"Ich war neunzehn", "Solo Sunny" Der legendäre Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase im Gespräch

30. Dezember 2020, 04:00 Uhr

Wolfgang Kohlhaase gehört zu den wichtigsten Kreativen der DEFA. Er schrieb für Filme wie "Berlin – Ecke Schönhauser", "Ich war neunzehn" oder "Solo Sunny" das Drehbuch. Auch später setzte er seine Erfolgsgeschichte fort, beispielsweise bei dem Andreas-Dresen-Film "Sommer vorm Balkon". Durch welchen Zufall er zur DEFA kam, wie ihn Schauspieler inspirieren und welchen Stellenwert er dem Drehbuch für einen Film einräumt, das erzählt er anekdotenreich im Gespräch mit MDR KULTUR-Filmkritiker Knut Elstermann.

MDR KULTUR: Du bist auch nach dem Ende der DEFA sehr aktiv geblieben. Trotzdem die Frage: War die Zeit bei der DEFA deine vielleicht wichtigste, intensivste Zeit? Wenn du auf deine Arbeiten zurückschaust, der Abschnitt, der am prägendsten war?

Wolfgang Kohlhaase: Naja, man muss auf die Filme gucken. Und in der DEFA gab es produktivere Zeiten, wie man weiß. Und es gab auch immer mal den Stillstand und die Bedenklichkeit. Aber gut, das gehört dazu und ist oft genug erzählt worden.

Es war natürlich etwas, das ich mir nie vorgestellt habe, dass ich auf seltsamen Wegen bei der DEFA arbeiten würde. Aber ich hatte mir ja auch nicht vorgestellt, dass sich vorher bei einer Zeitung arbeiten würde. Das alles hat zu tun – obgleich, da waren schon fünf Jahre etwas, was man schon Frieden nannte, obgleich es am Ende Kalter Krieg war – es hat alles mit diesem Kriegsende zu tun. Dass man an Türen klopfte, vor die man eigentlich nicht gehörte. Aber die Tür ging auf und man wurde reingelassen. Wir waren eine Mischung von Anfängern und Routiniers. Die Routiniers lernte man kennen, aber wenn sie vorher schon einen Namen hatten, dann wusste man den nicht. Also letztlich war es, auf die Arbeit beim Film bezogen, der Anfang von allem. Was mich betrifft.

Du warst 16 beim Kriegsende, warst Journalist. Wie kam es dazu, dass du dann bei der DEFA angefangen hast und da in relativ kurzer Zeit einer der wichtigsten Autoren geworden bist?

Also einmal, ich gehe ganz normal ins Kino, zunächst mal mit keiner Ambitionen, das zu etwas anderem als zur Unterhaltung zu gebrauchen. Andererseits hatte ich in der Schule einen Freund, ein schöner Junge, der wollte Schauspieler werden. So ging man da manchmal mit (Komm doch da mal hin, wenn die DEFA Komparsen sucht') und stand da rum und fand das alles erstaunlich, so wie das gemacht wurde.

Und dann geriet ich in so eine Gruppe junger Leute, die sich Filme ausdachten. Das hat wiederum in meinem Fall zu tun mit dem Auftauchen der neorealistischen Filme, die so etwa Ende der 40er-Jahre zu sehen waren. Und ich hatte natürlich Film immer für etwas besonders gehalten, für was Abgehobenes, für etwas Berittenes.

Plötzlich tauchte der Gedanke auf, die Geschichten, die man selbst erlebt und die an der Ecke spielen, und wo das Mädchen von der Ecke genauso viel wert ist wie die Königin. Eventuell kann man so was ja sich ausdenken und schreiben. Das scheint ja möglich zu sein. Es hatte mit der enormen Ermutigung zu tun, die überhaupt in der Welt war. Man kann sich alles zutrauen!

Du hast dann angefangen, Filme zu schreiben mit Gerhard Klein. Wie ging das eigentlich los? In welcher Struktur warst du dann innerhalb der DEFA?

