Historische Postkarte, die eine Collage mit Bildern von Menschen aus fremden Kulturen zeigt. Dazu die Aufschrift: Grüße von der Völkerwiese. Zoologischer Garten Dresden.
Eine historische Postkarte zeugt von der Praxis der Völkerschauen im 19. und 20. Jahrhundert im Dresdner Zoo. Bildrechte: Stadtmuseum Dresden

Vergangenheitsbewältigung "MENSCHENanSCHAUEN" – Sammelband arbeitet Dresdner Zoogeschichte auf

04. Mai 2023, 15:14 Uhr

Sie waren die Attraktion auf Jahrmärkten, im Zirkus oder Zoo – bis in die 1930er-Jahre wurden in Europa Angehörige "fremder Völker" ausgestellt. Auch im Zoo in Dresden fanden diese "Völkerschauen" statt: inszenierte Shows, die als "authentisch" beworben wurden. Die Nachwirkungen dieser Menschenschauen sind bis heute spürbar, weil sie koloniale Klischeebilder produzierten, die heute als rassistische Stereotype fortleben. Der Sammelband "MENSCHENanSCHAUEN" setzt sich damit auseinander und arbeitet damit ein unrühmliches Kapitel in der Dresdner Zoogeschichte auf.

Nayo Bruce entstammte einer einflussreichen Familie aus Togo. Ende der 1880er-Jahre kam er über die dortige Kolonialverwaltung erstmals nach Deutschland. Selbstsicher sei sein Auftreten gewesen. Mit seinen Deutschkenntnissen habe er geglänzt, ebenso mit seinen weltmännischen Umgangsformen. Als "Prinz Nayo" trat er während der "Völkerschauen" in inszenierten afrikanischen Dörfern auf – 1900 auch in Dresden.

Dort kam es zum Streit zwischen Nayo Bruce und seinem Impresario. Als sein Chef keine Löhne zahlte, zeigte er ihn bei der Polizei in Dresden an, berichtet der Autor Volker Strähle, der den kürzlich erschienenen Sammelband, der sich mit den Menschen- und Völkerschauen, die ab den 1870er-Jahren im Zoologischen Garten in Dresden stattgefunden haben, mit herausgegeben hat. "Er hatte diese Handlungsmacht und hat sich später dann auch selbstständig gemacht. Also, solche Beispiel gibt es."

Unrühmliches Kapitel in der Dresdner Zoogeschichte

Doch auch andere Schicksale werden in dem Band erzählt. Etwa das von Pichocho aus Chile, der unter starken Depressionen litt, weshalb die Schau in Dresden abgebrochen werden musste. Selbst wenn es gegen Ende des 19. Jahrhunderts keine Zwangsverschleppungen mehr gab und die zur Schau gestellten Menschen Verträge mit dem Schau-Unternehmer, dem Impresario, geschlossen hatten, war ihnen oftmals nicht klar, was das monatelange Touren fern der Heimat bedeutete und wie demütigend die bewusst primitiv inszenierten Shows abliefen.

Der Dresdner Zoo war im Vergleich ziemlich aktiv in der Akquise von Völkerschauen. Wenn wir das mit Leipzig vergleichen, waren es mehr Völkerschauen, die hier gezeigt wurden, und der Dresdner Zoo war auch sehr früh an diesen Völkerschauen beteiligt, also einer der ersten Zoos in diesem Geschäft.

Volker Strähle, Autor und Mitherausgeber des Sammelbands "MENSCHENanSCHAUEN"

Für die Jahre 1878 bis 1934 konnte Volker Strähle im eher spärlichen Archivmaterial des Zoos sowie in lokalen Presseartikeln aus der Zeit 76 Menschenschauen in Dresden ermitteln. Hunderttausende kamen, um diese inszenierten Shows, die für die Zoos eine lukrative Einnahmequelle waren, zu sehen. Eng waren dabei die Beziehungen zum Hamburger Tierpark Hagenbeck, wo Adolph Schoepf, der Sohn des damaligen Dresdner Zoodirektors und später dessen Nachfolger, gearbeitet hat.

