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Diese fünf Bücher über Ostdeutschland sind absolut lesenswert und wollen Vorurteile abbauen. Bildrechte: Collage: Siedler Verlag / Hanser Verlag / Suhrkamp Verlag / S. FISCHER / Verlag C. H. Beck

EmpfehlungenDie fünf besten Sachbücher über den Osten

03. Oktober 2024, 04:00 Uhr

Auch 35 Jahre nach dem Mauerfall sind die Unterschiede zwischen Ost und West noch nicht überwunden. Die Lebensverhältnisse haben sich zwar weitgehend angeglichen, aber die kulturellen und politischen Prägungen liegen noch weit auseinander und es gibt noch immer Vorurteile und Missverständnisse. Diese fünf Bücher – unter anderem von Steffen Mau, Ines Geipel und Ilko-Sascha Kowalczuk – wollen helfen, die (ost)deutsche Gegenwart besser zu verstehen und stellen zum Teil provokante Thesen auf.

von Bettina Baltschev, MDR KULTUR

Christina Morina: "Tausend Aufbrüche. Die Deutschen und ihre Demokratie seit den 1980er Jahren"

Christina Morina lässt ihr Buch im Leipziger "Haus der Demokratie" beginnen, wo sie tief in die Archive der Bürgerbewegung nach der friedlichen Revolution eintaucht. Die Lektüre von Flugblättern, Briefen und Demozetteln unzähliger Initiativen und Vereine ist der Ausgangspunkt für eine umfangreiche Studie über deutsche Demokratiegeschichte der letzten 40 Jahre. Dabei stützt sich die Historikerin vor allem auf Selbstzeugnisse der Bürger in Ost und West, an denen sich das jeweilige Demokratieverständnis ablesen lässt.

Historikerin Christina Morina ist für eine neue Sicht auf die Ost-West-Debatte. Bildrechte: Siedler Verlag

So stellt sie unter anderem fest, dass die Bürger der DDR sehr wohl an ihrem "Land" interessiert waren, weniger aber an ihrem "Staat". Sie widerspricht der Behauptung, Menschen im Osten hätten nach 1990 Demokratie erst lernen müssen. Eher sei ihr Demokratieverständnis ein basaleres, an echter Mitwirkung interessiertes, das gegenwärtig kaum zum Zug käme. Zurecht wurde Christina Morina für "Tausend Aufbrüche" mit dem Deutschen Sachbuchpreis 2024 ausgezeichnet.

Mehr Informationen zum Buch (zum Ausklappen)

Christina Morina: "Tausend Aufbrüche. Die Deutschen und ihre Demokratie seit den 1980er Jahren"
Siedler Verlag
400 Seiten, 28 Euro
ISBN: 978-3-8275-0132-5

Annett Gröschner, Peggy Mädler, Wenke Seemann: "Drei ostdeutsche Frauen betrinken sich und gründen den idealen Staat"

Über die "Ostfrauen" ist in den letzten 35 Jahren bereits viel geschrieben und gesprochen worden. Oft wurden sie als besonders selbstbewusst und furchtlos beschrieben. Eine Schublade, in der sich auch die Schriftstellerinnen Annett Gröschner, Peggy Mädler und Wenke Seemann wiederfinden und das Beste daraus machen. Sie treffen sich am Küchentisch und sprechen darüber, was es bedeutet, in einen untergegangenen Staat geboren zu sein und wie diese Herkunft sie bis heute prägt. Trinkend, lachend und redend begeben sich die Frauen gemeinsam auf Spurensuche in ihrer Vergangenheit, suchen nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden in ihren Biografien und eröffnen so einen sehr persönlichen Blick auf die letzten Jahrzehnte.

In "Drei ostdeutsche Frauen ..." setzen sich die Autorinnen mit der Tatsache auseinander, wie es sie bis heute prägt, dass sie in einen Staat geboren wurden, der untergegangen ist. Bildrechte: Hanser Verlag

Mehr Informationen zum Buch (zum Ausklappen)

Annett Gröschner, Peggy Mädler, Wenke Seemann:
"Drei ostdeutsche Frauen betrinken sich und gründen den idealen Staat"

Hanser Verlag
320 Seiten, 22 Euro
ISBN: 978-3-446-27984-1

Steffen Mau: "Ungleich vereint. Warum der Osten anders bleibt"

"Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört": Als Willy Brandt diesen Satz am 10. November 1989 ausspricht, ist die Zuversicht groß, die deutsche Einheit würde schnell und reibungslos verlaufen. Dass es nicht so kommt, merken die Deutschen in Ost und West schnell. Steffen Mau stellt in seinem Buch fest, dass Brandts optimistischer Glaubenssatz genau jene Unterschiede überdeckt, die sich aus der geteilten Geschichte der DDR und der BRD ergeben und die sich in den letzten Jahrzehnten verfestigt haben. Er schlägt deshalb vor, diese Ungleichheit zu akzeptieren und sogar anzuerkennen, was einen entlastenden, fast therapeutischen Effekt hat. "Ungleich Vereint. Warum der Osten anders bleibt" ist ein aufschlussreiches kluges Buch, das seinen Lesern einen frischen Blick auf festgefahrene Diskussionen liefert und genau das tut, was es fordert: den Osten mit seinen Eigenheiten akzeptieren und respektieren.