Weiß ich nicht mehr, wie es genau lief. Ich habe angefragt oder jemand fragen lassen, ob die jemand gebrauchen können. Und dann wurde ich dramaturgischer Assistent. Die DEFA machte sechs Filme im Jahr, aber sie hatte enorme Mengen von unverlangt eingeschickten Filmentwürfen. Und obgleich ich nichts davon verstand, saßen wir mit großer Würde über all diesen Papieren und gaben den Leuten gute Ratschläge, so dass ich von damals her weiß: ich hätte nicht erklären können, was Dramaturgie ist, wofür man das überhaupt braucht. Aber ich dachte auf jeden Fall: Dramaturgen sind Leute, die anderen Leuten reinreden. Und dabei konnte man sich ganz wohlfühlen.

Kurt Maetzig
Der DEFA-Mitbegründer und Regisseur Kurt Maetzig Bildrechte: DRA/Filmspiegel

Es war merkwürdig, eine Mischung von beruflichem und privatem Interesse. Ich kam aus Adlershof, also hier ein Vorort im Südosten, den ich sehr liebte, wo ich auch hingehörte. Und dann fuhr ich an einem Tag mal zu einer Pressekonferenz, Maetzig gab eine Pressekonferenz, weil die DEFA war eingeladen worden. Nach Karlsbad, nach Karlovy Vary, als Beobachter. Sie sollten wieder dazu gehören, die Leute, die in Deutschland Filme machten. Es gab ja genug von einer Art, die man nicht unbedingt mehr dabei haben wollte. Aber irgendwie fing die DEFA an und gab eine Pressekonferenz. Und ich kam zum ersten Mal im Leben in diese Gegend am Wannsee und in Griebnitzsee und so. Das schien mir sehr zu passen für so eine noble Beschäftigung, für die Herstellung von Filmen. Und da dachte ich, gut, ich war drei Jahre bei der Zeitung gewesen. Wie ein Schwamm eigentlich, ich versuchte zu begreifen, was man begreifen musste. Und gleichzeitig dachte ich aber, wenn man vielleicht auch Filme machen kann, kann man sich da ja mal anmelden und fragen und so.

Dann machte die DEFA jedes Jahr, ich glaube insgesamt zwei Filme, also einen und noch einen, der sollte für junge Leute sein, also für ein junges Kinopublikum. Das führte zur Gründung einer kleinen Gruppe. Und in dieser Gruppe haben ich Gerhard Klein kennengelernt, der seinerseits vorher Dokumentarfilme gemacht hat oder sogenannte populärwissenschaftliche Filme. Und der kam aus Kreuzberg und ich kam, wie gesagt, aus Adlershof, Schöneweide, Treptow, das war das Umfeld meiner Kindheit. Und es stellte sich heraus, dass wir ein ähnliches Lebensgefühl hatten. Er war allerdings zehn Jahre älter und er hatte, mit Glück und durch die Hilfe anderer, den Krieg überlebt. Aber jetzt war er so beim Film, wie ich beim Film war.

Renate Krößner als Schlagersängerin Ingrid 'Sunny' Sommer
"Solo Sunny war einer der großen Erfolge von Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase Bildrechte: MDR/PROGRESS Film-Verleih/Foto Dieter Lück

Wir waren eben beim Film und hatten dann natürlich auch all die törichten Ideen, was da alles dazugehört. Also, man muss sich eine Geschichte ausdenken. Man muss die Geschichte anderen Leuten einreden. Da hatten wir natürlich einen stillen Wunsch: man musste eine Schauspielerin entdecken. Man muss irgendwo langgehen und sagen 'Haben Sie mal einen Augenblick Zeit? Darf ich Sie mal etwas fragen?' Da hat man natürlich immer das Gefühl, das klappt nie. Die gehen einfach weiter. Es ist ein Trick, der nicht geht. Aber am Ende waren viele Leute beieinander, die alle anfingen. Auch die Schauspieler fingen an, die Schauspielerinnen fingen an. Diese Art von Zuversicht und Hemmungslosigkeit, das war eine sehr angenehme Mischung.

