Mythen in Tüten Eine alte Verpackung wird zum begehrten Sammlerstück
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Die kleinen Papiertütchen, in denen Bücher verkauft werden, sind wohl für die meisten unscheinbare Wegwerfartikel. Doch auf Flohmärkten oder der Verkaufsplattform Ebay bietet sich inzwischen ein anderes Bild: Diese Buchtüten sind begehrte Sammlerobjekte geworden und kosten richtig Geld. In den 60er-Jahren massenhaft aufgekommen, spiegeln die Entwicklung einer ganzen Branche.

Anfang Februar hat der Leipziger Verleger und Buchhistoriker Mark Lehmstedt seine rund 3.000 Objekte umfassende Buchtüten-Sammlung als Schenkung an das Deutsche Buch- und Schriftmuseum gegeben – und dazu ein Buch veröffentlicht, das die nicht selten kuriosen Schätzchen aus Papier, Jute und Plastik mit dem Blick des Wissenschaftlers vermisst.
Transportmittel und Werbeträger
Und... ach! Mein Buch der Lieder wird dem Gewürzkrämer dazu dienen, Tüten zu drehen, in die er den armen, alten Frauen der Zukunft Kaffee und Tabak schütten wird.
Die Tüte gilt als eines der ältesten Zeugnisse menschlicher Zivilisation; die ersten Exemplare waren zu Spitztüten gedrehte Pflanzenblätter. Mitte der 60er-Jahre, mit dem Siegeszug der Kunststoffe, hielten Papier- und Plastiktüten auch massenhaft im Buchhandel Einzug. Eigentlich simple Wegwerfprodukte – denen nun der Status von Kulturgut zuwächst. Mark Lehmstedt hat ein Näschen dafür und begann vor rund 20 Jahren, Buchtüten zu sammeln. Die Buchtüte kann Gradmesser für den Zustand einer Branche sein und gesellschaftliche Trends wie die Erstarkung der Ökologiebewegung abbilden – das zeigt etwa der Aufstieg des Stoffbeutels. Auch die digitale Revolution wird Thema. Zu Beginn der Nullerjahre wird das auch an den Tüten sichtbar. Zunächst durch nun inflationär aufgedruckte Internet-Adressen, später durch Hashtags mit Slogans wie "Ihr Klick bleibt in unserer Stadt". Die Doppelfunktion der Tüte als Transportmittel und Werbeträger macht sie schließlich zum Objekt der Designgeschichte.
Lesen statt Putzen!
Wahnsinnig spannend ist natürlich, wie für den Gegenstand Buch geworben wird. Das Buch an sich, das Lesen, der Leser, die Leserin. Wie mache ich das grafisch, wie setze ich das um?
Lehmstedts Band "Buchtüten. Werbung für das Buch" zeigt mit rund 550 Objekten annähernd ein Sechstel der in den Bestand des Deutschen Buch- und Schriftmuseums eingegangenen Sammlung. Dennoch begeistert er durch die verblüffende Vielfalt der vorgeführten Motive, Gestaltungen und Slogans. Aus heutiger Sicht wirken manche arg bräsig, auch wenn sich die Kreativen meist schwer ins Zeug legen. Bis heute unerreicht der kleine Ariadne Verlag mit dem feministischen Sponti-Spruch "Lesen statt Putzen!".
Volkseigene Tüten
Zwar gab es auch in der DDR Plastebeutel, doch das Gros der zwischen Kap Arkona und Fichtelberg verwendeten Behältnisse war aus Papier. Joseph Beuys und Klaus Staeck deckten sich Ende der Siebziger kiloweise mit den volkseigenen Tüten ein – und adelten sie zu Kunstwerken. Als Verleger und Buchhistoriker glaubt Mark Lehmstedt an die Zukunft des gedruckten Buchs. Sollte die Zukunft des Lesens allerdings in der digitalen Welt liegen, wie es uns Amazon und Co. schon lange predigen – dann könnten die Buchtüten der Sammlung Lehmstedt bald die letzten Vertreter ihrer Art sein.
Mehr Information
Mark Lehmstedt: "Buchtüten. Werbung für das Buch."
120 Seiten
Verlag: Lehmstedt
ISBN: 978-3-95797-125-8
Preis: 20 Euro
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 04. Februar 2021 | 12:10 Uhr