300. JubiläumDritte Wahl: Wie Bach zum berühmtesten Leipziger Thomaskantor wurde
Vor 300 Jahren trat Johann Sebastian Bach sein Amt als Thomaskantor in Leipzig an. Da war er gerade Ende 30 und eher als exzellenter Organist und Komponist weltlicher Werke bekannt. Heute als Barock-Genie und "lieber Gott der Musik" gefeiert, gab es in der stolzen Messe- und Unistadt Leipzig ernste Zweifel, ob der Thüringer der Aufgabe gewachsen wäre, den Gottesdienst nicht nur in der Thomaskirche möglichst andächtig zu gestalten. Zu Recht?
Es soll der ganz große Wurf werden, mit dem sich Leipzig in die erste Liga der Musikstädte katapultiert. Deshalb schreibt der Leipziger Rat nach dem Tod von Thomaskantor Johann Kuhnau im Sommer 1722 nach Hamburg und bietet das Amt Georg Philipp Telemann an, "weil er wegen seiner Music in der Welt bekannt wäre."
Für Leipzig ist Bach nur dritte Wahl
Telemann ist nicht abgeneigt, und so wählen die Leipziger Ratsherren ihn am 11. August 1722 zum neuen Thomaskantor. Im November sagt er jedoch ab: Die Hamburger Pfeffersäcke haben sein Jahresgehalt um 400 Gulden erhöht, um ihn zu halten. Der zweite Kandidat, Johann Friedrich Fasch, will vom Lateinunterricht freigestellt werden, der dritte, Darmstadts Hofkapellmeister Christoph Graupner, wird von seinem Landesherrn nicht freigegeben. In dieser Situation spricht der Ratsherr Abraham Christoph Platz sein oft zitiertes Wort:
Da man nun die Besten nicht bekommen könne, so müße man mittlere nehmen.
Abraham Christoph Platz, Ratsherr in Leipzig | Über Suche nach einem neuen Thomaskantor
Vom Kapellmeister in Köthen zum Thomaskantor
Zur Ehrenrettung des Leipziger Rats muss gesagt werden: Mit Kirchenmusiken ist Bach bis dahin nicht aufgefallen. Er gilt als exzellenter Organist, erfolgreicher Komponist von weltlichen Werken wie den "Brandenburgischen Konzerten" und hat seine Meriten als höfischer Kapellmeister. Kantor ist da eher ein Schritt die Karriereleiter abwärts:
"Ob es mir nun zwar anfänglich gar nicht anständig sein wollte, aus einem Kapellmeister ein Kantor zu werden, jedoch wurde mir diese Station dermaßen favorable beschrieben, dass (ich) mich nach Leipzig begab und meine Probe ablegete", räsonniert Bach über die neue Stelle.
Die Probe am 7. Februar 1723 fällt zur Zufriedenheit der Leipziger Ratsherren aus. Nach den Erfahrungen mit Telemann und Graupner lassen sie sich vorsichtshalber von Bach versichern, er werde sich "binnen drei oder höchstens vier Wochen von dem Anhalt-Cöthischen Hofe lösen."
Fürst Leopold von Anhalt-Köthen zeigt sich generös, entlässt Bach mit lobenden Worten, sogar den Titel "Kapellmeister" darf er weiter tragen. Und so wählt die Leipziger Ratsversammlung am 23. April 1723 den Köthener Kapellmeister zum neuen Thomaskantor.
Thomanerchor und Thomaskantor heute
Bach komponiert berühmte Kantaten und Passionen in Leipzig
Geschafft hat es Bach noch nicht ganz. Er kommt vom Hof eines evangelisch-reformierten Fürsten und ist in den Augen der in Sachsen herrschenden lutherischen Orthodoxie damit der Ketzerei verdächtig. Erst nach einer Gewissensprüfung geben auch die Theologen ihr Plazet zum neuen Thomaskantor. Am 5. Mai 1723 unterzeichnet Bach endlich seinen Arbeitsvertrag, in dem er auch aufgefordert wird: "Die Musik für den Gottesdienst dergestalt einzurichten, "daß sie nicht zu lang währen, auch also beschaffen seyn möge, damit sie nicht opernhafftig herauskommen, sondern die Zuhörer vielmehr zur Andacht aufmuntere." Bach lässt sich davon nicht beeindrucken.
Er stürzt sich in die Arbeit. In seinen ersten beiden Leipziger Jahren entstehen an die hundert neue Kantaten. Als Musikdirektor hat er sich um die "Bespielung" der vier innerstädtischen Kirchen, Thomas- und Nikolaikirche, Neue Kirche und Peterskirche zu kümmern.
Bachfest Leipzig 2023 feiert den "lieben Gott der Musik"
Aus dem Köthener Kapellmeister wird der Begründer der evangelischen Kirchenmusik und der einflussreichste Komponist aller Zeiten. 27 Jahre bleibt er Thomaskantor bis zu seinem Tod im Jahr 1750. Und Leipzig wird wegen seiner Musik in der ganzen Welt bekannt. Zum Bachfest Leipzig werden jedes Jahr tausende Besucherinnen und Besucher aus dem In- und Ausland erwartet.
Leipziger Bachfest 2023Das Bachfest Leipzig findet vom 8. bis 18. Juni 2023 statt und bietet nach Angaben des Bach-Archivs mehr als 150 Veranstaltungen. Ein Schwerpunkt liegt auf dem ersten Leipziger Kantaten-Jahrgang.
Redaktionelle Bearbeitung: Katrin Schlenstedt
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Dieses Thema im Programm:MDR KULTUR - Das Radio | 22. April 2023 | 06:45 Uhr