Du hast gesprochen von den neorealistischen Einflüssen. Die sind natürlich, gerade in den frühen Filmen von dir, absolut spürbar. Das erste große Meisterwerk "Berlin – Ecke Schönhauser", Ende der 50er-Jahre entstanden mit Gerhard Klein, das die Stadt so aufnimmt, wie sie war. Ist das nicht für dein gesamtes Werk bestimmend geworden? Dieser Blick auf das, was ist? Vor die Haustür treten – wie du immer so schön sagst – mal gucken, wie es dem Nachbarn so geht?

Worüber sollte ich reden, wenn nicht über Berlin, über die Stadt, über ihre Vergangenheit. Sie roch noch lange nach Rauch, die Stadt Berlin. Und man ist ja nicht schlecht beraten, wenn man über Dinge redet, über die man wenigstens glaubt, dass man mehr von ihnen weiß, als Jedermann. Also insofern, das Thema lag auf der Hand.

Bauarbeiter Dieter (Eckehard Schall) gehört zu den jungen Leuten, die sich in Berlin - Ecke Schönhauser treffen. Durch Karl-Heinz, einen seiner Kumpel, gerät er in tragische Situationen.
Bauarbeiter Dieter (Eckehard Schall) gehört zu den jungen Leuten, die sich in Berlin - Ecke Schönhauser treffen. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Nebenbei gesagt, ein wichtiges Merkmal dieses Studios war immerhin, das es nicht dazu da war, Geld zu verdienen. Nun, alle Vorteile haben Nachteile: Es wurde dann auch nicht viel Geld verdient. Und Mancher machte sich die Arbeit vielleicht leichter, als gewünscht war. Aber dennoch hatten wir das Gefühl, wir wollen Geschichten erzählen, wir wollen etwas sagen, von dem wir glauben, dass wir es wissen. Wir wollen über unsere Kindheit sprechen. Und natürlich bot sich der Krieg, das Kriegsende, das Leben der Eltern, das vergeudete Leben an. In jeder Familie hatte der Krieg eingeschlagen auf irgendeine Weise. Das alles war ja da.

Und die DEFA wollte natürlich Filme machen in allen Kategorien. Sie hatte ja Mitarbeiter. Berlin war ja die frühere Ufa-Stadt. Die Leute wohnten noch, wo sie gewohnt hatten. Die Leute mochten auch, wenn man sie ließ, was sie immer gemacht hatten. Aber gleichzeitig gab es ein großes Bedürfnis, etwas über diese Zeit, die nun vorbei war – über den Krieg, über die Nazizeit – darüber etwas zu sehen, zu hören und zu sagen.

Du hast mit Konrad Wolf diese großartigen Filme gemacht – "Ich war neunzehn", "Mama, ich lebe" und andere – die hatten zu tun mit seiner Biografie als Immigrantensohn, der nach Deutschland kommt. Ganz anders als du. Was ist da von deiner eigenen Sicht, auch deiner eigenen Erfahrungen als junger Mensch im Krieg in der Nazizeit eingeflossen?

Natürlich, das war nicht blank und geradeaus gesehen die eigene Biografie. Aber es steckte ja eigene Biografie drin. Das war das, was ich am besten wusste. Was, glaube ich, auch ein Publikum erfahren wollte im Kino. Also, man darf sich das nicht vorstellen, dass die Leute sich nur Unterhaltungsware ansehen wollten. im Kino. Nein, es gab ein Bedürfnis, auf diese Zeit zu blicken und wenigstens im Nachhinein zu verstehen, was da passiert war.

Und sonst dachten wir:, naja, man denkt sich Geschichten aus. Das kannte ich ja von der Zeitung. Man geht rum, man guckt wann, man sucht, man findet, man schreibt.

