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Die Literatur kann die Vielfalt der DDR abbilden, ihre Schattenseiten, die unfreiwillige Komik und die positiven Erinnerungen. 2022 sind viele Bücher erschienen, wir haben eine lesenswerte Auswahl zusammengestellt. Bildrechte: Rowohlt Verlag, Ventil Verlag, Klett-Cotta, Mitteldeutscher Verlag, MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK, Lehmstedt Verlag

Literarischer Jahresrückblick 2022Liebe, Punk und Doppelleben: Lesenswerte Bücher über die DDR

Stand: 29. Dezember 2022, 04:00 Uhr

Mit der DDR verbinden Menschen gute und schlechte Erinnerungen. Unsere acht Buchempfehlungen erzählen davon, zum Beispiel von einer Jugendliebe in Halle, dem Aufwachsen zwischen DDR-Staatszirkus und Bergbau oder einer Kindheit in Leipzig. In Manfred Krugs Tagebüchern kommt ein geheimes Doppelleben zum Vorschein. Sachbücher berichten von Punks, Gruftis, einem dunklen Kapitel der Weltraumforschung in der DDR und glanzvollen Geschichten im Hotel Astoria. Interessante Aspekte eines Landes, das es nicht mehr gibt.

Eine Leipziger Kindheit in der DDR

Der Autor und Journalist Eberhard Schröter ist in der DDR aufgewachsen. Im Buch "Walzerfahrt zum Mond" lässt er den Alltag seiner Kindheit in Leipzig wieder aufleben und fügt ein Kaleidoskop von Alltagsgeschichten zu einem detailsatten Bild der 60er-Jahre zusammen. In seinen literarischen Miniaturen lässt er den Milchmann wieder herumfahren, kauft Produkte unterm Ladentisch oder hört Musik aus dem Kofferradio – alles erzählt aus der Perspektive eines Kindes. So funktioniert Eberhard Schröters Buch am Ende wie eine Zaubermaschine, in der die Kunst der Erinnerung in eins fällt mit der Kunst der Literatur.

Eine Empfehlung von MDR KULTUR-Literaturkritiker Nils Kahlefendt

Angaben zum Buch

Eberhard Schröter: "Walzerfahrt zum Mond. Eine Leipziger Kindheit"
Lehmstedt Verlag, 2022
206 Seiten, gebunden
20 Euro
ISBN: 978-3-95797-129-6

Manfred Krugs Tagebücher über sein geheimes Doppelleben

Manfred Krug überzeugte als Schauspieler auf der großen Leinwand, als singender "Tatort"-Kommissar im Fernsehen und machte sich auch als Jazz-Sänger einen Namen. Seine 2022 erschienenen Tagebücher "Ich sammle mein Leben zusammen" geben einen Einblick in ein bewegtes Leben: von Ehebruch und einer geheimen Zweitfamilie, über die Ausreise aus der DDR, sein Selbstverständnis als Vater bis zum Umgang mit seinem Schlaganfall und der eigenen Vergänglichkeit. So begegnen sich an Krugs Krankenbett seine Ehefrau und seine Geliebte samt Tochter – was genau geschah, trägt er minutiös im Tagebuch ein. Seine Bekenntnisse sind existentiell und spannend wie ein Krimi.

Eine Empfehlung von MDR KULTUR-Literaturkritiker Lutz Pehnert

Angaben zum Buch

Manfred Krug: "Ich sammle mein Leben zusammen. Tagebücher 1996 - 1997"
Herausgegeben und mit einem Nachwort von Krista Maria Schädlich
Kanon Verlag, 2022
208 Seiten, gebunden
22 Euro
ISBN: 978-3-98568-020-7

Punks in der DDR: Mit dem System Pogo tanzen

Punk – das war nicht nur eine Mode, Musik, Haltung und Subkultur, sondern auch ein Politikum, insbesondere in der ehemaligen DDR, in der der Minister für Staatssicherheit, Erich Mielke, Ausdruck und Sound der No-Future-Generation als "negativ-dekadent" geißelte. "negativ-dekadent" ist auch der Titel eines Buchs, herausgegeben von Anne Hahn und Frank Willmann, das sich mit der Geschichte des DDR-Punk beschäftigt. Es lässt ein Lebensgefühl, eine Lebenseinstellung wiederauferstehen, während sich aus den versammelten Texten das Bild einer Revolte zusammensetzt, die im Gegensatz zu ihrer westdeutschen Variante echtes, freiheitsgefährdendes Risiko lief.

Eine Empfehlung von MDR KULTUR-Literaturkritiker Sky Nonhoff

Angaben zum Buch

Anne Hahn/Frank Willmann: "negativ-dekadent"
Ventil Verlag, 2022
272 Seiten
ISBN: 978-3-9557-5168-5
20 Euro

Roman über eine Jugendliebe kurz vor der Wende

In seinem Roman "Der perfekte Kuss" erzählt André Kubiczek von einer Leidenschaft, die aus politischen Gründen unerfüllt bleibt: In einem Eisenbahnabteil auf der Fahrt zwischen Halle und Potsdam beichtet Teenager René im Jahr 1986 seiner Freundin Rebecca seine Zuneigung. Sofort knistert es heftig zwischen den beiden. Doch plötzlich kapselt sich das Mädchen ab. Allmählich dämmert es dem Jungen, dass Rebecca ein schwerwiegendes Geheimnis hütet. Die Geschichte ist eine von finsterem Humor geprägte Abrechnung mit der SED-Despotie, findet unser Kritiker.

