ARD Audiothek Spannende Hörbücher über die DDR: Frauen erzählen vom Leben zwischen Freiheit und Angst

Über das Leben im Sozialismus und der DDR gibt es spannende Romane, Biografien und Briefwechsel. Fünf besondere Bücher aus der Perspektive von Frauen sind derzeit kostenlos in der ARD Audiothek als Hörbucher verfügbar. Die Schriftstellerinnen Brigitte Reimann, Tina Pruschmann, Grit Lemke und Ingrun Spazier stellen in ihren Büchern hochaktuelle Fragen: Was ist Freiheit? Wer besitzt die Wahrheit? Kann man mehrere Heimaten haben? Unsere Empfehlungen umspannen den Zeitraum vom Anfang der DDR noch vor dem Bau der Mauer bis zu ihrem Ende 1989.

Collage aus Buchcovern
Fünf Hörbücher von fünf Frauen erzählen vom Aufwachsen und Leben im Sozialismus. Brigitte Reimanns Debüt-Roman (erst 2022 veröffentlicht) erzählt von der jungen DDR. Ingrun Spaziers Briefe dokumentieren das Ende der DDR. Bildrechte: VERLAGE

"Die Denunziantin" – Brigitte Reimanns Debüt erstmals als Hörbuch eingelesen

Wenn man 18 Jahre alt ist, sucht man noch nach seinem Platz in der Welt. Die Abiturientin Eva in Brigitte Reimanns Roman "Die Denunzinatin" meint, ihn gefunden zu haben. Sie ist Klassensprecherin, Leiterin einer Laienspielgruppe und geht mit Klaus – ein Traumpaar. Eva verteidigt mit glühendem Enthusiasmus den sozialistischen Weg der jungen DDR – und eckt damit an. Vor allem, als ein Lehrer die Frage stellt, ob es nicht besser sei, wenn jeder selber über sein Leben bestimme. Eva ist empört, Klaus nicht. Als Reimann ihr Debüt 1952 schrieb, war sie selber erst 19. Der Text steht im krassen Gegenteil zu ihrem letzten Roman "Franziska Linkerhand", in der sie längst am sozialistischen Weg zweifelte.

Die Schriftstellerin Brigitte Reimann
Brigitte Reimanns Debüt ist als Hörbuch in der ARD Audiothek zu hören. Diesen schrieb sie als junge Frau, als sie vom Erfolg des sozialistischen Weges noch überzeugt war. Bildrechte: DRA

Informationen zur Lesung

Brigitte Reimann: "Die Denunziantin"
Produktion: Hessischer Rundfunk 2023
Zwei Folgen
online bis 9. Juni 2023

2022 gab Kristina Stella den ungekürzten Originaltext von 1952 mit einem umfangreichen Anhang über seine komplizierte Editionsgeschichte im Aisthesis Verlag heraus. Kristina Stella und Klaus Lepsky lesen ausgewählte Stellen aus "Die Denunziantin". In Kommentaren dazwischen wird das Werk eingeordnet und die Entstehungsgeschichte erzählt, zum Beispiel, welche Rolle Anna Seghers dabei spielte.

"Bittere Wasser" – Roman vom Aufwachsen zwischen DDR-Staatszirkus und Bergbau

Kinder wie Ida gab es in der DDR nicht so häufig. Von klein auf ist sie mit ihren Eltern und dem Staatszirkus auf Tournee: Ihr Vater ist Elefantendompteur, ihre Mutter eine berühmte Trapezkünstlerin – beide sind sogar auf einer Briefmarke zu sehen. Mit der Einschulung jedoch zieht Ida zur Großmutter nach Tann an der Aach, ein Städtchen im Erzgebirge, dass vom Bergbau und der Wismut geprägt ist. Als Teenager erlebt Ida dort das Ende der DDR und folgt - plötzlich perspektivlos - den Elefanten ihres Vaters nach Kiew, die dort im Zoo ein neues Zuhause finden. Doch wo ist die Heimat für Ida? Jahre später kehrt sie zurück nach Tann. Dort wird inzwischen die "Heimat verteidigt" zum Beispiel gegen Asylbewerber. Tina Pruschmann erzählt eine faszinierende, literarisch ausgefeilte Familiengeschichte über einen Zeitraum von fast 100 Jahren.