Nur, Kino dauerte länger, Kino hatte großen Aufwand, Kino machte etwas her, hatte große Verführung. Obgleich ich immer dachte, ich versuche mal Film, aber eigentlich will ich Prosa schreiben. Weil ich Lesen ja für eine der größten Vergnügen halte, bis heute, die zu haben sind. Dann machst du letzten Endes auch, wonach man dich fragt. Also wenn du das Gefühl hast, Leute warten auf so etwas. Sie machen es gerne. Die Filme, der Blick, die gewisse Politisierung des Publikums, die Korrektur des Blickes auf die Geschichte – das alles war zugange und es ist gut, wenn man mit einem Hauptstrom des Denkens verbündet ist und nicht verfeindet.

Wie war das, jetzt mal ganz simpel gesagt, arbeitsrechtlich? Du warst bis zum Schluss fest angestellt bei der DEFA als Drehbuchautor. Gab dir das Sicherheit? Gab es manchmal auch das Gefühl, eingeengt zu sein?

Gregor (Jaecki Schwarz, re.) mit eiber Zigarette im Mund.  Sascha (Alexej Ejboshenko) zündet sie an.
Szene aus "Ich war neunzehn" Bildrechte: MDR/rbb/PROGRESS Film-Verleih/Werner Bergmann

Also, ich war Dramaturg. Das war einfach Geld gegen Ware, wenn du willst. Ein Lohn, ein Gehalt, das auch nicht so sehr bemerkenswert war. Aber dann, als ich dann schrieb, etwa um diese Zeit – und nicht meinetwegen natürlich – wurde eine Art von Vertragsbindung erfunden, wo man jeden Monat ein bestimmtes Honorar bekam, das man allerdings zurückzahlen musste. Und das verpflichtet einen eigentlich nur. Es war so großzügig, dass ich mich wundere, jetzt, wo ich es erzähle. Du solltest deine teure Kapazität bereithalten, um für das Studio etwas zu schreiben. Aber du musstest nicht etwas Bestimmtes schreiben. Es redeten Leute, das ist ein anderes Thema, später oft in die Projekte rein. Aber nicht in dem Sinne, dass du genötigt warst, einen Film über Dinge zu machen, die du nicht kanntest oder nicht machen wolltest. Also es war eine Verabredung auf Gegenseitigkeit. Man hatte sich überlegt, dass es ja länger dauert, sich einen Film auszudenken. Die Kosten laufen ja weiter. Also, man kriegte jeden Monat eine bestimmte Summe Geld, das summierte sich. Und dann hast du die ganz normalen Honorarverträge gehabt. Die waren seltsamerweise noch, vom Entwurf und ihrer ganzen Herangehensweise, Ufa-Verträge. Und es geschah natürlich, dass die Leute das Geld genommen haben und haben trotzdem nichts gemacht. Und das führte dann, ehrlich gesagt, zu gar nichts, als zu einer gewissen moralischen Enttäuschung und zu einer, auch nicht vorwurfsvollen, sondern sozusagen schulterzuckenden Verabschiedung. Also 'Schade, hätte so schön sein können.' Also, das war schon relativ großzügig.

Obwohl du einer der erfolgreichsten und bekanntesten Drehbuchautoren warst, hast ja auch du das Erlebnis gehabt, dass dir ein Film verboten wurde: "Berlin um die Ecke" mit Dieter Mann. Hat dieses Verbot des Films bei dir auch mal einen Zweifel ausgelöst, das Gefühl, vielleicht doch nicht an der richtigen Stelle zu sitzen?

Erst mal ist es einfacher, als man denkt. Du hast du einen Film gemacht (nicht du alleine, sondern mit motivierten Kollegen, ein Team hat einen Film gemacht), du hast ihn ausgedacht. Und sie wollen ihn nicht zeigen, ja. Das war nicht die Regel, muss man sagen. Aber es hat genügt, dass es einmal etwa in der Größenordnung von zehn Filmen die Leute betroffen hat.

