi nichts: Der Freistaat investiert. Der Freistaat hat das Geld. Der Freistaat bestimmt – auch die Strukturen im Ort. Weil er ja auch im Thüringer Wintersportzentrum die Mehrheit beziehungsweise das Sagen hat, also auch eine Sperrminorität, was das Finanzielle betrifft. Sodass für diesen kleinen Ort, das sind ja nur 1.500, 1.600 Einwohner mit einem entsprechend niedrigen Steueraufkommen, aus sich selbst heraus wenig bestimmbar ist, sondern alles natürlich vom Geld von Freistaat und Bund abhängt.
Sie hatten es angedeutet: Die Fremdsteuerung Oberhofs zieht sich durch viele Jahrzehnte. Ist sie letzten Endes Fluch oder Segen?
Das ist natürlich die interessanteste Frage hinter allen. Sie ist sowohl als auch. Das Problem ist, in Oberhof kommen zwei Fraktionen sehr ungünstig zusammen: Es gibt zum einen natürlich den Willen des Freistaates, den Ort wirtschaftlich zu entwickeln, aber der Freistaat verlässt sich, wie der Ort selber auch, seit Jahr und Tag sehr stark auf den Leistungssport und die sportliche Infrastruktur. Das kann man machen, aber von zwei Olympiasiegern erholt sich der Ort touristisch nicht. Ich sage immer etwas böse: Jede Endmoräne in Mecklenburg-Vorpommern verfügt über eine Sommerrodelbahn. So etwas gibt es bis heute für Familien, die in Oberhof Urlaub machen wollen, nicht. Und das hat Gründe.
Die liegen darin, dass der Ort selber ein eigenes Konzept jenseits der sportlichen Infrastruktur für meine Begriffe bis dato nicht wirklich entwickelt hat und auch da keine Vermarktungsstrategie entwickelt hat. Es gab Bemühungen vom Freistaat vor Jahren, genau das auch normal mit zu übernehmen oder das auch anzuschieben. Aber das ist dann tatsächlich im Sande verlaufen [...] Und die vielen Millionen! Also, ich habe mal gehört, dass seit 1990 750 Millionen Euro nach Oberhof geflossen sein sollen – das kann keiner mehr so genau nachprüfen, weil da natürlich alle möglichen Förderprogramme damit zusammenhängen – aber natürlich zu großen Teilen einfach in die sportliche Infrastruktur und wenig in die touristische Infrastruktur. Wenn man so will, ist das natürlich ein Fluch, weil letzten Endes das viele Geld, das in Oberhof investiert worden ist, in eine gute touristische Infrastruktur eben gerade nicht geflossen ist.
Ein Anfang ist möglicherweise gemacht. Gerade ist ein Familien-Luxus-Ressort eröffnet worden. Ich höre so bei Ihnen raus: Das reicht halt noch nicht. Wo ist Oberhof Ihrer Meinung nach heute angekommen?
30 Jahre nach der Wende spricht der Freistaat Thüringen von einem Re-Start Oberhofs, von einer zweiten Geburt, wenn man so will. Tatsächlich ist es so, dass in erster Linie die städteplanerische oder städtebauliche Entwicklung der letzten Jahre dazu beigetragen haben, dass sich Investoren wie eben die österreichische Familie von diesem Familien-Luxus-Ressort für Oberhof entschieden haben. Da ist ein Anfang gemacht, aber mehr ist das auf keinen Fall. Es fehlt meines Erachtens nach wie vor an einer durchdachten familientouristischen Infrastruktur für den Ort. Ich merke das selber, wenn wir mit unseren Kindern nach Oberhof kommen – vor Jahren vermisste man da sogar ein Hinweisschild auf den Loipeneinstieg. Daran fehlt es tatsächlich, und da wünschte man sich natürlich um Längen mehr. Manchmal tut es mir tatsächlich auch ein bisschen leid, wenn ich höre, im Umfeld der Weltmeisterschaften, glaube ich, sind jetzt um die 120 Millionen noch mal in den Ort geflossen. Das ist natürlich unfassbar viel Geld, und da hätte man sich viel mehr für die touristische Infrastruktur gewünscht.
Das Interview für MDR KULTUR führte Mareike Wiemann.
(Redaktionelle Bearbeitung: Tina Murzik-Kaufmann)
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | MDR KULTUR am Nachmittag | 07. Februar 2023 | 18:50 Uhr