Historische Aufnahme in schwarzweiß, die eine Gruppe afrikanischer Menschen zu Fuß oder auf Pferden in einem eingezäunten inszenieren Dorf zeigt.
Archivbilder wie dieses zählen zu den wenigen Zeugnisse der Menschenschauen im Dresdner Zoo. Bildrechte: Stadtmuseum Dresden

In "MENSCHENanSCHAUEN" wird aber auch davon erzählt, dass Menschen exotischer Kulturen auch schon am Dresdner Hof angestellt waren. "Es kamen bereits unter August dem Starken so genannte amerikanische Prinzen nach Dresden", berichtet Volker Strähle, "die er angekauft hat und die, man könnte sagen, eine frühe Form der Zurschaustellung waren. Es gibt so frühe Präsenzen außereuropäischer Menschen; das geht dann über höfische Fest bis ins 19. Jahrhundert, in dem sich dann diese Völkerschauen herausbilden."

Leerstelle in der Aufarbeitung: Völkerschauen von Dresden

Ein Kupferstich aus Waldenburg, der zwei native americans zeigt, und den Christina Ludwig, die Direktorin des Dresdner Stadtmuseums in "MENSCHENanSCHAUEN" untersucht, war ein Ausgangspunkt, die Geschichte der Völkerschauen in Dresden unter die Lupe zu nehmen. Ebenso die jahrelangen und bisher erfolglosen Bemühungen der Initiative Dresden Postkolonial, dieses zweifelhafte Erbe im Zoo sichtbar zu machen. Auch sie ist mit einem Artikel vertreten. Inwieweit diese Aufarbeitung tatsächlich ihren Niederschlag im Zoo finden wird, lässt Direktor Karl-Heinz Ukena offen und verweist vorerst auf eine geplante Ausstellung im Stadtmuseum.

Wenn man so ein Stück am Ende auch in einem Museum spielen kann und sagen kann, es gibt dazu eine fundierte Ausstellung, dann, denke ich, kann man die Bevölkerung von Dresden hier sehr gut abholen und sehr gut informieren, und das auch über das normale Zoogeschäft hinaus.

Karl-Heinz Ukena, Leiter des Dresdner Zoos

Menschenschauen als Ursache rassistischer Stereotype

Es ist ein großer Verdienst, vor allem des Stadtmuseums als Initiator der Publikation, die Facetten der Zurschaustellung so umfänglich darzustellen und ebenso deren Wirkung: wie gerade in der Zeit des Kolonialismus Klischeebilder fremder Kulturen manifestiert wurden und bis heute in rassistischen Stereotypen fortleben. Bemerkenswert sind zudem die unterschiedlichen Perspektiven und Positionen der Autorinnen und Autoren im Sammelband, in dem auch streitbare Formulierungen wie etwa "Indianer", denn auch die Wildwest-Shows werden hier thematisiert, nicht zwingend in Anführungszeichen gesetzt werden mussten.

Schwarzweißaufnahme eines Straßenzugs, in dem mehrere Buden stehen; eine wirbt mit der Ausstellung von Menschen aus dem Orient
Die Aufnahme dieses Markttreibens ist Teil der Publikation "MENSCHENanSCHAUEN", mit der die Stadt Dresden eine Lücke in ihrer Geschichtsschreibung und Erinnerungskultur schließt. Bildrechte: Stadtmuseum Dresden

Viele Bürgerwissenschaftler und Bürgerwissenschaftlerinnen hätten über die Jahrzehnte unglaublich viel Wissen angesammelt, sagt die Leiterin des Museums und Mitherausgeberin Christina Ludwig. "Und nur weil sie eben nicht sofort der Postkolonialismusdebatte folgen, ist es für uns kein Ausschlusskriterium gewesen, sondern das war für uns genau dieser Diskursbeitrag: zu sehen, was passiert eigentlich mit der Stadtgesellschaft, wenn diese Positionen nebeneinanderstehen. Regt das die Gesellschaft dazu an, darüber zu diskutieren, wie man mit diesem Thema zukünftig umgeht?"

Eine Debatte, die mit dem Sammelband jetzt in Gang gesetzt und ab Herbst dann in einer Sonderausstellung im Dresdner Stadtmuseum fortgesetzt werden wird.

Weiterführende Informationen "MENSCHENanSCHAUEN. Selbst- und Fremdinszenierungen in Dresdner Menschenausstellungen"
Sammelband herausgegeben vom Dresdner Stadtmuseum

erschienen im Sandstein-Verlag
228 Seiten, 38 Euro

ISBN 978-3-95498-741-2

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 04. Mai 2023 | 17:10 Uhr