Man hat sehr verschieden reagiert. Ich meine, man konnte tief entmutigt sein. Man konnte auch sagen, ich bin zwar im Sinne der Geschäftsordnung mit euch verabredet (mit 'euch' sind die Leute gemeint, die das Kino verwalteten und die die unfreundlichen Entscheidungen trafen – wenn sie dann unfreundlich waren), sondern ich bin ja oft wiederum mit mir selbst verabredet. Ich bin ja auch mit der Arbeit verabredet. Und viele deiner Kollegen und Freunde waren in einer vergleichbaren Lage. Das macht das nicht besser aber es war auch gut gegen die Einsamkeit: 'Also, ausgerechnet mir passiert so etwas!' Etwas passierte vielen und es war ein törichter und unnötiger Konflikt!

Es war ja nicht so, dass wir angefangen hatten, Filme zu machen und nun sofort eingeschüchtert waren. Wem das so gegangen ist, der hat sich halt einschüchtern lassen. Aber wir wollen offene Fragen in die Gesellschaft bringen. Man hört immer, das wird gebraucht. [lacht] Nun hörtest du es anders.

Also, ich will mal so sagen, die DDR hatte immer ein Problem, ihre eigenen Angelegenheiten öffentlich zu machen, sie auch zur Debatte zu stellen, sie als kontrovers zu verstehen. Und insofern hat das die Filmproduktion die ganzen Jahre und Jahrzehnte über begleitet.

Aber andererseits habe ich – und das sage ich jetzt nicht von heute aus – damals gedacht über offensichtlich schwierige Dinge, mit denen sich die Gesellschaft schwer tut: Wie sollten schwierige Dinge ohne Schwierigkeiten behandelt werden? Behandelbar sein? Man war nicht so leicht, sozusagen, von allen Absichten, die man hatte fernzuhalten. Und ich weiß nicht, ob ich letzten Endes besser gelebt hätte, andere Filme gemacht hätte, wenn es diese Schwierigkeiten nicht gegeben hätte.

Man macht ja überhaupt nicht Filme, weil man irgendetwas besser weiß, als andere, sondern weil man versucht, irgendetwas herauszufinden über die Welt. Ich sage: die Welt ist bunt aber ungerecht, wie wir wissen!

Wie bist du vorgegangen? Bis du ein Geschichtensammler gewesen? Hast du sehr aufmerksam Zeitung gelesen? Hast du wirklich vor die Haustür geschaut und dann das verarbeitet? Oder sind dir die Sachen so zugewachsen? Wie war dein Arbeiten als Autor?

Es war ohne Trick eigentlich. Man hat etwas aufgeschrieben. Und man hat gehofft, man findet Leute, die einem glauben, wenn man sagt, das ist nicht nur wichtig sondern auch schön, was wir vorhaben. Manchmal haben die es geglaubt – und manchmal nicht. Unter der Überschrift 'Filmproduktion', nicht nur unter dieser Überschrift, war es ja ein kleines Land. Das heißt: jeder kannte Jeden.

Und trotzdem sind es fast 600 Filme geworden. Aber die Filme, die man noch kennen wird – auf die Zahl gebracht, werden es vergleichbar viele sein – oder wenige. Das heißt, offensichtlich ist die Gesamtbefindlichkeit der Leute, die Geschichten erzählen und der Leute, die ihnen dabei zuhören oder zusehen, noch wieder etwas anderes und hat ein bisschen ein Geheimnis. Und lässt sich nicht einfach verrechnen mit der jeweiligen Kunst oder Kunstpolitik. Kunstpolitik ist, glaube ich, immer überschätzt worden – vor allem von denen, die sie gemacht haben.

Deine Drehbücher sind nicht geschwätzig, sondern das sind ganz markante Sätze, die was über die Figuren sagen – und auch anderes wieder nicht sagen. In welchem Verhältnis steht das für dich, auch beim Schreiben schon, zu sagen, da muss ein Raum bleiben? Da muss irgendetwas auch unausgesprochen da sein – sicherlich auch für die Schauspieler und Schauspielerinnen, die brauchen das ja auch, diesen geheimnisvollen Stoff für sich.

