Kostenfreies E-Book "Erfurt - Die blaue Stadt" – Stadtführer über Geschichte, Wirtschaft und Religion
Hauptinhalt
Erfurt ist mit Mariendom, Petersberg und Krämerbrücke einer der Touristenmagnete in Thüringen. Einen neuen Blick auf das Leben in der mittelalterlichen Stadt eröffnet jetzt der Guide von Forschenden des Max-Weber-Kollegs der hiesigen Uni. Bei einem Spaziergang hatten sie festgestellt, dass sich die Stadt sehr schön durch die blaue Brille sehen lässt: Wie eine Farbe und die Religion zum Faktor für Wirtschaft, Alltag und Stadtentwicklung wurde.
Blau, diese Farbe zieht sich durch das ganze Buch. Es geht um die Färberpflanze Waid, deren Blau Erfurt einst reich machte. Um das blaue Gewand der Jungfrau Maria, die in Erfurt verehrt wurde. Und das Blau der Gera, die sich als Fluss durch Erfurt schlängelt, und schon immer die Lebensader der Stadt war, wie Jörg Rüpke, einer der Autoren, erklärt. Die Idee zum Buch sei bei verschiedenen wissenschaftlich begleiteten Stadtspaziergängen geboren worden.
Religion und Stadtentwicklung
Jörg Rüpke ist Professor für vergleichende Religionswissenschaft am Erfurter Max-Weber-Kolleg. Dort forscht er zum Zusammenspiel von Religion und Urbanität – konkret zur Frage, wie Religion die Entwicklung von Städten beeinflusst. Und, andersherum – wie Städte auch Religionen beeinflussen können.
Um die eigene Arbeit einem breiteren Publikum zugänglich zu machen, nahmen er und seine Ko-Autoren Sara Keller und Martin Christ sich eines konkreten Beispiels an – eben der Stadt Erfurt. Im Buch spüren sie nun den Wechselbeziehungen zwischen christlicher und jüdischer Religion und der Stadtentwicklung nach. So erzählen sie etwa, dass neue religiöse Vorstellungen im Mittelalter zum wirtschaftlichen Aufstieg Erfurts beitrugen.
Marienverehrung und Waid-Tradition
Durch die einsetzende Marienverehrung setzte damals plötzlich ein Run auf die Farbe Blau ein: Das blaue Gewand der Jungfrau Maria musste angemessen dargestellt werden, und mit der Färberpflanze Waid war das möglich. So heißt es im Buch dazu: "Mit der Verbreitung von Blau in den religiösen und politischen Sphären war plötzlich der blaue Farbstoff gefragt. Religiöse Praktiken hatten gemeinsame visuelle und mentale Muster geschaffen, die sowohl die Kulturlandschaft als auch die komplexe städtische Wirtschaft stark beeinflussten. Erfurt mit seiner Waidtradition wurde zu einem unumgänglichen Umschlagsort und damit zu einem dynamischen Marktplatz."
Die Autoren blicken zurück, analysieren Wechselbeziehungen, schildern anhand von Orten, die heute noch im Stadtbild präsent sind, die Geschichte Erfurts. Glücklicherweise bleiben sie dabei nicht auf einer rein wissenschaftlichen Betrachungsebene stehen.
Das ist nicht Architektur- oder Wirtschaftsgeschichte. Das ist auch nicht Geschichte von Dogmen oder religiösen Zeugnissen, die gefunden wurden, sondern von Lebensweisen, davon wie Menschen in der Stadt gelebt haben. Das zu rekonstruieren, erfordert eine wissenschaftlich kontrollierte Imagination.
Fakten und Anekdoten
Das Buch verharrt nicht in Fakten und Fußnoten, sondern geht immer ein paar Schritte weiter. Etwa wenn es um die Blüte der ersten Erfurter Universität geht und das damit einhergehende Studentenleben. Auch eine Assoziation zur Farbe Blau – die Studenten, die gerne mal einen über den Durst tranken und dann eben blau waren. Doch nicht nur das:
Die 'Kneipen' steckten Büschel von Gersten über ihre Türen, um zu signalisieren, dass sie frisches Bier zur Verfügung hatten, was sie zu attraktiven Orten für einen geselligen Abend für Studenten und Bürger gleichermaßen machte. Hier lässt sich eine weitere, weniger wohlschmeckende Verbindung zum blauen Erbe Erfurts nachweisen: Als Urin für die Herstellung von Waid benötigt wurde, durften Studenten und Bürger in einigen der Tavernen, deren Wirte den Urin an die Waidproduzenten verkauften, kostenlos trinken. Wer hätte gedacht, dass Urin ein wertvolles Gut sein könnte?
Das Buch hat in der deutschen Fassung gerade mal 65 Seiten. Fast ein bisschen zu wenig Umfang, um eine an Geschichte so reiche Stadt zu erfassen. Jörg Rüpke schließt nicht aus, dass es irgendwann eine Fortsetzung geben wird. In dieser städtischen Schatzkiste warten bestimmt noch einige Überraschungen.
Angaben zum Buch
Sara Keller, Martin Christ, Jörg Rüpke:
Erfurt - Die blaue Stadt
Universität Erfurt
ISBN: 978-3-9818938-1-6
E-Book und PDF, kostenfrei
Die Publikation entstand in der Forschungsgruppe "Religion und Urbanität: Wechselseitige Formierungen", die am Max-Weber-Kolleg der Universität Erfurt angesiedelt ist und von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) seit 2018 gefördert wird. Wie Urbanität und Religion sich wechselseitig beeinflussen, wird hier vergleichend, vor allem für Europa und Südasien, untersucht. Die Frage wird aber auch im Rahmen von regelmäßigen "City Walks" in Erfurt diskutiert.
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 18. Januar 2021 | 06:15 Uhr