Die Schriftstellerin Tina Pruschmann
Als Hörbuch hören: Die Leipziger Schriftstellerin Tina Pruschmann erzählt in "Bittere Wasser" eine Familiengeschichte in Thüringen, die bis nach Tschernobyl reicht. Bildrechte: Robin Kunz

Informationen zur Lesung

Tina Pruschmann: "Bittere Wasser"
Produktion: MDR 2023
Es liest: Inka Löwendorf
15 Folgen
Online bis 9. Juli 2023

Tina Pruschmanns Roman "Bittere Wasser" erschien 2022 im Rowohlt Verlag. Ihr Debütroman "Lostage" wurde 2017 im Residenz Verlag veröffentlicht, 2019 folgte der Bild- und Interviewband "gottgewollt" (Vom Leben der Ordensschwestern von der heiligen Elisabeth in Halle) mit Co-Autor Marco Warmuth im Mitteldeutschen Verlag.

Grit Lemkes "Kinder von Hoy": Großwerden zwischen Freiheit und Terror

Natürlich konnte man in der DDR auch glücklich sein und eine unbeschwerte Kindheit haben. Davon erzählt Grit Lemke in "Kinder von Hoy". Während in Hoyerswerda Platte um Platte die Musterstadt der DDR aus dem Boden gestampft wird und die Eltern mit den Schichtbussen ins Kombinat Schwarze Pumpe zur Arbeit fahren, genießen die Kinder ihre Freiheit – in einem großen Kollektiv rund um die Neubaublöcke. Als Jugendliche werden viele von Ihnen Teil einer lebendigen Untergrund-Kunstszene. Doch mit den Wendejahren stehen plötzlich ganze Lebensläufe auf dem Prüfstand, es gibt Massenentlassungen, Betriebe werden geschlossen. Und dann kommt es zu Ausschreitungen: 1991 greifen Neonazis Wohnheime für DDR-Vertragsarbeiter und Flüchtlinge an.

Die Autorin Grit Lemke
Als Hörbuch in der ARD Audiothek: In ihrem dokumentarischen Roman "Kinder von Hoy" erzählt Grit Lemke vom Aufwachsen in der sozialistischen Planstadt Hoyerswerda. Bildrechte: Börres Weiffenbach/Suhrkamp Verlag

Informationen zur Lesung

Grit Lemke: "Kinder von Hoy. Freiheit, Glück und Terror"
Produktion: MDR 2022
10 Folgen

Sprecher:
Gabriela Maria Schmeide - Erzählerin
Götz Schulte - Hausi, Karsten, Micha, Pfeffi, Röhli
Sigrun Fischer - Beate, Gabi, Claudia, Yvonne
Roman Knizka - Hanni, Maura, Rottl, Schudi
Felix Goeser – David

Online bis 22. Mai 2023

2020 wurde Grit Lemkes Dokumentarfilm "Gundermann Revier" für den Grimme-Preis nominiert. "Kinder von Hoy" erschien 2021 bei Suhrkamp. Für ihren dokumentarischen Roman hat Grit Lemke Freunde und Freundinnen von einst befragt und mit David, einem ehemaligen Vertragsarbeiter aus Mosambik, gesprochen. Sie verknüpft ihre Erzählung mit den Stimmen von Zeitzeugen zu einer kollektiven Geschichte.

"Briefe aus der DDR": Ganz nah an Montagsdemos und dem Untergang

"Wenn man dann unsere Zeitungsmeldungen verfolgt, könnte man das große Kotzen bekommen: Immer sind die anderen schuld." Dieses Zitat könnte auch von heute sein, es stammt jedoch aus einem Brief von 1989. Er wurde in der DDR geschrieben und ist an Ingrun Spazier gerichtet, die ein Jahr zuvor in die BRD ausgereist war. Das Besondere an Briefen ist, dass sie eigentlich nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind. Dass der rege Briefaustausch zwischen Spazier und Freunden und Familie heute allen zugänglich ist, beschert uns tiefe, emotionale Einblicke in das Ende der DDR. Wir hören von Erwartungen, Montagsdemonstrationen, Enttäuschungen, Betriebschließungen, Ängsten, von Menschen, die ihr Mäntelchen nach dem Wind hängen und von solchen, die eine feste Überzeugung haben.

Informationen zur Lesung

Ingrun Spazier: "Briefe aus der DDR"
Produktion: Rundfunk Berlin Brandenburg
Es liest: Ruth Reinecke.
11 Folgen
Online bis 2. Januar 2024

Die Empfängerin der "Briefe aus der DDR" ist auch die Herausgeberin des 2022 erschienenen Bandes: Ingrun Spazier war in der DDR Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Humboldt-Uni und im Staatlichen Filmarchiv. 1988 zog sie durch Heirat nach Hamburg. Es handelt sich um Briefe aus der Zeit von Februar 1989 bis zur Auflösung der DDR am 2. Oktober 1990. Das Buch ist mit einem Vorwort der Herausgeberin Ingrun Spazier und einem Nachwort von Christoph Hein versehen.

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Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | Lesezeit | 13. Februar 2023 | 09:05 Uhr

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