Eine Empfehlung von MDR KULTUR-Literaturkritiker Ulf Heise

Angaben zum Buch

André Kubiczek: "Der perfekte Kuss"
Rowohlt Verlag, 2022
400 Seiten  
ISBN: 978-3-7371-0120-2
24 Euro

Was es bedeutete, in der DDR Grufti zu sein

Grufti und Waver in der DDR zu sein und gut auszusehen, bedeutete, sehr kreativ sein zu müssen. Davon erzählen Sascha Lange und Dennis Burmeister in ihrem Buch "Our Darkness". Während Markus Kavka sich im Westen seine spitzen Schuhe einfach kaufen konnte, klebte man sich im Osten Pappe an die Schuhspitzen. Mit politischem Aufbegehren hatte das Grufti-Dasein in der DDR weniger zu tun, sondern mehr mit einem Selbstfindungsprozess. Man gehörte dieser Szene an, weil man die schwermütige Musik gut fand.

Angaben zum Buch

Sascha Lange und Dennis Burmeister:
"Our Darkness: Gruftis und Waver in der DDR"

Ventil Verlag, 2022
Klappenbroschur, farbig bebildert
232 Seiten
ISBN: 978-3-9557-5167-8
30 Euro

Sachbuch über die Schattenseiten der DDR-Weltraumforschung

Als Sigmund Jähn 1978 ins Weltall fliegt, sind alle Augen auf die DDR gerichtet. Was keiner weiß: In Militärlaboren in der Nähe von Dresden wird zur selben Zeit streng geheim Weltraumforschung betrieben, um einen "Körper mit optimaler Normierung" zu erschaffen. Ines Geipel, bekannt für ihre Enthüllungen zum Doping im DDR-Leistungssport, hat dazu lange in Archiven recherchiert. Herausgekommen ist das spannende Sachbuch "Schöner neuer Himmel – Aus dem Militärlabor des Ostens", das nicht nur Unrechtsgeschichte aus dem Osten erzählt, sondern auch in die Gegenwart schaut.

Eine Empfehlung von MDR KULTUR-Literaturkritiker Jörg Schieke

Angaben zum Buch

Ines Geipel: "Schöner Neuer Himmel. Aus dem Militärlabor des Ostens"
Verlag Klett-Cotta, 2022
288 Seiten, gebunden
ISBN: 978-3-608-98429-3
22 Euro

Die glanzvolle Geschichte des Leipziger Hotels Astoria

In "Astoria Leipzig: Biografie eines Hotels" erzählt Henner Kotte ein großes Kapitel Leipziger Stadtgeschichte: Am 5. Dezember 1915, mitten im Ersten Weltkrieg, wurde das Leipziger Hotel Astoria eröffnet. Schon bald zählte es zu den besten Adressen Deutschlands und lockte zahlreiche Prominente in die Messestadt. Weil diese auch aus dem kapitalistischen Ausland kamen, wurde das Haus zu DDR-Zeiten natürlich von der Staatssicherheit bewacht. Am 31. Dezember 1996, nach 81 Jahren, war Schluss mit der glanzvollen Geschichte des Hotels. Geblieben ist das andauernde Geschacher um die spektakuläre Immobilie.

Eine Empfehlung von MDR KULTUR-Literaturkritiker Ulf Heise

Angaben zum Buch

Henner Kotte: "Astoria Leipzig: Biografie eines Hotels"
Mitteldeutscher Verlag, 2022
248 Seiten
ISBN: 978-3-96311-537-0
24 Euro

Vom Aufwachsen zwischen DDR-Staatszirkus und Bergbau

Bergbau, Kriegstraumata und DDR-Staatszirkus – der Roman der Leipziger Autorin Tina Pruschmann umfasst mehr als 100 Jahre Geschichte. "Bittere Wasser" erzählt von Zirkuskind Ida, deren Eltern in der DDR bekannte Artisten waren und nach der Wende ein neues Leben beginnen müssen. Der Roman spielt im Erzgebirge, aber auch in Kiew und Tschernobyl und ist eine seltene Mischung aus Melancholie, Poesie und schlagfertigem Humor, aber auch ein sehr berührendes Buch zum Thema Heimat-Verlust und Heimat-Suche.

Eine Empfehlung von MDR KULTUR-Literaturkritiker Matthias Schmidt

Angaben zum Buch

Tina Pruschmann: "Bittere Wasser"
Rowohlt Verlag, 2022
288 Seiten
ISBN: 978-3-498-00315-9
22 Euro

Redaktionelle Bearbeitung: Valentina Prljic, Judith Burger, op

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Dieses Thema im Programm:MDR KULTUR - Das Radio | 19. Dezember 2022 | 17:40 Uhr