Kritik Film "Irgendwann werden wir uns alles erzählen": eine unmögliche Liebe in Thüringen in den 90ern
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Das Jahr 1990 war für die einen Verlust des vertrauten Lebens, für andere die Aussicht auf neue Möglichkeiten. Der Roman "Irgendwann werden wir uns alles erzählen" (2011) der Leipziger Schriftstellerin Daniela Krien beschreibt eine unmögliche Liebe in Thüringen in genau diesem Schwebejahr – kurz nach dem Fall der Mauer und vor der Wiedervereinigung. Der Film von Regisseurin Emily Atef wurde vom MDR koproduziert, feierte bei der Berlinale 2023 Premiere und ist ab dem 13. April im Kino zu sehen. Eine Kritik.

Maria lebt mit ihrem Freund Johannes bei dessen Eltern auf dem Bauernhof irgendwo in Thüringen. Maria geht zur Schule, Johannes will Fotograf werden. Die Beziehung der beiden ist liebevoll verspielt. Aber Maria schaut immer wieder hinüber zum Nachbarhof. Dort lebt der geheimnisvolle Henner, doppelt so alt wie sie. Ein rumpelnder Außenseiter, der trinkt und einen Schlag bei den Frauen hat. Eine Zukunft trauen ihm seine Nachbarn nicht mehr zu: "Ach, der Henner, der hat seine besten Jahre hinter sich. Da kommt nicht mehr viel."
Bei einer zufälligen Begegnung aber weckt Henner die erotische Neugier von Maria. Als sie merkt, dass der Mann sie begehrt, beginnt sie das Verhältnis zunächst im Spiel – eine unmögliche Liebe im Schwebejahr 1990. Die Geschichte hat das Potential, die emotionalen Schwankungen der Umbruchzeit im Kern zu treffen.
Wendezeit in Thüringen bleibt nur Kulisse
Der Roman von Daniela Krien ist jedoch in einer künstlich schlichten Sprache geschrieben, die nicht zur büchersüchtigen Figur der Maria passt und auch nicht zu der weichen Sprachmelodie des thüringischen Vogtlands, wo der Film spielt. In der Unsicherheit des Jahres 1990 wird das körperliche Begehren zur einzigen Gewissheit.
Felix Kramer gelingt es als Henner tatsächlich, die Risse unter der Oberfläche seiner wütenden Figur sichtbar werden zu lassen. Aber der Film vermeidet jeden politischen und historischen Zusammenhang und verschweigt die Blessuren, die Henner und Maria in der Vergangenheit erlitten haben. Im Buch erinnert sich Maria mit Unbehagen an einen Aufenthalt im Pionierlager, Henner geriet in Streit mit der LPG.
Film zeigt Liebe wie im Fotokalender
Emily Atef inszeniert dagegen den geschichtlichen Wendepunkt als zeitloses Drama von Verlangen und Hingabe und gerät in die Falle der Klischees. Wenn Marlene Burow als Maria mit langem Haar im rötlichen Gegenlicht durch das hüfthohe Gras streift, erinnert das Bild an einen Fotokalender. Je klarer Maria in ihren Gefühlen wird, desto mehr Vorbehalte bekommt Henner: "Wir müssen damit aufhören. Komm nicht mehr zu mir. Du bist 19, Maria. Ich bin 40."
Hinter dem Liebes-Machtkampf geraten die Nebenfiguren – Marias Freund Johannes oder der verlorene Sohn aus dem Westen – zur Staffage. Ohne die gesellschaftliche Einbindung wird das Drama des Umbruchs zur Kolportage. Heute, 33 Jahre nach der Friedlichen Revolution, gibt es sicherlich sehr viel mehr zu erzählen über den Sommer 1990.
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"Irgendwann werden wir uns alles erzählen"
Im Kino ab 13.04.2023
Genre: Drama
Regie: Emily Atef
Besetzung: Marlene Burow, Felix Kramer, Silke Bodenbender, Jördis Triebel, Peter Schneider
(Redaktionelle Bearbeitung: Thilo Sauer, Hanna Romanowsky)
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 13. April 2023 | 08:10 Uhr