Steffen Mau schlägt in seinem Buch "Ungleich vereint" vor, die Unterschiede zwischen Ost und West einfach zu akzeptieren. Bildrechte: Suhrkamp Verlag

Mehr Informationen zum Buch (zum Ausklappen)

Steffen Mau: "Ungleich vereint. Warum der Osten anders bleibt"
Suhrkamp Verlag
168 Seiten, 18 Euro
ISBN: 978-3-518-02989-3

Ines Geipel: "Fabelland. Der Osten, der Westen, der Zorn und das Glück"

"Warum können wir nicht sagen ja, das ist unsere Geschichte? Wir haben eine Doppeldiktatur auszuatmen", schreibt Ines Geipel in ihrem neuen Buch. Ihr geht es einerseits um emotionale Ambivalenzen, deshalb auch das Glück und der Zorn im Titel ihres Buches. Andererseits geht es ihr aber auch darum, Geschichte in größeren Zusammenhängen zu lesen. Die Kapitel "Diktatur der Nationalsozialisten" und "Diktatur der Arbeiterklasse" müssten gemeinsam betrachtet, historisch fortlaufende Tiefenschichten ergründet werden.

Ines Geipel will Erinnerungsbeton, wie sie es nennt, aufbrechen und wünscht sich eine Neuerzählung deutsch-deutscher Geschichte auf Augenhöhe, um bestehende Vorurteile und Minderwertigkeitskomplexe überwinden. Mit "Fabelland. Der Osten, der Westen, der Zorn und das Glück" liefert Ines Geipel eine nachdenkliche Betrachtung darüber, was in den letzten 35 Jahren seit des Mauerfalls mit uns Ostdeutschen passiert ist.

Ines Geipel wünscht sich im Buch "Fabelland", dass deutsch-deutsche Geschichte auf Augenhöhe neu erzählt wird. Bildrechte: S. FISCHER

Mehr Informationen zum Buch (zum Ausklappen)

Ines Geipel: "Fabelland. Der Osten, der Westen, der Zorn und das Glück"
S. Fischer Verlag
320 Seiten, 26 Euro
ISBN: 978-3-10-397568-0

Sascha-Ilko-Kowalczuk: "Freiheitsschock. Eine andere Geschichte Ostdeutschlands seit 1989"

Freiheit ist für viele Menschen ein hohes Gut, das sie nicht missen möchten. Aber was bedeutet es eigentlich, wirklich frei zu sein? Wieviel Verantwortung und Eigeninitiative gehört dazu? Der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk stellt in seinem neuen Buch die These auf, dass die Ostdeutschen nach dem Fall der Mauer einen "Freiheitsschock" erlitten haben. Gerade eben hatten sie noch den berühmten Satz "Freiheit ist immer die Freiheit der anderen" von Rosa Luxemburg auf selbstgeschrieben Transparenten durch die Straßen getragen, jetzt wurde ihnen die Freiheit geschenkt, die jedoch nicht nur eine "Freiheit von", sondern auch eine "Freiheit zu" bedeutete, mit allen Konsequenzen.

Ilko-Sascha Kowalczuk beschreibt, wie die Diktaturerfahrung vieler Ostdeutscher bis heute deren (Wahl)Verhalten prägt, wie ein vermeintlich einfaches und sicheres Leben innerhalb einer Diktatur in nostalgischer Verklärung Sehnsüchte nach autoritären Verhältnissen wachrufen kann. Eine messerscharfe und unbequeme Bilanz der letzten 35 Jahre, die aber unbedingt nötig ist, um die Gegenwart besser zu verstehen.

Historiker Kowalczuk sagt in seinem Buch "Freiheitsschock", Ostdeutsche schätzen den Wert der Freiheit nicht. Bildrechte: Verlag C. H. Beck

Mehr Informationen zum Buch (zum Ausklappen)

Sascha-Ilko-Kowalczuk: "Freiheitsschock. Eine andere Geschichte Ostdeutschlands seit 1989"
C.H.Beck Verlag
320 Seiten, 22 Euro
ISBN: 978-3-406-82213-1

Podcast: "Unter Büchern unterwegs"

Redaktionelle Bearbeitung: Sabrina Gierig

Mehr über die Ost-West-Debatte

Dieses Thema im Programm:MDR KULTUR - Das Radio | 24. August 2024 | 19:00 Uhr