Es gilt ja nicht, was gesagt ist gesagt. Sondern es ist ja ein universell zusammengesetztes Material, was einen Film ausmacht. Man muss Schauspieler gern haben, zum Beispiel. Das ist in einem gewissen Widerspruch zu dem, das wir angefangen haben, wir Neorealisten. Und die Verführung war ja auch: Man nimmt die Schauspieler einfach, auch die, die gar keine sind. Man nimmt Menschen und macht sie zu Schauspielern.

Wolfgang Kohlhaase mit Ehefrau Emöke Pöstenyi
Wolfgang Kohlhaase mit seiner Ehefrau Emöke Pöstenyi Bildrechte: imago images / POP-EYE

Wenn man dann eine Weile im Beruf ist, dann merkt man, das ist nicht die einzige Sache, über die man nachdenken muss. Der Film hat etwas, was keine andere Kunstarbeit hat, glaube ich. Also wenn man jetzt an Malerei denkt, an Musik, an Fotografie. Alles sind Elemente, aus denen sich die Gesamtwirkung zusammensetzt.

Aber der Film hat etwas vielleicht einzigartig. Er zeigt das Entstehen eines Gefühls im Gesicht eines Menschen. Das macht das Theater nicht, du hast immer die Totale. Du hast den Schnitt, der lenkt dich, du sollst ja dahin gucken, wo der Film es will. So war es für mich immer hilfreich mit dieser Bewunderung für Schauspieler – wenn die Geschichte nicht weiterging oder wenn sie nicht so schön war, wie man sich das gedacht hatte. Oder wenn man überhaupt im Zweifel war, ob das ein Film werden kann. Es war oft hilfreich – oder ist, um mich mal nicht schon völlig in die Vergangenheit zu rücken ­– es ist hilfreich zu wissen, da kommt ein Schauspieler hinzu und der macht etwas, was man sich nicht ausdenken kann. Du kannst Dir ja wiederum nur von deinen eigenen Erfahrung her etwas ausdenken, einen Vorschlag machen und so weiter. Also hat mich immer interessiert, wer macht, wenn ich ein Buch schreibe, wer macht es weiter? Mit welchem Material machte er es weiter?

Drehbücher – auch die besten, die du geschrieben hast für die DEFA – lösen sich ja vollständig auf im Film. Es ist ein Halbprodukt, das nicht für sich steht, sondern das die Vorlage liefert für den Film. War das für dich traurig?

Eigentlich nicht. Entweder, du machst es und siehst, wie du damit zurechtkommst – oder eben nicht,

Wie siehst du jetzt insgesamt auf diese Institution DEFA zurück? Also auf diesen großen Fundus von Filmen, auf deine Arbeit dort? Was heißt dieses Haus DEFA in Babelsberg für dich?

Babelsberg bedeutet für mich das in einem völlig kaputten Land – kaputt, was die herumliegenden Steine betrifft und kaputt, was die verwirrten Gedanken betrifft und die beschädigten Gefühle – in einer solchen Umgebung stand ein Haus und das hieß DEFA. Und weil ich in dieses Haus eintreten konnte, meinetwegen nach mehrmaligem Klopfen, ist, gegen alle Wahrscheinlichkeit, ein Mensch auf die Füße gefallen, der glaubt, dass er Filme machen kann. Und ein bisschen davon weiß. Und dieser Mensch hat andere Menschen getroffen, die ähnlich schöne Überzeugungen herumtrugen. Und ich danke der DEFA einfach, dass sie mich in dieser Art von Nähe zu Kinos und zu Menschen gebracht hat.

MDR KULTUR Café

Alle anzeigen (53)

DEFA-Gründung vor 75 Jahren: Podcast-Reihe mit Knut Elstermann

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 19. November 2020 | 22:40 Uhr

Abonnieren