Buch und Hörbuch"Clemens Meyer über Christa Wolf": Wie zeitgemäß kann DDR-Literatur sein?
Der Leipziger Schriftsteller Clemens Meyer sieht sich in der Tradition der Literatur der DDR. In der Neuerscheinung "Clemens Meyer über Christa Wolf", die es als Buch und Hörbuch gibt, beginnt er mit der verstorbenen Schriftstellerin einen inneren Monolog. Er gibt tiefe Einblicke in seine eigene Biografie, erzählt, wie Christa Wolf seine Romane und Erzählungen geprägt hat und geht der Frage nach, was uns DDR-Literatur heute noch geben kann. Eine Kritik.
Es ist kein Geheimnis, dass sich Clemens Meyer in der Tradition von Schriftstellerinnen und Schriftstellern sieht, deren Schreiben in der ehemaligen DDR geprägt wurde. Wolfgang Hilbig mit seinem Ringen um eine Form, einen Stil und einen eigenen Sound ist so ein Einfluss, den Meyer in seinem neuen Buch benennt. In diesem geht es aber um eine andere Schriftstellerinnenpersönlichkeit, die für ihn wichtig ist: um Christa Wolf.
Mit ihr – oder vielmehr mit einer Büste von ihr – hält Meyer Zwiesprache: "Wie groß muss Christa Wolfs Aura in natura gewesen sein, wenn schon diese bronzene Büste den Raum vom Fensterbrett aus verändert. Sie strahlt eine Ruhe aus. Erdet förmlich mein Arbeitszimmer, das an einer Ausfallstraße im Leipziger Osten liegt."
Clemens Meyer gibt persönliche Einblicke in seine Biografie
Offen wie selten gibt Clemens Meyer hier Einblicke in sein Schreiben und seinen Werdegang als Autor. Und der ist dem von Christa Wolf nicht unähnlich: So wie sie Anfang der 60er-Jahre dem Bitterfelder Weg und der Losung "Greif zur Feder Kumpel" folgte und in einem Waggonbauwerk in Halle arbeitete, zog es Meyer erst einmal auf diverse Baustellen. Bei sich trug er damals ein zerknittertes und vom Baustellenschmutz ziemlich angegriffenes Exemplar von Christa Wolfs Roman "Kindheitsmuster":
"Nachdem ich 1996 mein Abitur gemacht hatte, mit der zweitschlechtesten Note des Jahrgangs, ging ich auf den Bau, für fast drei Jahre, vielleicht, weil ich glaubte, dort etwas zu finden, Poesie und Geschichten zwischen Staub und Beton?", grübelt Meyer. Und er überlegt weiter: "Oder war für mich eine Literatur ohne Erfahrung nicht denkbar? Schämte ich mich meiner poetischen Ambitionen und wollte deswegen auf die Baustellen? Geld verdienen musste ich auch. Aber die Idee des Bitterfelder Weges lag in meiner DNS."
Nachdem ich 1996 mein Abitur gemacht hatte, mit der zweitschlechtesten Note des Jahrgangs, ging ich auf den Bau, für fast drei Jahre, vielleicht, weil ich glaubte, dort etwas zu finden, Poesie und Geschichten zwischen Staub und Beton?
Clemens Meyer | aus "Clemens Meyer über Christa Wolf"
Was kann uns DDR-Literatur heute geben?
Dass sich die Lektüre von Christa Wolf auf seine Texte ausgewirkt hat, zeigt sich auch in diesem Buch: Meyer hält verschiedene Erzählfäden souverän in der Hand und beleuchtet, welche Muster ihn und sein Schreiben geprägt haben. Wolfs politisches Engagement, ihre Arbeit für die Staatssicherheit und den Literaturstreit in den 90er-Jahren streift er dabei nur am Rande. Ihm geht es um die Frage, was von Wolfs Büchern und der DDR-Literatur insgesamt bleiben wird.
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Die Frage, wie zeitgemäß DDR-Literatur sein kann, beantwortet Meyer mit Blick auf die "Kindheitsmuster" ziemlich klar: Für ihn zeigt der Roman die Möglichkeiten des biografischen Erzählens auf, aber auch, wie sich der Krieg nach 1945 in die deutsche Literatur eingeschrieben hat. Es sind solch gegenwarts-kluge Gedanken und Meyers mitreißender Vortrag, die das Hörbuch zu einem Erlebnis machen. Und die dafür sorgen, dass man nach dem Hören sofort zu einem Buch greifen will – egal ob von Christa Wolf oder von Clemens Meyer.
Mehr Informationen
Clemens Meyer: "Clemens Meyer über Christa Wolf"
Hörbuch, erschienen bei Argon Digital
gelesen von Clemens Meyer und Bernd Reheuser
Laufzeit: 2 Stunden 36 Minuten
ISBN: 978-3-7324-0640-1
10 Euro
Buch, erschienen bei Kiepenheuer & Witsch
herausgegeben von Volker Weidermann
ISBN: 978-3-462-00416-8
112 Seiten, 20 Euro
(Redaktionelle Bearbeitung: Hanna Romanowsky)
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Dieses Thema im Programm:MDR KULTUR - Das Radio | 10. April 2023 | 14:15 Uhr